Facettenreiches Welt-Zeit-Panorama

Edition der Aufzeichnungen des Hinterbüchelberger Bauern Gottfried Klenk aus den Jahren 1810 bis 1858 ist zentraler Beitrag im Jahrbuch Württembergisch Franken 2019. Gerhard Fritz schätzt sie als eine herausragende Quelle ein.

Nicht nur Gottfried Klenk hat seine Umwelt genau wahrgenommen und vieles festgehalten, auch sein Bruder Jakob, der als Soldat in Napoleons Truppen dienen musste und fiel, hat diese Zeichnung angefertigt. Sie zeigt möglicherweise französische Soldaten in Uniformen von Napoleons Leibgendarmeriecorps der Garde. Foto: E. Klaper

Nicht nur Gottfried Klenk hat seine Umwelt genau wahrgenommen und vieles festgehalten, auch sein Bruder Jakob, der als Soldat in Napoleons Truppen dienen musste und fiel, hat diese Zeichnung angefertigt. Sie zeigt möglicherweise französische Soldaten in Uniformen von Napoleons Leibgendarmeriecorps der Garde. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Eine einzigartig vielseitige Quelle zur Heimat-, Agrar- und Sozialgeschichte des frühen 19. Jahrhunderts sind die Aufzeichnungen des Bauern Gottfried Klenk (1792 bis 1865) aus dem Murrhardter Teilort Hinterbüchelberg und seines Bruders, des Soldaten Johann Jakob Klenk (1785 bis 1812), aus den Jahren 1810 bis 1858.

Der Murrhardter Historiker Professor Gerhard Fritz, Dozent an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, und seine Studentin Susanne Krehlik aus Aalen legen im neuen Jahrbuch 2019 des Historischen Vereins für Württembergisch Franken eine vollständige Edition des Textes vor. Dazu hat Susanne Krehlik eine ausführliche Analyse und detaillierte, nach Themen gegliederte Erläuterungen ausgearbeitet. Klenks Aufzeichnungen finden sich in einem Büchlein zusammengebunden, das bisher im Haus Wurst im Murrhardter Teilort Steinberg aufbewahrt wurde. Heutige Eigentümerin ist Ulrike Miller, die in Nürtingen lebt. Nach Steinberg gelangte das Büchlein über weibliche Nachkommen von Gottfried Klenk. Dieser verfasste die Aufzeichnungen mit der Absicht, seine Nachkommen über „die allermerkwürdigsten Sachen“ zu informieren. Ungewöhnlich ist jedoch, dass der Bauer dabei überraschend weit über den Tellerrand seiner Familie, Landwirtschaft und des Geschehens in seiner Heimatregion hinausblickt. Sein Interesse gilt einer Vielzahl von Themen und Ereignissen, wobei er das, was draußen in der weiten Welt passierte, viel stärker ins Blickfeld nahm als das Geschehen im innerdeutschen Raum.

Trotz einer nur dreijährigen Schulzeit hat Gottfried Klenk später sehr viel gelesen.

„Gottfried Klenk verfasste ein facetten- und detailreiches Zeit- und Welt-Panorama, zugleich eine herausragende Traditionsquelle mit biografischen, zeit-, agrar- und klimahistorischen Elementen“, hebt Gerhard Fritz hervor. Der Autor war wohl eine sensible Persönlichkeit, da mehrere schwere Schicksalsschläge depressive Phasen bei ihm auslösten. So der Tod seines älteren Bruders Johann Jakob während Napoleons Russlandfeldzug 1812, der Umzug von seinem Geburtsort Hinterbüchelberg in den 1820er-Jahren auf die Hüttenhöfe bei Aalen, erzwungen durch die Erbteilforderung eines jüngeren Bruders, und der tragische Tod zweier Kinder.

Trotz seiner kurzen, wohl nur dreijährigen Schulzeit las Klenk offenbar gerne diverse Bücher und regionale Zeitungen, indes ist unbekannt, welche das genau waren. Aus diesen Quellen übernahm er in seine Aufzeichnungen alles, was er als besonders merkwürdig empfand. Eine zentrale Rolle in seinem Leben spielte der christliche Glaube in pietistischer Ausprägung und die zugehörige Frömmigkeitspraxis. So zitierte und adaptierte er eine Vielzahl von Textstellen aus der Bibel, einem Andachts- und Gebetbuch sowie Verse von Kirchenliedern.

„Von herausragendem Wert ist eine Zeichnung seines älteren Bruders Johann Jakob Klenk, der als Soldat zur Armee Napoleons eingezogen wurde“, betont Historiker Fritz. Sie zeigt zwei männliche Personen in auffälliger Kleidung. Christian Schweizer, Leiter des Carl-Schweizer-Museums, ist davon überzeugt, dass die Zeichnung zwei französische Soldaten in Uniformen von Napoleons Leibgendarmeriecorps der Garde darstellt. Jedoch bleibt unklar, wo Klenk diese sah, ob solche Soldaten im Raum Murrhardt unterwegs oder einquartiert waren.

Internationale Ereignisse und Geografie faszinierten Gottfried Klenk, dies beweisen detaillierte Beschreibungen, und es ist wahrscheinlich, dass das Schicksal seines Bruders Johann Jakob ein Grund dafür war. So enthalten die Aufzeichnungen einen ausführlichen Bericht über Napoleons Russlandfeldzug 1812, den er mit der Verbannung des französischen Kaisers „auf die Insel St. Helena in Afrika“ beendet. Für Klenk war Napoleon der Feind und Bösewicht schlechthin, „falsch und vom schrecklichen französischen Hochmut“. Insofern war es für den Bauern klar, dass die Russen den französischen Kaiser und dessen Armee besiegten. Überhaupt stand Russland im Fokus von Klenks Interesse. So schilderte er die Überschwemmung von St. Petersburg im November 1824, denn er betrachtete diese Katastrophe als eine Art gerechte göttliche Strafe für die Grausamkeiten der Russen gegen die Soldaten der napoleonischen Armee 1812. Weiter berichtete er über den Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich 1828 sowie den Krimkrieg mit schweren Kämpfen um die Seefestung Sewastopol 1856.

Dagegen erwähnte er die Revolution 1848 in Deutschland nur knapp, ebenso beschränkte er sich bei der Schilderung regionaler Ereignisse meist auf außergewöhnliche Unwetter oder Ernteerträge. So ein schweres Gewitter im August 1832, das weite Landstriche verwüstete. Der überwiegende Teil der Einträge besteht aus Beschreibungen des Wetters und der Ernte samt Entwicklung der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Darin spiegeln sich die starken Klimaschwankungen im 19. Jahrhundert wider.

Damals ging die sogenannte „kleine Eiszeit“ zu Ende, die im 16. Jahrhundert begonnen hatte, und seit etwa 1850 stieg die Durchschnittstemperatur wieder an. So gab es teils sehr kalte und schneereiche Winter, aber auch sehr heiße und trockene oder ungewöhnlich nasse Sommer. Ausführlich illustrierte Klenk das „Jahr ohne Sommer“ 1816 mit zahlreichen Überschwemmungen und Missernten, dessen Ursache der Ausbruch des Vulkans Tambora 1815 auf der indonesischen Insel Sumbawa war. Dazu zeichnete er große Unwetter und Klimaveränderungen mit gravierenden Folgen für die Landwirtschaft auf, die sich weit entfernt von seiner Heimat ereigneten.

Gottfried Klenk interessiert sich auch für Ereignisse wie Unwetter fernab der Heimat.

Der Bauer beschrieb auch außergewöhnliche Himmelserscheinungen, wie einen Kometen, der 1811 und 1812 gesichtet wurde, oder Polarlichter Anfang Januar 1831, die Klenk als Vorzeichen für etwas Böses oder Unglück deutete. Außerdem enthalten die Aufzeichnungen geografische Darstellungen über die Reiche und die Aufteilung der Welt samt einer Auflistung der herrschenden Könige und Kaiser. Klenk beschrieb überdies die Läufe großer Flüsse wie der Donau und des Rheins, aber auch der Newa, und verfasste einen „Bericht von Asien, Afrika und Amerika“.

Gerhard Fritz, der auch Mitglied der Schriftleitung des Jahrbuchs Württembergisch Franken ist, weist auf weitere interessante Beiträge hin. So Helmut Neumaiers Aufsatz über „Arme von Adel – Die Herren von Dienheim“ mit einer Fülle von (Hintergrund-)Informationen über die Schicksale armer oder verarmter Adeliger in der frühen Neuzeit. Aber auch Musikliebhaber kommen auf ihre Kosten in Elfi Jemillers Arbeit über den bisher kaum bekannten Organisten und Komponisten Michael Egelein und die Musikpflege an der Deutschordensresidenz Bad Mergentheim. Ebenso in Gerhard Weinzierls musikwissenschaftlicher Analyse der Werke Michael Egeleins und dessen Beherrschung des frühbarocken „neuen Stils“ mit sprachgerechter Melodiebildung, bildhaften Figuren und harmonischer Dichte.

Ein Leckerbissen für Kunstfreunde ist der Sondernachdruck mit einer Zusammenfassung von Beiträgen des Schwäbisch Haller Kunsthistorikers Wolfgang Deutsch über das Retabel (Aufsatz) des Riedener Marienaltars. Es ist ein Meisterwerk flandrischer Kunst aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, das 2017 als Leihgabe des Landesmuseums Württemberg nach Schwäbisch Hall ins Hällisch-Fränkische Museum kam.

Württembergisch Franken. Herausgegeben vom Historischen Verein für Württembergisch Franken, Band 103. 377 Seiten mit 95-seitigem Sondernachdruck, Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen. Schwäbisch Hall 2019, ISSN 0084-3067, 25 Euro.

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Erstellt:
22. Juni 2020, 06:00 Uhr

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