Massensterben in der Spätantike
Forscher entdecken Ursprung der Justinianischen Pest
Vor rund 1400 Jahren raffte die erste große Pest-Pandemie Millionen Menschen in Europa dahin. Jetzt haben Forscher den Erreger dieser Justinianischen Pest nachgewiesen.

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Die Ruinen des antiken Hippodroms von Gerasa in Jordanien: 1993 entdeckten Archäologen, dass einige Kammern des Hippodroms damals zu Massengräbern umfunktioniert worden waren.
Von Markus Brauer
Mitte des sechsten Jahrhunderts wurden die Menschen im Oströmischen Reich plötzlich von einer rätselhaften Krankheit dahingerafft. Sie bekamen Fieber und seltsame Beulen am ganzen Körper. Kurz darauf starben sie qualvoll – einer nach dem anderen, zu Tausenden und Zehntausenden.
Kaiser Justinian I. und die Seuche
Die verheerende Epidemie benannten die Zeitgenossen nach dem damaligen Herrscher auf dem Thron von Byzanz, Kaiser Justinian I., der von 527 bis zu seinem Tod 565 n. Chr. in Konstantinopel regierte.e Justinianische Pest war die erste große Pandemie der Geschichte.
Zwischen 541 und 750 n. Chr. starben in den wiederholten Seuchenwellen fast die Hälfte aller Menschen im Oströmischen Reich. Auch Teile Germaniens, Galliens und weite Teile des Mittleren Ostens waren von der spätantiken Pest betroffen. Historischen Aufzeichnungen zufolge begann die Pandemie nahe der Start Pelusium in Nordägypten und verbreitete sich dann – begünstigt durch nasskaltes Klima – schnell im Nahen Osten, dem östlichen Mittelmeerraum und weit darüber hinaus.
Pest-Wellen entvölkerten Europa
In der Folge suchte die Seuche für fast 200 Jahre Europa und den Nahen Osten heim. Studien unter Leitung des Archäo- und Paläogenetikers Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, konnten in den vergangenen Jahren nachweisen, dass tatsächlich der Pesterreger, das Bakterium Yersinia pestis, für diese und die folgenden Pandemien wie den Schwarzen Tod im 14. Jahrhundert verantwortlich war.
Die Forscher untersuchten menschliche Überreste aus Mehrfachbestattungen von 21 archäologischen Fundorten in fünf Ländern. „Trotz der Vielfalt haben die Genome nur eine einzige gemeinsame Abstammungslinie. Dies deutet darauf hin, dass die Pest wohl nur einmal in den Mittelmeerraum beziehungsweise nach Europa eingetragen wurde“, erklärt der Leipziger Archäogenetiker Marcel Keller.
„Pestis“ und „Pestilentia“ – Geißel der Menschheit
„Wenn in den Quellen ‚Pestis‘ oder ‚Pestilentia‘ steht, weiß niemand genau, was wirklich damit gemeint ist. Es kann sich um jede Art von epidemischer Krankheit handeln“, berichtet der Tübinger Althistoriker Mischa Meier. Er gilt international als einer der besten Kenner der Spätantike und insbesondere der Zeit Kaiser Justinians I., über die er 2002 an der Universität Bielefeld habilitierte.
Das gilt laut Meier auch für die Antoninische Pest, die während der Regierungszeit von Kaiser Mark Aurel Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. im Römischen Reich ausbrach. Später sei die Pest noch mehr zum Inbegriff verheerender Epidemien geworden, so Meier weiter.
In der Antike differenzierten die Mediziner bereits, um welche Krankheit es sich handelte. Man konnte grob die verschiedenen Krankheitsbilder abgrenzen. Aber die medizinischen Texte würden über die Pest fast nichts sagen. „Es gibt einige Anspielungen bei Galenos, Ende des zweiten Jahrhunderts, die sich auf die Antoninische Pest beziehen. Von dieser Seuche wissen wir mit Sicherheit, dass es keine Pest war – vielleicht eine Pocken-Epidemie.“
Im Gefolge der Pest und anderer Seuchen wie Grippe oder Typhus, aber auch Naturkatastrophen, Kriegen und Hunger nahmen die Bevölkerungszahlen während der Spätantike im Mittelmeerraum und im Nahen Osten dramatisch ab. „Die Menschen hatten nichts, womit sie sich gegen Erreger hätten schützen können“, erklärt der Tübinger Historiker.
Wer war der Verursacher?
Bisher fehlte ausgerechnet aus dem Epizentrum der Justianischen Pest – dem schwer getroffenen östlichen Mittelmeerraum – jeder Nachweis des Erregers.
Die einzigen Indizien dafür, dass diese spätantike Pandemie vom Pestbakterium Yersinia pestis verursacht worden sein könnte, stammen aus einer Handvoll von Gräbern in Bayern, in England und Frankreich. Aus dem östlichen Mittelmeerraum waren dagegen weder Massengräber von Pest-Toten noch genetische Spuren des Erregers bekannt.
Nun hat ein Forscherteam um Swamy Adapa von der University of South Florida in Jordanien erstmals ein Massengrab der spätantiken Pest mitsamt der DNA des Pesterregers entdeckt. Fundort ist die Stadt Gerasa, rund 50 Kilometer nördlich von Amman, die schon in der Antike eine wichtige Metropole war. „Gerasa war eine zentrale Stadt im oströmischen Reich, ein Handelszentrum mit prachtvollen Bauten“, erklärt Rays Jiang.
Ihre Studie ist im Fachjournal „Genes“ erschienen.
For the first time, researchers at @USouthFlorida have uncovered direct genomic evidence of the bacterium behind the Plague of Justinian — the world’s first recorded pandemic.For centuries, historians have deliberated on what caused the devastating outbreak that killed tens of… pic.twitter.com/uTpIhf5Iiu — USF Health (@USFHealth) August 27, 2025
Massengrab im Hippodrom von Gerasa
Zu den prominenten Bauten im spätrömischen Gerasa gehörte ein Hippodrom, dessen Tribunen und Nebenräume später zu Werkstätten für Handwerker umgebaut wurden. Doch Anfang des siebten Jahrhunderts wurden Hippodrom und Werkstätten verlassen.
1993 entdeckten Archäologen, dass einige Kammern des Hippodroms damals zu Massengräbern umfunktioniert worden waren. Rund 150 Erwachsenen und 80 Kinder und Jugendliche waren dort vor rund 1400 Jahren bestattet worden.
„Seit der Entdeckung des Massengrabs waren der Fundort und die Relikte aber nicht mehr zugänglich und nur eine kleine Zahl von Zähnen ist heute für Untersuchungen verfügbar“, schreiben die Wissenschaftler. Acht dieser Zähne haben Adapa und sein Team nun genetisch untersucht, um mehr über die Todesursache dieser Menschen herauszufinden. Könnte sich hier um Opfer der Justinianischen Pest handeln?
Der lange gesuchte Nachweis
Und tatsächlich: In den Zähnen der Toten fand sich die DNA des Pesterregers Yersinia pestis. Demnach waren die fünf untersuchten Todesopfer aus dem spätantiken Gerasa mit der Pest infiziert – und starben wahrscheinlich an der Seuche. Die DNA des damals dort grassierenden Erregers stimmt zudem gut mit den wenigen spätantiken DNA-Spuren von Yersinia pestis in Europa überein.
„Diese Entdeckung liefert den lange gesuchten Nachweis von Yersinia pestis auch im Epizentrum der Justinianischen Seuche“, konstatiert Jiang. „Seit Jahrhunderten haben wir nur schriftliche Überlieferungen, die eine verheerende Seuche beschreiben, aber keinen klaren Beleg für die Präsenz der Pest in dieser Region. Unsere Funde liefern nun das fehlende Puzzlestück. Sie geben uns erstmals einen genetischen Einblick darin, wie sich diese Pandemie im Herzen des oströmischen Reichs entfaltete.“
Gute Voraussetzungen für explosive Ausbreitung
Die DNA-Analysen zeigen, dass die Toten aus dem Massengrab von Gerasa alle die gleiche Variante des Pesterregers in sich trugen – einen Stamm, der hochaggressiv und gleichzeitig leicht übertragbar war. Die Forscher gehen davon aus, dass sich die tödliche Seuche damals sehr schnell in Gerasa ausbreitete.
„Die zivile Infrastruktur der oströmischen Metropole – darunter Aquädukte, Badehäuser, Vorratslager und Amphitheater – brachten nicht nur Menschen und Waren zusammen, sie machte es unbeabsichtigt auch Krankheitserregern einfacher, sich zu verbreiten“, erläutern die Experten. Die dicht bevölkerten Stadtviertel von Gerasa schufen ideale Bedingungen, um die Pest mithilfe von Flöhen zu übertragen.
Von der Pest überwältigt
Das Massengrab im ehemaligen Hippodrom von Gerasa legt nahe, dass damals so viele Menschen innerhalb kurzer Zeit starben. Und dass die Friedhöfe nicht mehr ausreichten.
„Damit gibt uns Gerasa einen seltenen Einblick darin, wie frühere Gesellschaften auf eine solche medizinische Katastrophe reagierten“, berichtet Jiang. „Der ursprünglich für die Unterhaltung der Menschen erbaute Ort wurde in dieser Zeit der Not zum Massengrab. Das zeigt, wie die urbanen Zentren damals von der Pest überwältigt wurden.“
Gleichzeitig war Gerasa damals einer der Knotenpunkte für den Fernhandel und die Migration im oströmischen Reich. Entsprechend viele Besucher und Reisende kamen in die Stadt, verkauften oder kauften Waren und zogen dann in andere Regionen weiter. Diese vernetzte Struktur förderte die rasche Ausbreitung der Pest über den Nahen Osten und dann weiter nach Europa.