Manosphere auf Tiktok
„Es ist sehr einfach, sich auf Social Media zu radikalisieren“
Auf Tiktok haben frauenfeindliche Videos Hochkonjunktur. Diese können dazu beitragen, dass sich junge Männer radikalisieren. Ein Theater-Kollektiv hat versucht, das zu verhindern.

© IMAGO/Bihlmayerfotografie
Junge Menschen verbringen viel Zeit in Sozialen Medien wie Tiktok – und stoßen dort auf problematische Inhalte (Symbolbild).
Von Annika Mayer
Ein 16-Jähriger muss nicht einmal neun Minuten auf Tiktok scrollen, bis über seinen Smartphone-Bildschirm laut einer Studie der Dublin City University problematische Inhalte flimmern. Videos, in denen andere Männer ihm sagen, dass er stark und erfolgreich sein muss, niemals Schwäche zeigen darf. Videos, die ihm erklären, dass der Feminismus und die Frauen an all seinen Problemen schuld sind. Neun Minuten, bis er in Kontakt kommt mit Inhalten der Manosphäre, einer digitalen Bewegung, die frauenfeindliche und antifeministische Inhalte teilt.
Die Denkweisen, die in den Videos vermittelt werden, können dazu beitragen, dass junge Männer sich radikalisieren. Wie gefährlich das sein kann, hat kürzlich die virale Netflix-Serie „Adolescence“ in das öffentliche Bewusstsein gerückt. In der Serie ermordet ein Teenager eine Klassenkameradin, unter anderem, weil er in den Sog frauenfeindlicher Ideologien im Netz geraten ist.
Wie kann man die Radikalisierung von jungen Männern auf Tiktok stoppen? Das Kollektiv Onlinetheater.live, ein Zusammenschluss von Kunstschaffenden, hat versucht, diese Prozesse zu stören. Drei Monate lang postete das Team im Zuge des Projekts „Myke“ Videos auf Tiktok, die ein Gegengewicht zu antifeministischem Content und problematischen Darstellungen von Männlichkeit bilden sollten. Teil des Kollektivs ist die Schauspielerin Luzia Oppermann. Mit ihr haben wir darüber gesprochen, wie sich junge Männer im Netz radikalisieren – und wie man sie erreichen kann, um das zu verhindern.
Legt man sich ein Profil als junger Mann auf Tiktok an, braucht es nur wenige Minuten, bis man auf das erste Video aus der Manosphere stößt. Warum geht das so schnell?
Dieser Content funktioniert auf Tiktok wahnsinnig gut, weil er radikal ist und er viele Emotionen auslöst. Der Algorithmus von Tiktok pusht alles, was angeschaut wird. Und das ist meistens Content, der polarisiert. Maskulinisten haben außerdem gute Strategien, um sich in den Feed reinzupflanzen. Sie knüpfen an andere Themen an: Fitness ist zum Beispiel ein einfaches Thema, zu dem du viele Videos machen kannst und dann deine eigenen Botschaften dazwischen streust. So kann es schnell passieren, dass du dich als junger Mann für Fitness-Videos interessierst und auf einmal in die maskulinistische Bubble kommst.
Was genau ist Maskulinismus?
Ein übersteigertes Männlichkeitsdenken. Maskulinismus ist eine Männerrechtsbewegung, die sich als Widerstandsbewegung gegen den Feminismus versteht. Der Begriff Männerrechtsbewegung ist aber irreführend, weil in unserer Gesellschaft das Recht bereits für Männer ausgelegt ist. Maskulinisten wiederholen das Narrativ, dass Männer eigentlich unterdrückt sind. Dabei geht es ihnen nicht darum, Probleme zu lösen, sondern um Macht. Maskulinismus ist mittlerweile auch ein großes Geschäftsmodell. Auf Tiktok versuchen diese Männer, Dinge zu verkaufen und Leute für ihre Workshops zu rekrutieren.
Vor allem junge Menschen verbringen viel Zeit auf Social Media. Welches Männerbild und welches Frauenbild werden ihnen von Maskulinisten vermittelt?
Maskulinisten geht es darum, konservative Geschlechterrollen zu verstärken. Den jungen Männern wird gesagt, sie sollen viel trainieren, ihre Gefühle unterdrücken und keine Schwäche zeigen. Es gibt auch viele Videos, in denen es darum geht, dass man sich auf niemanden verlassen kann und man alleine weiterkämpfen muss. Geld ist ebenfalls ein großes Thema. Das Ziel soll sein, reich zu werden und hart dafür zu arbeiten, auch wenn es einem schlecht damit geht. Frauen sind für Maskulinisten teilweise richtige Feindbilder. Sie würden Männer zerstören wollen, ihnen den Platz wegnehmen wollen und sie manipulieren. Es geht ihnen vor allem darum, Frauen abzuwerten, um sich selbst besser darzustellen und zu rechtfertigen, dass es eine maskulinistische Bewegung braucht.
Wie leicht können sich junge Männer radikalisieren, wenn sie täglich diese Videos sehen?
Radikalisierung passiert über einen längeren Zeitraum, man geht etwa von einem halben Jahr aus. Durch die Tiktok-Videos bekommt man die ganze Zeit Mikroimpulse. Wenn man sich von Inhalten der Männerrechtler gesehen fühlt und diese ständig sieht, übernimmt man irgendwann die Narrative und das Denken, wenn man nicht reflektiert genug ist. Tiktok zeigt dir auch immer mehr davon an, was du selbst anschaust. Und dadurch, dass die Plattform so gebaut ist, dass du schnell in einer problematischen Bubble landest, ist es sehr einfach, sich auf Social Media zu radikalisieren. Oft gibt es dann einen Punkt, an dem Personen die Plattform wechseln und zum Beispiel Gruppen auf Telegram beitreten, um sich zu vernetzen. Dann hört man irgendwann keine andere Meinungen mehr.
Welche Folgen kann das haben?
Wenn man sich mit maskulinistischem Content radikalisiert, kann das im schlimmsten Fall zu Femiziden, Attentaten oder Suiziden führen. Es kann auch schnell passieren, dass die Personen sich abschotten und vereinsamen. Denn diese Videos schaden auch den Männern. Du darfst ganz viel nicht sein. Nicht emotional, nicht schwach, nicht weiblich. Und das ist super brutal.
Warum zieht dieser Content junge Männer so an?
Ich denke, da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Unter anderem gibt es auf Tiktok einfach eine Masse an Angebot. Und in unserer Gesellschaft, im Patriarchat, sind Männer nach der Suche nach Vorbildern. Gerade wenn Menschen an einem Umbruch in ihrem Leben stehen, nach dem Abitur oder wenn sie eine Ausbildung beginnen, suchen sie nach Orientierung. Das machen sich Maskulinisten zunutze. Unsere Welt ist insgesamt einfach sehr komplex und es gibt viele Krisen. Da ist das Bedürfnis nach einfachen Antworten sehr groß.
An diesem Punkt setze euer Projekt Myke an. Euer Ziel war es, Radikalisierungsprozesse auf Tiktok zu stören. Wie seid ihr vorgegangen?
Wir wollten am Anfang dieses Prozesses eingreifen, wo Menschen noch zugänglich für andere Inhalte sind und uns dabei an junge Männer richten. Wir hatten das Gefühl, dass da ein großer Bedarf an anderen Erzählungen von Männlichkeit herrscht und wollten dort neue Impulse setzen. Dazu haben wir eineinhalb Jahre recherchiert, auf Tiktok und im Gespräch mit Personen mit Expertenwissen. Schließlich haben wir drei Accounts mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten erstellt. Für diese haben wir dann Videos produziert, die die Sprache und Ästhetik von maskulinistischem Content kopieren, aber andere Botschaften vermitteln.
Welche Botschaften waren das genau?
Unser Kernthema war der Umgang mit Gefühlen. Wir haben versucht, zu zeigen, dass sie normal sind und wie man mit ihnen umgehen kann. Auf einem unserer Accounts, der sich mit Dating beschäftigt hat, ging es auch um das Thema Konsens, also dass beide Seiten mit dem einverstanden sind, was zwischen ihnen passiert.
Wie haben eure Accounts versucht, das zu vermitteln?
Alle sahen etwas anders aus. Einer unserer Accounts war „alex.new.mindset“. Der Protagonist sollte wie ein großer Bruder oder Coach sein. Er hat beispielsweise Tipps gegeben, wie man Gefühle zeigt. Der Protagonist redet mit einem hohen Energielevel in die Kamera, spricht die Menschen direkt an und nennt sie „Bros“. Das sind Merkmale, die in vielen maskulinistischen Videos vorkommen und die wir kopiert haben.
Und wie sahen die anderen Accounts aus?
Auf dem zweiten Account ging es um Dating, er ist inspiriert von Dating Coaches, von denen es viele auf Tiktok gibt. Bei dem Account ging es darum, dass wir Raum geben für Unsicherheiten beim Sex und Dating, die natürlich auch Männer haben und dass diese komplett normal sind. Der Protagonist wurde in den Videos gleichzeitig bei der Hausarbeit gezeigt, um zu normalisieren, dass Männer den Haushalt schmeißen. Der dritte Account drehte sich um einen jungen Mannes, der frisch getrennt ist und einen mitnimmt auf der Reise zu sich selbst und seine Gefühle besser zu verstehen.
Das Wort „Feminismus“ habt ihr versucht in euren Videos zu vermeiden, um junge Männer nicht abzuschrecken. Wie habt ihr trotzdem weibliche Perspektiven einfließen lassen?
Das Projekt war ein feministisches Projekt, auf allen Accounts ist die Perspektive von Frauen eingeflossen. Auf dem Profil zum Thema Dating gab es zum Beispiel ein Video dazu, dass man mit seiner Partnerin auf Augenhöhe darüber reden sollte, was einem jeweils beim Sex gefällt. Der Account „alex.new.mindset“ hat als einziger das Thema Feminismus auch benannt. Da ging es in Videos darum, dass Frauen nicht schuld sind, sondern dass es oft Männer sind, die sich zu bestimmten Verhaltensweisen anstacheln.
Drei Monate habt ihr auf Tiktok Impulse für eine andere Männlichkeit gesetzt. Kam eure Botschaft auch an?
Wir hatten mit unseren Videos um die vier Millionen Views und 70.000 Likes. Vor allem der Account „alex.new.mindset“, der große Bruder, hat viele Interaktionen bekommen. Aber alle Accounts waren erfolgreich und haben die Zielgruppe erreicht. Uns war es wichtig, den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen und das haben wir geschafft. Drei Monate sind natürlich viel zu kurz, um nachhaltig etwas zu bewegen. Im besten Fall haben wir jemanden einen Impuls gegeben und die Person hat dann angefangen, sich selbst damit auseinanderzusetzen.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir versuchen im Moment, Leute zu animieren, unseren Ansatz weiterzuverfolgen: In eine Bubble zu gehen, zu versuchen sie zu verstehen und mit deren Sprache und Ästhetik andere Inhalte reinzubringen. Das funktioniert echt gut und es braucht viel mehr Leute, die das ausprobieren. Insgesamt ist auch mehr Förderung für Personen, die Content auf Social Media machen, nötig. Die Sozialen Netzwerke sind eine Erweiterung des öffentlichen Raums und Online-Theater und Online-Sozialarbeit müssten viel mehr unterstützt werden.
Zur Person
Luzia OppermannDie Österreicherin Luzia Oppermann ist 30 Jahre alt und hat Schauspiel an der Akademie der Bildenenden Künste in Ludwigsburg studiert. Neben ihren Projekten im Rahmen des Onlinetheater.live ist sie als Schauspielerin für Film und Theater tätig. Kürzlich war sie bei den Filmfestspielen in Cannes für ihre Rolle im Film „Sound of Falling“ zu Gast.
Das Onlinetheater.liveBei dem Onlinetheater.live handelt es sich um einen Zusammenschluss von Personen, die online künstlerisch arbeiten. Der Hauptfokus der Projekte des Kollektivs liegt auf Deradikalisierung im Netz.