Frauenpower trifft Strudelbusiness

Bodenständig und weltoffen, Essenskultur und Unternehmergeist: Die Familie Naydenova vereint in ihrem Leben und Schaffen ganz selbstverständlich Bereiche, die auf den ersten Blick weit auseinander liegen. Auch das ist eine besondere Zutat ihrer Backspezialitäten.

Vassilena und Vania Naydenova (von links) sind mit ihrem Foodtruck mittlerweile auch auf dem Backnanger und Schorndorfer Wochenmarkt präsent. Dafür sind sie dankbar, da Corona ihre komplette Jahresplanung über den Haufen geworfen hat und bis auf Weiteres all ihre Aufträge bei Messen und Festivals für sie wegfallen. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Vassilena und Vania Naydenova (von links) sind mit ihrem Foodtruck mittlerweile auch auf dem Backnanger und Schorndorfer Wochenmarkt präsent. Dafür sind sie dankbar, da Corona ihre komplette Jahresplanung über den Haufen geworfen hat und bis auf Weiteres all ihre Aufträge bei Messen und Festivals für sie wegfallen. Fotos: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT/BACKNANG. Vor dem Haus in der Murrhardter Brucknerstraße steht ihr selbst bemalter Foodtruck, auf dem der Slogan „Give yourself a poushe“ steht. Dazu muss man wissen, dass im Zentrum des Unternehmens von Mutter Ivanka Suter und ihrer drei Töchter Violeta, Vassilena und Vania Naydenova der sogenannte Poushe-Strudel steht, in dem wiederum ziemlich viel ihrer eigenen Geschichte steckt. Während Ivanka Suter und Violeta Naydenova ihr süß-salziges Geschäft in der Schweiz betreiben, haben Vassilena und Vania vor einigen Jahren den Sprung nach Deutschland gemacht, um mit einem Café in Stuttgart und ihrer Produktionsstätte in der Walterichstadt neue Wurzeln zu schlagen.

Die ehemalige Bäckerei des Murrhardter Teilorts Alm ist nun ihr Stand- und gleichzeitig Rückzugsort. Dass in dem unscheinbaren Flachbau bulgarische Strudel in verschiedensten Varianten mit regionalen und saisonalen Zutaten entstehen, hat sich in der Nachbarschaft aber schon herumgesprochen. Die beiden Frauen fühlen sich wohl und gut aufgenommen.

Als sie die Familiengeschichte skizzieren, wird klar, dass sie einerseits viel Bodenhaftung, andererseits auch international-offenes Lebensgefühl mitbekommen haben. Als Kinder erlebten sie in Bulgarien noch den Hof der Großeltern. „Unsere Mutter kommt aus einer spannenden Familie mit Zuckerbäckern, Köchen und Landwirtschaft im Hintergrund“, erzählt Vania Naydenova. Ihre Mutter eroberte sich die Welt der Kultur, studierte Folkloristik und Theaterregie und leitete unter anderem das staatliche Volkstanzensemble in Sofia. „Wir sind in einer ziemlich magischen Welt aufgewachsen, die Kostüme wurden bei uns zu Hause genäht und unsere Großmutter hat uns viele Geschichten erzählt“, stellt Vania Naydenova fest.

Doch mit dem Mauerfall, der Öffnung des Eisernen Vorhangs begann eine politisch und wirtschaftlich schwierige Zeit. Mitte der 1990er-Jahre wagte ihre Mutter den Schritt ins Ausland. Da sie Kontakte in die Schweiz hatte und Zürich gut kannte, wurde die Metropole die neue Heimat der Familie. Als dann die Frage ins Haus stand, wie es beruflich weitergehen sollte, kam das bulgarische Essen in den Blick. „Ich denke, Heimweh hat schon ein bisschen eine Rolle gespielt, aber auch der Wunsch, etwas zu machen, was sie wirklich gut kann und authentisch ist“, sagt Vania Naydenova. „2002 hat sie dann in Zürich ihre erste Bäckerei aufgemacht“, erinnert sich Vassilena Naydenova. Ivankas zweiter Mann, Christoph Suter, unterstützte seine Frau nach Kräften und so wurden die Schweizer mit süßen und salzigen Strudeln, Brot, Salaten und weiteren bulgarischen Spezialitäten versorgt. Die Mischung aus vegetarischen Gerichten, mediterraner Küche mit viel Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen war in dieser Zeit in Zürich noch etwas ganz Neues.

Mit ihren Strudelkreationen kommen die Frauen in der Streetfoodszene gut an.

Während die drei Töchter ihren Weg in Ausbildung und Studium machten – Violeta studierte Mathematik und Wirtschaft, Vassilena Kunst und Design sowie Vania Wirtschaftsrecht, nachdem sie auf der Hotelfachschule war –, brachte sie die Liebe zum Essen sprichwörtlich immer wieder zusammen, schuf eine Art Heimat. „Das war auch ein Stück Familienzusammenhalt, hat uns in schwierigen Zeiten Kraft gegeben und bewirkt, dass wir unsere Wurzeln nicht verloren haben“, sagt Vania Naydenova. Violeta brachte aus ihrem Studienaufenthalt bei New York die Idee mit, dass eine Spezialisierung hilfreich sein könnte, und schließlich stand die Frage im Raum, ob sich die vier Frauen 2009 zu einem gemeinsamen Unternehmen zusammentun wollen. „Wir hatten schon etwas für uns gemacht“, sagt Vassilena Naydenova, heute 35 Jahre, und ihre 31-jährige Schwester Vania ergänzt: „Ich hab damals gesagt, wir sind so jung, wenn es schiefgeht, sind wir es immer noch.“

Die Idee vom Strudelhaus war geboren und die vier Frauen betrieben in den Hochzeiten sieben Verkaufsstellen, fünf von ihnen als Cafés. Sie erlebten, wie sich – ohne den Familienbetrieb zu romantisieren – die Karten immer wieder neu mischten und jede ihren Platz fand. In Zürich eroberten sie sich mit ihren Poushe-Strudeln ein breites Publikum. 2014 streckten sie dann ihre Fühler in der internationalen Streetfoodszene aus, die Vassilena und Vania schließlich nach Deutschland führte. Ein Café in Stuttgart-Vaihingen wurde eröffnet und der Standort in Murrhardt gefunden. Die Frauen sind mit ihren Strudeln vor allem auch auf Festivals und Messen präsent, ein voller Jahreskalender bedeutet 285 Events. Mittlerweile unterstützt Florian Baumgartner, der Partner von Vania Naydenova, das schweizerisch-deutsche Unternehmen auch als Kommunikationsdesigner.

Allerdings ist dieses Jahr mit Corona alles anders. „Wir haben die Jahresplanung komplett über Bord werfen müssen, das kann einem schon den Boden unter den Füßen wegziehen“, sagt Vania Naydenova. Wie ihre Mutter und Schwester in der Schweiz haben die beiden bei Wochenmärkten angeklopft und sind froh und dankbar, nun in Backnang und Schorndorf unter den Beschickern sein zu können. „Das hat uns schon ein bisschen geholfen.“ Mittlerweile können sie auch wieder fürs Stuttgarter Café produzieren.

Als sie die Backbleche aus dem Ofen ziehen, duftet es nach Äpfeln und Zimt. Der Klassiker unter ihren Strudeln zeigt sich als kunstvoll aus filigranen Teigschichten gestaltetes Nest. In puncto Rezept und genaue Machart verweisen die beiden aufs Familiengeheimnis, aber Vania Naydenova gibt eine Idee der breiten Palette. Die Frauen haben viele Strudelvarianten auf Lager wie Zwetschgen-Mohn, Sauerkirsch-Kokos, Aprikosen-Mandel, Beerenmix oder die herzhafte Spinat-Feta-Variante – mit regionalen, saisonalen Zutaten. Als Überzug kommen Kreationen wie eine Bitterschokoladenganache, vergleichbar mit einer Pralinenfüllung, gesalzenes Karamell mit Nüssen oder Ruby-Chocolate, auch Rubinschokolade, die rosafarben ist, hinzu.

Die Frauen wollen sich jedenfalls nicht von der aktuellen Situation entmutigen lassen. Für Vania Naydenova kommen und gehen Krisen, wichtig sei es, das Beste draus zu machen. Wenn alles klappt, wollen sie sogar im Herbst den Produktionsstandort um ein Café bereichern. Die Überlegung, dass das in Murrhardt-Alm nicht gerade zentral gelegen ist, schreckt sie nicht. Das Café ihrer Mutter und Schwester sei ebenso außerhalb von Zürich. Sie sehen das Projekt auch ein Stück weit als Möglichkeit, es zu einen Treffpunkt für die Nachbarschaft zu machen und etwas fürs soziale Miteinander zu tun. „Dann können wir auch etwas zurückgeben.“ Damit schließt sich der Kreis im Sinne ihrer Philosophie – Essen und gemeinsamer Genuss als Brückenbauer.

Zwei ihrer handgebackenen Klassiker – Apfel-Zimt- und Mohn-Quark-Strudel. Ihre Kreationen sind nach altem bulgarischen Familienrezept hergestellt, aber modern interpretiert, wie sie sagen. Zum Firmenlogo gehört die heilige Barbara, deren Schwert durch einen Mörser als traditionelles Küchengerät ersetzt ist.

© Jörg Fiedler

Zwei ihrer handgebackenen Klassiker – Apfel-Zimt- und Mohn-Quark-Strudel. Ihre Kreationen sind nach altem bulgarischen Familienrezept hergestellt, aber modern interpretiert, wie sie sagen. Zum Firmenlogo gehört die heilige Barbara, deren Schwert durch einen Mörser als traditionelles Küchengerät ersetzt ist.

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Erstellt:
9. Juli 2020, 06:00 Uhr

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