Nationalmannschaft

Erhält die DFB-Elf in Stuttgart einen Energieschub?

Der ständige Wackelkontakt bei den Deutschen führt zeitweise zu einem Systemausfall gegen Portugal. Im Spiel um Platz drei bei der Nations League geht es trotzdem um viel.

Unzufrieden weist der Bundestrainer die Richtung: Julian Nagelsmann beim Spiel in München.

© ODD ANDERSEN/AFP

Unzufrieden weist der Bundestrainer die Richtung: Julian Nagelsmann beim Spiel in München.

Von Carlos Ubina

Die Enttäuschung ist Joshua Kimmich ins Gesicht geschrieben gewesen. Trauriger Blick, nach unten gezogene Mundwinkel, gerunzelte Stirn. Doch der Nationalspieler blieb in seiner Haltung aufrecht, obwohl es ja wieder nichts wird mit seinem Traum, eine Trophäe im Trikot mit dem Bundesadler in den Abendhimmel zu recken.

Seit 2017 und dem Gewinn des Confedcups wartet die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit Kimmich darauf, einen Titel zu holen. Jetzt ist auch das Titelchen bei der Mini-EM futsch. Nach dem 1:2 gegen Portugal im Halbfinale der Nations League bleiben dem DFB-Team Ernüchterung über den aktuellen Leistungsstand und das Spiel um Platz drei in Stuttgart gegen Frankreich, das im zweiten Halbfinale Spanien mit 4:5 unterlag.

„Wir haben es nicht geschafft, unsere Energie auf den Platz zu bringen. Man hat nicht gemerkt, dass wir eine Siegermentalität haben, dass wir eine gewisse Gier haben, dass wir ins Finale wollen“, redete Kimmich nach der Niederlage in München Klartext. So nicht, meinte der Kapitän und richtete in der Kabine eine kurze Ansprache an die Mitspieler.

Als Appell an das Ehrgefühl und als Sensibilisierung für die große WM-Mission im nächsten Jahr nach seinem 100. Länderspiel-Einsatz darf man Kimmichs Kritik wohl verstehen. Denn die vielen verletzungsbedingten Ausfälle wollte der 30-Jährige nicht als Ausrede gelten lassen. „Wir müssen verstehen, wenn wir nicht bei hundert Prozent sind, können wir nicht gegen ein Topteam bestehen. Wir müssen jeden Spieler am Limit haben“, meinte der Rechtsverteidiger.

Das gelang nicht. Im Grunde steckte von Beginn an ein Wackelkontakt im Spiel. Angefangen mit der ersten Aktion von Jonathan Tah, der sich gleich verschätzte. Der erste Wackler des Innenverteidigers, an den sich weitere reihten. Auch dadurch ging später jede Stabilität verloren, da es in der DFB-Elf nicht nur einen Wackelkandidaten in Schlüsselszenen gab.

Robin Gosens, Serge Gnabry und Niclas Füllkrug gesellten sich nach ihren Einwechslungen dazu. Sie kamen beim Stand von 1:0 durch Florian Wirtz (48.) nach etwa einer Stunde – und die Maßnahmen trugen anschließend zum zeitweiligen Systemausfall bei. „Eigentlich wollten wir schon in der Halbzeit wechseln. Wir waren sehr schläfrig und wollten Energieträger reinbringen“, erklärte der Bundestrainer Julian Nagelsmann. Doch Gosens ließ sich von Francisco Conceição (62.) vor dem Ausgleich düpieren und Gnabry wirkte vor dem Tor von Cristiano Ronaldo (68.) in der Defensivarbeit teilnahmslos. Füllkrug fand keine Bindung zum Spiel. „Wir haben zwei heftige taktische Fehler gemacht, die zu den Gegentoren geführt haben. Dadurch ist die Dynamik im Spiel gekippt“, sagte Nagelsmann.

Doch schon zuvor ging die Kontrolle mehr und mehr verloren. Trotz Führung. Es stellte sich einfach keine Sicherheit ein – und schlimmer noch: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir das Spiel nach dem Rückstand noch einmal drehen können“, sagte Kimmich. Die Deutschen liefen hinterher – und die Portugiesen demonstrierten, was in puncto Taktik, Technik und Tempo der neue Standard im europäischen Spitzenbereich ist. Ähnlich wie es wenige Tage zuvor im triumphalen Champions-League-Finale Paris Saint-Germain an gleicher Stelle auf Vereinsebene mit portugiesischen Hauptfiguren getan hatte.

Die Mannschaftsteile bewegen sich so kompakt und variabel, dass dem Gegner kaum Luft zum Atmen und Raum für das eigene Spiel bleibt. Die Pässe werden so scharf und präzise gespielt, dass kaum ein Verteidigerbein dazwischenkommt, die Einzelkönner sind so ballversiert und schnell, dass sie den Abwehrblock des Gegners zerbröseln lassen. Und Portugals Nationalcoach Roberto Martinez konnte mit Conceição und dem zuvor geschonten Vitinha nachlegen.

Der DFB-Kader ist in der Breite offensichtlich nicht so edel besetzt, wie gerne erzählt wird. Was diesmal auch daran lag, dass in Jamal Musiala, Kai Havertz, Angelo Stiller, Antonio Rüdiger und Tim Kleindienst fünf potenzielle Stammkräfte fehlten. Nagelsmann versuchte dieses Manko an individueller Klasse über mannschaftliche Geschlossenheit aufzufangen.

Der Bundestrainer redete die Gruppe nach Erfolgen zuvor weiter stark – und musste hinterher einräumen: „Wir müssen hundert Prozent geben, dann können wir mit den Topnationen mithalten oder sind sogar besser. Wenn du nicht zu hundert Prozent attackierst, dann kann dich auch jede Drittligamannschaft auseinander spielen. Wir haben diesmal nicht mit hundert Prozent gespielt, darum haben wir nicht gewonnen.“

Zwei Niederlagen gab es in den vergangenen 18 Länderspielen: gegen Spanien im EM-Viertelfinale 2024 und nun gegen Portugal im Semifinale der Nationenliga. Eine dritte bittere Pille soll im Spiel um den Trostpreis am Sonntag in Stuttgart vermieden werden. „Mir geht es dabei weniger um die Platzierung“, betonte Nagelsmann, „ich will vielmehr eine starke Leistung sehen. Wir müssen jedes Spiel nutzen, um uns zu entwickeln.“ Denn ansonsten läuft die Nationalmannschaft Gefahr, dass sie bald nicht mehr mit breiter Brust daherkommt, sondern eher schmalbrüstig.

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Erstellt:
5. Juni 2025, 13:26 Uhr
Aktualisiert:
6. Juni 2025, 09:41 Uhr

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