Neu im Kino
Es ist kein Zufall, wo die Liebe hinfällt
Im scheinbar leichten Gewand einer romantischen Komödie kommt Celine Songs „Was ist Liebe wert“ daher, um in die bittersüße Realität des Dating-Geschäftes einzutauchen.

© epd/Atsushi Nishijima/Sony Pictures Germany
Dakota Johnson als Lucy und Pedro Pascal als Harry in „Was ist Liebe wert – Materialists“.
Von Martin Schwickert
Als ein Mann auf der Straße ihr mit begehrlichen Blicken hinterherschaut, geht Lucy (Dakota Johnson) direkt auf ihn zu. „Sind Sie Single?“, fragt sie und drückt dem verdutzten Passanten ihre Visitenkarte in die Hand.
Lucy arbeitet in New York als Heiratsvermittlerin und sie ist gut in ihrem Job. Ihre Klientel ist wohlhabend und anspruchsvoll. Das, wonach sie suchen, findet sich nicht auf Tinder. Sie gehören zur urbanen Elite – da will der oder die Zukünftige mit Sorgfalt und nicht durch beliebiges Swipen auf der Dating-App ausgesucht werden. Für Lucy gleicht jede Hochzeit einem Business-Deal, der genau verhandelt werden muss, damit beide Seiten zufrieden sind. Das betrifft vor allem – aber nicht nur – die finanziellen Aspekte. Wenn Lucy die Erwartungshaltung ihrer Kundschaft erforscht, stehen bei Männern vor allem körperliche Merkmale, bei Frauen hingegen das Jahreseinkommen an erster Stelle. Unter 100 000 Dollar im Jahr gilt ein Mann als schwer vermittelbar. Auch die Körpergröße ist entscheidend. Männer kleiner als 1,80 m sind für die meisten Klientinnen ebenso inakzeptabel wie fehlende oder lückenhafte Kopfbehaarung.
Mehrfach reiht Celine Song in ihrem neuen Film „Was ist Liebe wert – Materialists“ in kurzer Folge die Aufnahmegespräche aneinander, in denen Frauen und Männer ihre oftmals übersteigerten Ansprüche evaluieren. Wie in einem Baukasten werden in Gedanken die idealen Ehepartnerinnen und -partner zusammengesetzt. Eine Klientin hat sogar einen mehrseitigen Erwartungskatalog angefertigt. Schließlich sei sie „ein guter Fang“. Ein Mittvierziger hat bisher nur junge Frauen gedatet und will sich nun auf etwas reifere Frauen konzentrieren. Älter als 30 sollen sie jedoch nicht sein. Nein, eigentlich sei 27 die Grenze.
Lucys Aufgabe besteht darin, die Vorstellungen ihrer Kundschaft zu verifizieren, zu kategorisieren und gegebenenfalls nach unten zu korrigieren. Es sind mitunter lange Verhandlungsgespräche, die die Heiratsvermittlerin mit taktischen Geschick und Empathievermögen führt. Denn bei aller Geschäftlichkeit geht es auch darum, die Hoffnung aufrecht zu erhalten, dass dort draußen der oder die Richtige wartet. Tag für Tag mit den Härten des Dating-Geschäftes konfrontiert, hält sich Lucy selbst vom Markt fern, bis sie bei einer Hochzeit auf Harry (Pedro Pacal) trifft.
Der Trauzeuge ist das, was man in Lucys Branche ein Einhorn nennt: betuchter Investmentbanker, reiche Familie, gute Manieren, charmant, schlank, volles Haar. Die Agentin möchte den Mann für ihre Kartei. Harry jedoch will nur sie. Aber dann steht plötzlich der Kellner John (Chris Evans) an ihrem Tisch, in mäßig erfolgreicher Schauspieler. Er und Lucy sind in ihren Zwanzigern gemeinsam mit wenig Geld und großen Hoffnungen nach New York gezogen. Aber irgendwann hat Lucy das Leben am Existenzminimum in dieser überteuerten Stadt nicht mehr ausgehalten und sich von John getrennt. „Ich hasse mich dafür“, hatte sich schon damals gesagt und auch heute sind die Anziehungskräfte zur früheren Jugendliebe keineswegs versiegt.
Aber während John immer noch in einer schmuddeligen WG lebt und ein schrottreifes Auto fährt, hat sich Lucy zur bekennenden Materialistin entwickelt. Und aus ihrer neuen Lebenseinstellung macht sie keinen Hehl. Als sie zum ersten Mal mit Harry knutschend in dessen Penthouse-Apartment steht, hält sie die Augen weit geöffnet, um den Wert der 12 Millionen Dollar teuren Immobilie zu vermessen. Aber dann durchbricht ein gewaltsames Ereignis, das einer ihrer Kundinnen widerfährt, die harte, professionelle Schale der Heiratsvermittlerin und bringt ihre Gewissheiten ins Wanken.
Im scheinbar leichten Gewand einer romantischen Komödie kommt „Was ist Liebe wert“ daher, um in die bittersüße Realität des Dating-Geschäftes einzutauchen. Ohne moralische Verurteilung werden die unbarmherzigen Mechanismen des Beziehungsmarktes ausgelotet, in dem Liebe als die Erfüllung eines ausgeklügelten Kriterienkataloges betrachtet wird. Wer nicht vermittelt werden kann, muss sich dem Markt anpassen – zur Not mit einer Beinverlängerung, die für Männer wie die Brustvergrößerung für Frauen zum echten „Gamechanger“ werden kann.
Wie schon in ihrem hinreißenden Debüt „Past Lives“ (2023) installiert Regisseurin und Drehbuchautorin Song auch hier ein Liebesdreieck, in dem es keine richtigen Entscheidungen zu geben scheint. Bei der Darstellung eines Metiers verweigert sich Song jeglicher Stereotypisierung und überzeugt auch hier wieder bei der Zeichnung der Figuren durch differenziertes Einfühlungsvermögen. Dakota Johnson füllt die Rolle der abgebrühten Heiratsvermittlerin, die ihre Maximen zu hinterfragen beginnt, mit der ihr eigenen charismatischen Tiefenentspanntheit aus. Auch wenn der Film in der Welt des Wohlstands und Reichtums angesiedelt ist, verweist er weit über sein soziales Milieu hinaus – und lässt sich am Ende sogar zu einer keineswegs schalen, romantischen Schlusswendung hinreißen.
„Was ist Liebe wert – Materialists“, Regie: Celine Song, mit Dakota Johnson, Pedro Pascal, Chris Evans, 116 Minuten, FSK 0,