Freigeist, Universalgelehrter, Vermittler

Kirchenführer Hans-Georg Zenker skizziert Prälat Friedrich Christoph Oetinger als Persönlichkeit und die Lage im 18. Jahrhundert

Prälat Friedrich Christoph Oetinger (1702 bis 1782) war der hoch geachtete und gelehrte „Magus des Südens“. Aber: „Er hatte es nicht leicht, denn das strenge Stuttgarter Konsistorium, oberste Behörde der Evangelischen Landeskirche, verstand ihn und seine freigeistigen Ideen nicht. Darum erteilte es ihm oft Verweise, auch aufgrund von falschen Unterstellungen“, verdeutlichte Kirchenführer Hans-Georg Zenker.

Hans-Georg Zenker (Fünfter von rechts) zeigt in der Stadtkirche den Gedenkstein, der an Friedrich Christoph Oetinger erinnert. Foto: E. Klaper

Hans-Georg Zenker (Fünfter von rechts) zeigt in der Stadtkirche den Gedenkstein, der an Friedrich Christoph Oetinger erinnert. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Vor etlichen Zuhörern zeichnete er in seinem Vortrag „Oetinger – ein evangelischer Prälat mit katholischer Hilfe“ über den berühmten Universalgelehrten in der Stadtkirche ein facettenreiches Bild der politischen, sozialen und religiösen Situation im Herzogtum Württemberg während des 18. Jahrhunderts. Der katholische Herzog Carl Eugen (1728 bis 1793) war ab 1744 zunächst ein absolutistischer, prunksüchtiger, verschwenderischer und den Sinnesfreuden zugeneigter Fürst mit unzähligen Affären. Aber dank seiner Mätresse und späteren zweiten Frau Franziska von Hohenheim (1748 bis 1811), genannt „Engel von Württemberg“, wandelte er sich zum aufgeklärten, gemäßigten Herrscher. Die überwiegende Mehrheit der Württemberger war arm und litt oft Not, zur Schule gingen meist nur die Jungen. Die Lehre des Reformators Martin Luther war die Grundlage für die strikte Glaubensauslegung der evangelischen Kirche, verbunden mit einer Fülle von Vorschriften und Pflichten für die Gläubigen. „Oetinger war dagegen ein Freigeist, der neue Ideen verwirklichen wollte. Ihm ging es darum, Gott in Versuchen nachzuweisen, Theologie und Philosophie, Wissenschaft und Religion wieder zu vereinen. Vermutlich war er auch Mitglied in einem Geheimbund und Freimaurer.“ Doch sei nicht beweisbar, ob er auch den Geistern predigte, wie vor dem Hintergrund des damals weit verbreiteten Geisterglaubens behauptet wurde, betonte Zenker.

„Gott dienen ist Freiheit“ war Oetingers Wahlspruch, der im Tübinger Stift bis 1727 Theologie studierte. Anschließend bildete er sich zehn Jahre weiter und setzte sich intensiv mit damaligen geistlichen Strömungen auseinander. So besuchte er auch die von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf gegründete Herrnhuter Brüdergemeinde. 1738 trat er seine erste Pfarrstelle in Hirsau an, wo er auch Christiane Dorothea Linsemann begegnete, die er als „eine ganz vortreffliche und tugendsame Jungfrau“ charakterisierte.

Oetinger heiratete sie und hatte mit ihr zehn Kinder, von denen neben zwei Mädchen auch zwei Jungen überlebten, die später als Arzt und Pfarrer tätig waren. Nach verschiedenen Stationen als Pfarrer und Dekan sowie mehrfachen Bewerbungen um Prälatenämter ernannte ihn das Konsistorium wahrscheinlich auf Empfehlung von Herzog Carl Eugen Anfang Dezember 1765 zum Prälaten von Murrhardt.

Nach dem verheerenden Stadtbrand am 24. August litten die Einwohner der Walterichstadt große Not. Oetinger unterstützte sie tatkräftig, indem er zwischen ihnen und dem Landbaumeister und Stadtplaner Johann Adam Groß vermittelte, der den Wiederaufbau leitete. Dafür zeichnete der Prälat den Stadtplan, insofern „ist das heutige harmonische Erscheinungsbild der Stadt das Verdienst Oetingers“, verdeutlichte Zenker. Die Häuser baute man nun brandsicher auf, mit Dachziegeln statt Stroh und vergipstem Fachwerk. Auch sorgte man für Löschwasser mithilfe von drei Brunnen auf der Hauptstraße: am Oberen Tor, vor dem Gasthaus zum Hirsch und auf dem Marktplatz. 1770 erfolgte der Neubau der Prälatur, des heutigen Pfarrhauses Klosterhof. Das Gebäude zeichnet sich ebenso wie das Rathaus durch eine besondere Harmonie und Symmetrie der Fensterreihen aus, die auf der christlichen Zahlenmystik basieren.

Das Amt des Prälaten war gut bezahlt mit Geld, Lebensmitteln und Versorgungsgütern, aber auch mit diversen Aufgaben verbunden. Gewissenhaft versah Oetinger das Predigtamt, indem er seine Predigten schriftlich ausarbeitete und veröffentlichte. Weiter hatte er die Aufsicht über die Schule und war für die städtische Rechtsprechung bei Streitigkeiten zuständig. Überdies war er Abgeordneter im Landesparlament und herzoglicher Rat, verbunden mit einer Sonderaufgabe des Herzogs, der ihn als „Chemikus“ schätzte. Oetinger nahm zahlreiche Bodenproben, die er in einem Labor untersuchte und einschmolz. Denn Carl Eugen hoffte, im Schwäbischen Wald Bodenschätze wie Salz und Silber zu finden. Dazu gab es auch einige Bergbauversuche, die jedoch scheiterten.

„Oetinger glaubte, der Weltuntergang sei nahe, darum war es ihm ein Anliegen, das Leben der Menschen besser zu gestalten“, sagte Zenker. So schrieb der Prälat das Buch „Die güldene Zeit“, eine Art Utopie, „in der Harmonie zwischen den Regierenden und den Regierten herrscht und jeder Mensch so viel besitzen soll, dass er gut leben kann“, erzählte der Kirchenführer. Bis 1777 veröffentlichte Oetinger etliche Bücher und Schriften, doch dann erteilte ihm das Konsistorium ein Publikationsverbot, weil er Bücher des schwedischen Bergbauingenieurs und Esoterikers Emanuel Swedenborg ins Deutsche übersetzt hatte.

Abschließend zeigte Hans-Georg Zenker in der Vierung der Stadtkirche Oetingers Grabstätte vor dem ehemaligen Standort des Altars, die mit einer Bodeninschrift markiert ist, und dessen prächtiges Rokoko-Epitaph (Gedenkstein) an dem Vierungspfeiler, der dem Grab am nächsten steht.

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Erstellt:
27. Februar 2020, 06:00 Uhr

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