Lutherstadt Wittenberg

Erster Ost-Kongress der Grünen: Kann das die Partei retten?

Schwer hatten es die Grünen in Ostdeutschland schon immer, inzwischen kämpfen sie dort ums Überleben. Nun hat die Partei zu ihrem ersten Ost-Kongress eingeladen. Doch was folgt daraus?

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt stammt aus Thüringen – und warb in Wittenberg dafür, mehr von Ostdeutschen zu lernen.

© Bodo Schackow/dpa

Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt stammt aus Thüringen – und warb in Wittenberg dafür, mehr von Ostdeutschen zu lernen.

Von Rebekka Wiese

Ilko-Sascha Kowalczuk braucht keinen Sprechzettel. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt steht der Historiker am Sonntagmorgen auf einer Bühne im Stadthaus von Wittenberg. Kowalczuk, eine der wichtigsten Stimmen zur ostdeutschen Geschichte, spricht über die Frage, ob die Wende ein Erfolg war oder eine Baustelle geblieben ist. „1989 hat uns auf den Weg mitgegeben, nie wieder politisch pessimistisch zu sein“, sagt er. „Weil wir etwas geschafft haben, was wir alle nicht für möglich gehalten hätten.“ Dann fügt er hinzu: „Mir ist dieser Optimismus abhandengekommen.“

Es ist der letzte Tag des ersten Ost-Kongresses der Grünen, zu dem sie am Wochenende nach Wittenberg eingeladen hatten. 480 Menschen kamen laut Partei dabei zusammen. Es gab Workshops und Diskussionsrunden, Konzerte und Spaziergänge an die Elbe. Der Kongress ist Teil einer größeren Initiative, mit der die Partei eine Art Comeback in Ostdeutschland versucht – oder einen weiteren Startversuch. Denn schwer war es für die Grünen im Osten schon immer. So pessimistisch wie Kowalczuk, der als Gast auf dem Abschluss-Podium sprach und der befürchtet, dass ein autoritäres Zeitalter bevorsteht, klangen zwar nur wenige Stimmen auf dem Kongress. Doch klar ist auch: Wenn die Grünen in Ostdeutschland nicht untergehen wollen, müssen sie etwas verändern.

In Sachsen-Anhalt bei drei Prozent

Grüne kommen in Sachsen-Anhalt auf drei Prozent

Bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr flog die Partei in Brandenburg und Thüringen nicht nur aus den Regierungen, sondern auch aus den Parlamenten. Ein ähnliches Szenario droht im kommenden Jahr, wenn die Landtage in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gewählt werden. Vor Kurzem gab es eine Umfrage für Sachsen-Anhalt. Aktuell kämen die Grünen auf rund drei Prozent.

Wie schwer der Wahlkampf in einem Jahr in Sachsen-Anhalt wird, kann man an diesem Wochenende in Wittenberg erahnen. Zum Beispiel bei einem der Workshops, in denen sich Grüne aus Kreisverbänden aus dem ländlichen Raum untereinander austauschen. Etwa 50 bis 60 Teilnehmende sind in einem Raum mit dicken Steinwänden und Fachwerkbalken zusammengekommen. Vorn steht Cornelia Lüddemann. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt und moderiert den Austausch. „Ich habe da eine durchaus authentische Erfahrung“, sagt sie über das politische Leben im ländlichen Raum.

Grünen-Kreisverbände auf dem Land haben es schwer

Lüddemann gehört zum Kreisverband Dessau-Roßlau. „Bei uns steht jedes einzelne Mitglied viel stärker im Fokus“, sagt sie. „Wenn wir Veranstaltungen haben, ist es schwer, sich wegzuducken.“ Es sei schwierig, Menschen zu finden, die sich für Ämter und Mandate aufstellen lassen wollen. Kleine Kreisverbände hätten auch weniger Ressourcen, sagt sie. Was es noch schwieriger mache, in Wahlen zu bestehen.

Grünen-Mitglied auf dem ostdeutschen Land zu sein, sei auch gefährlicher als in Großstädten im Westen, sagt Lüddemann. „Unsere Mitglieder werden nicht nur ausgegrenzt, sondern auch persönlich angegriffen.“ Man müsse mit Konsequenzen rechnen, wenn man sich als Grüner positioniere. So würden die Kinder mancher Mitglieder etwa nicht mehr zu Geburtstagen eingeladen.

Grünen-Mitglieder wachsen – auch in Ostdeutschland

Trotzdem zeigen Zahlen der Partei, dass die Grünen die Anzahl ihrer Mitglieder in den vergangenen Jahren auch in Ostdeutschland steigern konnten. 2015 gab es noch 4452 Grüne in Ostdeutschland. Knapp zehn Jahre später hat sich das fast verdreifacht: 12 542 Mitglieder zählten die Grünen Ende 2024 in den ostdeutschen Bundesländern – ohne Berlin. Es ist ein Phänomen, das die Grünen bundesweit kennen: Ihre Mitgliederzahlen wachsen. Doch bei Wahlen sinkt die Zustimmung.

Von den 480 Teilnehmenden des Ost-Kongresses kamen laut Partei circa 200 Personen aus ostdeutschen Kreisverbänden – ohne Berlin. Von dort waren 80 Menschen angemeldet, 100 weitere aus den westdeutschen Verbänden. Und etwa 100 Personen kamen, ohne Mitglied der Grünen zu sein.

Die Themen zu städtisch, die Sprache zu fremd

Im Workshop von Cornelia Lüddemann melden sich etliche Teilnehmende zu Wort. Ein Thema, das immer wieder aufkommt: Dass der Wahlkampf nicht zu den Regionen passe. Ein Mann in brauner Lederjacke aus Brandenburg erzählt, dass die Themen auf den Plakaten im letzten Wahlkampf sehr städtisch gewesen seien – und die Sprache zu fremd, nicht alltagstauglich genug.

Von Ostdeutschland lernen?

Ob der Ost-Kongress daran etwas ändert? Spricht man an dem Wochenende mit den Teilnehmenden, hört man verschiedene Meinungen. Den Kongress selbst halten die meisten für gelungen. Was sich viele aber fragen, ist, was nun folgt – und ob die Grünen auch langfristig bereit sind, dahin zu schauen, wo es am schwierigsten für sie ist.

Bei der Abschlussdiskussion am Sonntag spricht auch Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Grünen-Fraktion. Göring-Eckardt ist in Thüringen geboren und aufgewachsen, sie lebt inzwischen in der Nähe von Erfurt. Sie spricht sich dafür aus, stärker auf die ostdeutschen Erfahrungen zu schauen. Es ginge nicht so sehr darum, dass Westdeutsche mehr über Ostdeutschland lernen, sagt Göring-Eckardt. „Sondern von den Ostdeutschen.“

Zum Artikel

Erstellt:
15. September 2025, 18:10 Uhr
Aktualisiert:
15. September 2025, 18:24 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen