Form, Farbe und der Fantasie auf der Spur

Während die einen sich um die Übergänge von Farbtönen kümmern, vertiefen sich die anderen bei ihrer Studie in Perspektive, Proportionen und Schattierungen: Der Kunstunterricht in der Murrhardter Riebesam-Stiftung changiert zwischen spielerischem Angebot und gezielter Förderung.

Leonie Bidlingmaier und Agnesa Bejic (von links) beschäftigen sich mit Serge Poliakoff (1906 bis 1969) und arbeiten sich anhand ihrer Interpretation eines seiner Bilder in die moderne Stilrichtung ein. Fotos: Barbara Schroeder von Buttlar

Leonie Bidlingmaier und Agnesa Bejic (von links) beschäftigen sich mit Serge Poliakoff (1906 bis 1969) und arbeiten sich anhand ihrer Interpretation eines seiner Bilder in die moderne Stilrichtung ein. Fotos: Barbara Schroeder von Buttlar

Von Christine Schick

Murrhardt. Es ist Samstag, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben sich im Kunstraum mit großen Dachfenstern des Kulturhauses der Murrhardter Riebesam-Stiftung eingefunden und sind konzentriert bei der Arbeit. Leonie Bidlingmaier und Agnesa Bejic stehen nah zusammen und unterhalten sich über ihre Arbeit. Beide befassen sich mit einer Stilrichtung der Moderne, die sich aus den Ideen des Futurismus heraus entwickelt hat und ohne gegenständliche Darstellung auskommt, der sogenannten konkreten Kunst, wie Dozentin Barbara Schroeder von Buttlar später erläutert. „Es geht um die Interpretation eines Bildes von Serge Poliakoff, einem russischen Maler“, sagt Agnesa Bejic. Eine großflächige Form, die an ein U erinnert und in zwei Farbfelder aufgeteilt scheint, dominiert die Leinwände. Für die beiden geht es auch ums technische Können. „Wir haben die Farben selbst gemischt, müssen lernen, das umzusetzen“, erklärt Agnesa Bejic, und dass es bei den sanften Übergängen am Rand der Formen vor dem Hintergrund besonders knifflig wird. Leonie Bidlingmaier stimmt ihr zu.

Auch sie beschäftigt sich mit der Vorlage von Poliakoff. „Das ist spannend, wir sehen, wie die andere arbeitet, und die Fortschritte und können uns drüber unterhalten“, sagt sie. Über den Tipp einer Lehrerin kam die 22-Jährige vor über zehn Jahren zum Kunstunterricht in der Riebesam-Stiftung, möchte auch beruflich in diese Richtung gehen und beginnt bald mit einer Ausbildung als Grafikdesignerin. So richtig zu Hause fühlt sie sich im Zeichnen und Skizzieren. „Sie ist eine tolle Cartoon-Zeichnerin“, sagt Agnesa Bejic. Leonie Bidlingmaier zeigt einige Bilder auf dem Smartphone, bei denen sie sich außerdem selbst mit einem knalligen selbstgestalteten Kostüm in eine Anime-Figur verwandelt hat.

Auch Agnesa Bejic ist schon viele Jahre im Unterricht. Am Anfang steht die Freude am Zeichnen, jetzt will sich die 20-Jährige in die Malerei vertiefen. „Zu Beginn hab ich ganz viele Vasen gezeichnet“, sagt sie und grinst. Nun sei spannend, wie die Farben eingesetzt werden und was sie bedeuten. „Ich mag das Reduzierte und die Farben und Formen im Bild sprechen zu lassen“, stellt die junge Frau fest, die beruflich noch einen ganz anderen Bereich erobern will. Sie studiert Luft- und Raumfahrttechnik, eingebettet in die Ingenieurwissenschaften, an der Universität Stuttgart.

Ein Dachfenster weiter arbeitet die 20-jährige Georgia Mavrogiannidou an einem Porträt und muss sich dazu ganz in die Strukturen des Gesichts hineinfinden. Als sie von Griechenland nach Deutschland und Murrhardt kam, hörte sie vom Kursangebot und ist nun seit rund fünf Jahren mit von der Partie. Was macht sie richtig gern? Ein Stillleben mit Äpfeln, bei dem sie mit Ölkreide gearbeitet hat, hat sie begeistert, und Sophie Klein gleich nebenan erinnert sie an eine weitere Arbeit rund um eine griechische Landschaft. Die Nachbarin ist seit vier Jahren im Unterricht. Auch sie ist durch das Studium von Obstschalen und Stühlen gegangen. „Barbara hat dann irgendwann gesagt, jetzt wird es Zeit fürs Porträt und hat eine Vorlage ausgewählt“, erzählt sie. Die Dozentin zeigt das Bild von Augusta von Buttlar, einer Verwandten, das es zu kopieren gilt. Das Thema in diesem Fall sind Schattierungen. „Das zu lernen, ist später auch für die Pinselführung wichtig“, sagt Barbara Schroeder von Buttlar. Zwischen den beiden jungen Frauen liegt ein Anatomiebuch. Georgia Mavrogiannidou, die eine Ausbildung als Erzieherin und in der Kindheitspädagogik macht, weiß schon jetzt, dass sie auch ihren künftigen Schützlingen künstlerisches Arbeiten und Experimentieren vermitteln möchte.

Sophie Klein beschäftigt sich mittlerweile mit dem eigenen Antlitz – ein Selbstporträt ist angesagt. „Das ist noch mal schwieriger, sich selbst zu zeichnen“, findet sie. Die 19-Jährige ist sozusagen auf dem Sprung zum Studium, bei dem sich die Nähe zur Kunst noch entscheiden wird. Zur Auswahl stehen Medienwissenschaften und Produktdesign.

Marissa Noller und Patrick Gruschka haben da noch ein bisschen mehr Zeit, sie gehen beide noch zur Schule. Die 13-Jährige ist im Vergleich relativ frisch, seit rund einem Jahr dabei und ist von einer Malklasse für Jüngere in Fornsbach zu der nach Murrhardt gewechselt. Vor ihr auf dem Tisch liegt ihr aktuelles Projekt: Ein großer und kleiner Karton, leicht verkeilt und letzterer mit einem Riss im Material, die ihr als Modell dienen. „Ich bin gerade beim perspektivischen Zeichnen, sollte mir aber auch eine Geschichte ausdenken“, erzählt die 13-Jährige. Weil sie der Ukrainekrieg beschäftigt, überlegt sie zunächst, ob Panzer und Flugzeuge eine Rolle spielen sollen. Im Gespräch mit Barbara Schroeder von Buttlar entsteht ein neuer Ansatz und die Symbolik von großer und kleiner Schachtel wird klar. „Der Riss steht für Schmerz und Verletzung“, sagt die 13-Jährige. Der Unterricht mache ihr viel Spaß, auch wenn die Aufgaben manchmal fordernd und insofern anstrengend sein können, ergänzt sie.

Patrick Gruschka ist von seiner Vorlage her in einer völlig anderen Zeit unterwegs. Er hat sich den trinkenden Bacchus des Renaissancemalers Guido Reni vorgenommen. „Das ist einfach eine Studie, um zu lernen“, sagt der 15-Jährige. Mit der Schattierung habe er etwas zu früh angefangen, dann seien Korrekturen eigentlich kaum noch möglich. Auch bei ihm liegt das Anatomiebuch aufgeschlagen da. „Hände sind sehr schwer“, stellt er fest. „Bei den Fingern, die auf einer Linie liegen, geht es noch, aber beim Daumen muss man genau schauen, wo er hinführt.“ Er ist schon seit 2014 in der Gruppe und nimmt alles begierig auf, was er lernen kann. Immer mit dabei hat er sein Skizzenbuch und wenn zwischendurch mal Zeit ist, zeichnet er auch gern einen Comic.

Barbara Schroeder von Buttlar macht die Runde, lässt immer wieder Tipps fallen und hält ihre kleine Schar bei Laune. Es ist eine Balance zwischen einem intensiven Eingehen auf den Einzelnen und einem Fordern mit neuen Aufgabenstellungen. „Ich möchte, dass sie spielerisch an die Themen herangehen können. Aber auch die Auseinandersetzung mit Kunstgeschichte und den verschiedenen Techniken ist mir wichtig“, sagt die langjährige Dozentin. Nicht zuletzt sind die inneren Prozesse und das Eingehen auf die aktuelle Situation der Schülerinnen und Schüler für sie ebenso von Bedeutung. Schicht für Schicht stapele sich Wissen und Erfahrung übereinander. In einer Zeit der Selbstdarstellung und Ichbezogenheit bieten die Kunst und solch eine Gruppe die Chance, „sich zu öffnen für das, was ist oder was ich empfangen möchte“, so Barbara Schroeder von Buttlar.

Sophie Klein bei der Arbeit am Porträt von Augusta von Buttlar.

Sophie Klein bei der Arbeit am Porträt von Augusta von Buttlar.

Patrick Gruschka bei seiner Bacchus-Studie.

Patrick Gruschka bei seiner Bacchus-Studie.

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Erstellt:
11. August 2022, 06:00 Uhr

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