KI in der Archäologie
Forscher entdecken 3000 Jahre alte Hymne auf antike Stadt Babylon
Der Fund erstaunt die Fachwelt: Forscher haben eine 3000 Jahre alte Schrift aus Babylon mithilfe Künstlicher Intelligenz zusammengefügt. Ein Babylonier lobt darin seine Stadt.

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Babylon soll ein schrecklicher Ort des Laster, der Sünde und Verderbtheit gewesen sein, wie im Alten Testament der Bibel zu lesen ist.
Von Markus Brauer/dpa
Um die Stadt Babylon im antiken Mesopotamien ranken sich zahlreiche sagenhafte Geschichten. So sollen die Menschen dort alle hochmütig und hinterlistig gewesen sein. Die Stadt soll ein schrecklicher Ort des Laster, der Sünde und Verderbtheit gewesen sein, wie im Alten Testament der Bibel zu lesen ist.
„Babylon überragt an Schönheit jede andere Stadt, die wir kennen“
Der griechische Historiker Herodot (490/480-430/420 v. Chr.) schreibt hingegen über Babylon: „Sie überragt an Schönheit jede andere Stadt, die wir kennen.“ Dabei hatte der berühmte antike Geschichtsschreiber die Stadt wohl selbst nie mit eigenen Augen gesehen. Vom Glanz, von der Pracht und dem Reichtum Babylons sind nur Ruinen geblieben.
Doch nun gewähren Forscher aus München und Bagdad Einblick in die ruhmreiche Geschichte der mesopotamischen Metropole im heutigen Irak. Sie haben eine 3000 Jahre alte Hymne aus dem antiken Babylon entdeckt. Das bislang unbekannte Loblied stamme aus der Zeit um 1000 v. Chr. und umfasse 250 Zeilen, hat die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) mitgeteilt. Der in der Fachpublikation „Iraq“ (Cambridge University Press) veröffentlichte Fund sei in einer Kooperation mit der Universität Bagdad gelungen.
Hymnus aus Babylons Blütezeit
„Es handelt sich um einen faszinierenden Hymnus, der Babylon in seiner größten Blütezeit beschreibt und Einblicke in das Leben seiner Einwohner und auch seiner Einwohnerinnen gibt“, sagt der LMU-Altorientalist Enrique Jiménez, einer der Hauptautoren.
Babylon wurde etwa 2000 v. Chr. im damaligen Mesopotamien gegründet. Die einst größte Stadt der Welt war eine kulturelle Metropole, in der Werke verfasst wurden, die heute zur Weltliteratur zählen wie das Gilgamesch-Epos.
Frühling am Euphrat und Priesterinnen in Aktion
Der Text sei von einem Babylonier in babylonischer Sprache geschrieben, der seine Stadt loben wollte. „Der Autor beschreibt die Gebäude in der Stadt, aber auch, wie der Euphrat den Frühling bringt und die Felder grün werden. Das ist spektakulär. Denn aus Mesopotamien sind nur wenige Beschreibungen der Natur überliefert“, erläutert Jiménez.
Auch die Informationen über die Frauen aus Babylonien, ihre Rolle als Priesterinnen und die damit verbundenen Aufgaben erstaunten die Fachwelt, da darüber bislang keine Texte bekannt waren. Die Hymne gebe zudem Einblicke in das Miteinander der Stadtgesellschaft. So werden die Bewohner als respektvoll gegenüber Ausländern beschrieben.
Noahs Tafeln und die Macht der KI
Texte wurden damals in Keilschrift auf Tontafeln geschrieben, die nur in Bruchstücken erhalten sind. Ziel der Kooperation mit der Universität Bagdad sei es unter anderem, Hunderte Keilschrifttafeln aus der Bibliothek Sippar zu entschlüsseln und der Nachwelt zu erhalten. Dort soll Noah sie als Schutz vor der Sintflut versteckt haben, bevor er in die Arche stieg.
Enrique Jiménez digitalisiert in dem Projekt „Electronic Babylonian Literature“ alle Keilschrift-Textfragmente, die weltweit bislang entdeckt wurden. Er nutzt dabei Künstliche Intelligenz, um zusammengehörige Fragmente zu entziffern.
So lautet der Text der Hymne
Die folgenden Zeilen stammen aus der neu entdeckten Hymne. Sie beschreiben den Fluß Euphrat, an dem Babylon damals lag:
„Der Euphrat, der die Stadt durchfließt, den schuf Nudimmuds, der Weisheit Herr, Bewässert die Ebene, durchtränkt das Röhricht, Ergießt seine Wasser in Lagune und Meer. Auf seinen Feldern blüht es und grünt’s, Es schillern die Auen vor frischem Getreide; Dank ihm türmt das Korn sich zu Mieten und Haufen, Wächst Gras hoch empor, den Herden zur Weide, Mit Reichtum und Pracht, der Menschheit gebührend, (Ist alles) in herrlicher Fülle bedacht.“
Jahrtausende alte Schultexte wiederentdeckt
„Mithilfe unserer KI-gestützten Plattform konnten wir 30 weitere Manuskripte identifizieren, die zur wiederentdeckten Hymne gehören. Ein Prozess, der in der Vergangenheit Jahrzehnte gedauert hätte“, erklärt Jiménez, der Professor für altorientalische Literaturen am Institut für Assyriologie der LMU ist. Dank dieser weiteren Texte konnte das Loblied auf der Tontafel, das stellenweise lückenhaft war, komplett entschlüsselt werden.
Die weiteren zahlreichen Fundstellen lassen darauf schließen, dass der Text damals sehr verbreitet war. „Die Hymne wurde von Kindern in der Schule kopiert. Es ist außergewöhnlich, dass ein damals so beliebter Text bis heute unbekannt war.“
Die Ruinen der antiken Stadt Babylon liegen etwa 85 Kilometer südlich der irakischen Hauptstadt Bagdad. Sie zählen zum Weltkulturerbe der Unesco.