Sexuelle Übergriffe im Sport
„Er wollte, dass ich mich ausziehe“: Enthüllungen wühlen Leichtathletik auf
Eine ZDF-Doku berichtet über sexuelle Übergriffe in der Leichtathletik, mit Eileen Demes spricht auch eine WM-Starterin über ihre Erfahrungen.

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Die 400-m-Hürden-Sprinterin Eileen Deemes spricht in einer ZDF-Doku über sexuelle Übergriffe in der Leichtathletik.
Von red/sid
Am Ende der Dreharbeiten kann Eileen Demes sogar wieder lachen. Es habe ihr "sehr am Herzen gelegen", über ihre verstörenden Erfahrungen zu sprechen, sagt die 400-m-Hürden-Sprinterin in einer Dokumentation der ZDF-Sendung Frontal (Dienstag, 21.00 Uhr oder in der Mediathek), in der sexuelle Übergriffe in der Leichtathletik behandelt werden. Das Schweigen nach Jahren zu brechen, sei "ein bisschen eine Befreiung" gewesen.
Was Demes, die bei der anstehenden WM in Tokio (13. bis 21. September) am Start sein wird, und andere Athletinnen durchmachen mussten, wühlt derzeit die deutsche Leichtathletik auf. Es geht um aufdringliche Liebesbekundungen, übergriffige Chats oder anzügliche Massagen. Trainer sollen dabei gezielt die Macht ihrer Position ausgenutzt haben, um sich ihren teilweise minderjährigen Athletinnen genähert zu haben.
Recherchen führen zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
Die Recherchen haben bereits in zwei Fällen zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft geführt. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat einem Beschuldigten die Trainerlizenz entzogen und bei einem anderen "umgehend ein A-Lizenzentzugsverfahren eingeleitet", wie es auf SID-Anfrage heißt.
"Der Schutz der Athletinnen und Athleten hat für uns allerhöchste Priorität. Missbrauch im Sport ist ein zutiefst erschütterndes Vergehen, das für uns alle unvereinbar mit den Werten des Sports ist. Kinder und Jugendliche verdienen unseren besonderen Schutz, denn sie sind uns anvertraut und auf unser verantwortungsbewusstes Handeln angewiesen", teilt der DLV, der bereits 2010 ein Schutzkonzept zum Thema "Prävention sexualisierter Gewalt im Sport (PSG)" erarbeitet hat und auf seiner Website Hilfsangebote für Betroffene macht, weiter mit: "Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem sie sich frei entfalten und ihre sportlichen Ziele ohne Angst verfolgen können. Jeder einzelne Fall von Gewalt oder Missbrauch ist nicht tolerierbar und fordert von uns sofortiges, entschiedenes und konsequentes Handeln."
Demes (27) erzählt, wie sie als 17-Jährige von ihrem doppelt so alten Trainer unter anderem mit Liebesbriefen unter Druck gesetzt wurde. Oder er sie an seinem Geburtstag zum Essen eingeladen hat. "Da hat er mir dann gesagt, dass er mich liebt und dass er es schön fände, jeden Tag neben mir aufzuwachen", sagt Demes.
Sportlerinnen berichten von nächtlichen Nachrichten und sexuellen Übergriffen
Andere Sportlerinnen, die teilweise anonym bleiben, berichten von nächtlichen Nachrichten ("Mich interessiert, wie du beim Sex abgehst") oder sexuellen Übergriffen: "Er wollte, dass ich mich ausziehe. Und daraufhin hat er sich ausgezogen. Und hat mich dann angefasst." Wie Demes haben auch andere Sportlerinnen lange geschwiegen, teilweise aus Ohnmacht oder Angst, keinen anderen Trainer zu finden - wodurch möglicherweise die sportlichen Träume platzen könnten.
"Aus meiner Sicht hat der Sport massive Schutzlücken. Das liegt genau auch daran, dass Tatpersonen, die letztlich das Ziel der sexuellen Ausbeutung haben, sehr leicht in einen anderen Verband wechseln können", sagt Kerstin Claus, die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, in der Doku. Der DLV will diese Lücke im System jetzt so schnell wie möglich schließen. Damit Athletinnen in Zukunft nicht mehr das erleben müssen, was Demes und andere durchgemacht haben.