Nahost-Konflikt

Europas Balanceakt in Sachen Israel

Die EU findet keine gemeinsame Linie gegenüber der Regierung in Jerusalem. Der Grund liegt auch in der Geschichte der Staaten selbst.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas ist dafür, angesichts des Vorgehens der israelischen Armee im Gazastreifen, das Partnerschaftsabkommen der EU mit Israel zu hinterfragen.

© JOHN THYS/AFP

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas ist dafür, angesichts des Vorgehens der israelischen Armee im Gazastreifen, das Partnerschaftsabkommen der EU mit Israel zu hinterfragen.

Von Knut Krohn

Den Botschafter eines Landes einzubestellen ist eine harsche Warnung. Auf der Skala diplomatischer Gesten entspricht das einem sehr lauten Türenknallen. Nach den Schüssen israelischer Streitkräfte in Richtung einer Diplomaten-Delegation im besetzten Westjordanland, haben Frankreich Italien, Spanien und Belgien angekündigt, dieses deutliche Zeichen zu setzen. Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot bezeichnete das Geschehen als „nicht hinnehmbar“. Deutschland wählt in diesem Fall einen anderen, weit weniger spektakulären Weg. Das Auswärtige Amt teile mit, dass Außenminister Johann Wadephul mit seinem israelischen Kollegen Gideon Saar telefoniert habe.

Deutschland geht seinen eigenen Weg

Wieder mal geht Berlin, als einer der treusten Unterstützer Israels, einen eigenen Weg und macht damit deutlich, dass die Staaten der Europäische Union in ihrem Verhältnis zu Israel keine einheitliche Linie verfolgen. Allerdings ist Deutschland angesichts der wachsenden Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen und am dortigen Leiden der Zivilbevölkerung zunehmend isoliert. Die Haltung Berlins stößt in Brüssel oft auf Unverständnis. Zu hören ist, dass gerade Deutschland, das für den industriellen Massenmord an den Juden verantwortlich ist und damit eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel hat, sich in dieser Situation stärker engagieren und mäßigend auf die Regierung in Jerusalem einwirken müsste. Die uneinheitliche Linie innerhalb der Union ist auch ein zentraler Grund dafür, dass Brüssel als Vermittlerin in dem Konflikt praktisch ausfällt.

Verschiedene Blickwinkel auf den Konflikt

Die unterschiedlichen Blickwinkel der EU-Länder auf die Vorgänge im Nahen Osten liegen meist tief in ihrer eigenen Geschichte begründet. Besonders laute Fürsprecher finden die Palästinenser etwa in Irland. Einer der Gründe für diese Solidarität findet sich im Jahr 1917. Damals forderte Großbritannien in der sogenannten Balfour-Deklaration eine jüdische Heimstätte im seinerzeit osmanisch kontrollierten Palästina. Bei den Iren war Londons Außenminister Arthur Balfour allerdings verhasst, denn der wehrte sich vehement gegen die Selbstverwaltung Irlands. In der Folge unterdrückten in der damaligen Kolonie britische Paramilitärs die irischen Befürworter einer Unabhängigkeit. Viele Iren ziehen noch heute direkte Parallelen von ihrem eigenen Freiheitskampf zum Schicksal der Palästinenser.

Auch Spanien gehört zu den scharfen Kritikern Israels. Das wird oft mit der stark muslimisch geprägten Geschichte der Region begründet. Einen größeren Einfluss hat aber wahrscheinlich die Herrschaft von General Franco, die bis in die 1970er Jahre von einem offenen Antisemitismus geprägt war. Der Diktator witterte eine „jüdische Weltverschwörung“, die es zu bekämpfen gelte. Zum Problem wird nun, dass es in Spanien eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Franco-Diktatur nie gegeben hat.

Auch gekränkte Eitelkeiten spielen eine Rolle

Nun will keiner in Brüssel dem ehemaligen Außenbeauftragten der Europäischen Union, Josep Borrell, Antisemitismus unterstellen, weil er Spanier ist. Aber als Freund Israels gilt er auch nicht. Im November vergangenen Jahres war er mit der überraschenden Forderung vorgeprescht, den regelmäßigen politischen Dialog mit Israel auszusetzen. Als Grund nannte er Berichte, dass Israel bei seinem Vorgehen in Gaza die Menschenrechte missachte.

Das ist in diesem Fall allerdings nur eine Seite der Medaille. Denn bei dem Spanier kam wohl auch eine sehr große Portion gekränkte Eitelkeit hinzu. Der Grund: Unmittelbar nach dem Überfall der Hamas-Terroristen im Oktober 2023 reisten die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nach Israel, um dem angegriffenen Staat medienwirksam die Solidarität Europas zu versichern. Diese unabgesprochene Visite trieb allerdings den EU-Außenbeauftragte auf die Palme, denn er selbst befand sich zu jener Zeit auf einer lange geplanten China-Reise. Der Spanier fühlte sich hintergangen, denn schließlich lag die Richtlinienkompetenz in Sachen Außenpolitik bei ihm. Verärgert twitterte Borrell damals aus dem fernen Peking: „Die Position ist sehr klar, dass wir das Recht Israels auf Selbstverteidigung anerkennen, aber jedes Recht hat seine Grenzen. Und diese Grenzen sind das internationale Recht und die internationalen humanitären Rechte.“

Streit in der EU über das Partnerschaftsabkommen

Auch in diesen Tagen wird wieder darüber gestritten, wie der Dialog mit Israel weitergeführt werden soll. Inzwischen stellt die EU sogar ihr Partnerschaftsabkommen mit dem Land infrage. Bei einem Außenministertreffen habe sich eine Mehrheit dafür ausgesprochen, zu überprüfen, ob Israel sich noch an die Grundprinzipien des im Jahr 2000 geschlossenen Assoziierungsabkommens hält, sagte die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas in Brüssel. Zu diesen gehört, dass die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien auf der Achtung der Menschenrechte beruhen. Deutschland sprach sich gegen eine Überprüfung des Abkommen aus, stellte sich auch in diesem Fall an die Seite Israels und damit gegen die Mehrheit der EU-Staaten. Die Bundesregierung argumentiert unter anderem, dass sie die bestehenden Gesprächskanäle zu Israel nicht gefährden will.

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Erstellt:
22. Mai 2025, 16:40 Uhr

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