Fuchsloch, Diebsäcker, Heidenbühl

In Flurnamen steckt jede Menge Ortsgeschichte. Bevor die Menschen sich von Smartphone oder Navigationsgerät durch die Gegend lotsen ließen, brauchten sie Namen, mit denen sie sich orientieren konnten. Christian Schweizer macht sich mit einer VHS-Gruppe auf Spurensuche.

Mal zeigen Flur-, Straßen- oder Gebietsnamen die Besitzverhältnisse an wie Klosterhof oder Mönchsrain, mal verweisen sie auf ein historisches Bild – wie beispielsweise die Tatsache, dass durch die Entengasse die Wasservögel früher zur Murr gewatschelt sind. Archivfoto: F. Muhl

Mal zeigen Flur-, Straßen- oder Gebietsnamen die Besitzverhältnisse an wie Klosterhof oder Mönchsrain, mal verweisen sie auf ein historisches Bild – wie beispielsweise die Tatsache, dass durch die Entengasse die Wasservögel früher zur Murr gewatschelt sind. Archivfoto: F. Muhl

Von Ute Gruber

Murrhardt. Über Blümlensgärten, Mönchsrain, Maienweg, Ziegelhütte, Diebsäcker, Pfahlwiesen, Hardt, Heidenbühl, Roßkopf, Teufelsmauer, Ulrichswiesen, den Westbahnhof, das Steinmäuerle, vorbei an Galgen und Rümelinsmühle führt Christian Schweizer die geschichtsinteressierten VHS-Seminarteilnehmer und bringt Licht in das Dunkel der teils kryptischen Bezeichnungen.

Von alters her haben die Menschen der Landschaft um sie herum Namen gegeben. Schließlich muss man ja sichergehen, dass man denselben Platz meinte, wenn etwa der Bauer zur Frau sagt: „Wir mähen heut früh des Brünneleswiesle, ihr kommet dann nach dem Stall zum Rechen nach“, bevor er die Sense schultert und loszieht. Oder der Holzmacher: „Heut bin ich im Fuchshau, schickst dann den Bub mit dem Vesper!“ Schlecht, wenn da der Bub nicht weiß, wohin, und gegen Mittag der Magen knurrt. Sei es, wenn ein Stück Land den Besitzer wechselt oder das heimliche Liebespaar sich verabredet: „Wenn’s dunkel wird – am Maienplatz!“ Da war vor WhatsApp und GPS-Koordinaten eine präzise Absprache nötig, sollte aus dem Techtelmechtel eine ernsthafte Beziehung werden. Weshalb jede Flur, also jedes Landschaftsteil wie ein Berg, Weg, Feld, Bach, Wald, Teich, Tal, auch jede Siedlung einer Gegend eine möglichst unverwechselbare Bezeichnung hat, die sich im Laufe der Zeit durchaus auch ändern kann. Natürliche Besonderheiten der Nutzflächen wie Steinigkeit, Tongehalt oder Sumpfigkeit griff man da gerne auf – Steinberg, Lettenacker, Binzenacker, Faulklinge – und auch vorkommende Tierarten wurden zu Namenspaten – Eulenhöfle, Fuchsloch und Immenhalde.

Aber die Flurnamen unserer geschichtsträchtigen Heimat sind weit mehr als eine poetische Landschaftsbeschreibung: Viele der Bezeichnungen geben Zeugnis von Ereignissen und Verhältnissen im Laufe der Jahrhunderte seit der Besiedlung. In Murrhardt reicht dies fast 2000 Jahre zurück. Viel Wissen ist im Laufe der Zeit verloren gegangen, so konnten sich die Menschen im Mittelalter keinen Reim auf die kilometerlange, schnurgerade Linie von Wall und Graben des römischen Limes mehr machen und erfanden allerlei übersinnliche Geschichten zu dessen Entstehung: Heidenbühl, Teufelsmauer oder Saugraben dokumentieren die nächtliche Wühltätigkeit des – laut Sage – in eine gigantische Wildsau verwandelten Antichrists.

Auch in das heutzutage unbeschwert bewanderte, idyllische Trauzenbachtal und zum Rallenberg hätte sich früher wohl keiner freiwillig nach Einbruch der Dunkelheit begeben, weil man dort hinterrücks von Raalen beziehungsweise deren weiblichen Pendants, den Truten (=Trauzen), gepackt werden konnte.

Schelmenwiesen und Diebsäcker verweisen auf Schinder und Henker

Auf der Schelmenwiesen und den Diebsäckern sollte man das Graben selbst heute noch besser bleiben lassen – es könnten gruselige Dinge ans Licht kommen. Denn der Begriff „Schelm“ hatte in früheren Zeiten absolut keine witzige Bedeutung: Es war die Bezeichnung für den Abdecker, Schinder, Henker. Dieser als unehrenhaft angesehene Berufsstand hatte im Mittelalter die wichtige, aber unappetitliche Aufgabe, verendete Haustiere zu verwerten. Er zog die Decke ab zu Leder und kochte aus den Knochen Leim. Die unverwertbaren Reste aber entsorgte er in der im Ort dafür vorgesehenen Schelmenklinge, -wiese oder -acker. Laut Christian Schweizer wurden wohl auch Selbstmörder gelegentlich dort vergraben, denn in der geweihten Erde des Friedhofs wollte man die nicht haben: Dem damaligen Glauben nach waren sie gottlos und brachten schreckliches Unheil und – sie kehrten als Wiedergänger, als Gespenst zurück.

An der früheren Hauptstraße von Schwäbisch Hall über Karnsberg kommend befand sich im Mittelalter zur Warnung für Zureisende – an prominenter Stelle noch vor der Stadt – die Richtstätte. Rechts oberhalb der heutigen Jugendherberge: der Galgen, links wurden Viehdiebe lebendig begraben, dass nur der Kopf herausschaute.

Anhand verschiedener alter Karten hat der passionierte Heimatkundler die Namen der Fluren der Gemeinde Murrhardt herausgeschrieben und ordnet sie, so weit es geht, systematisch. Häufig sind zum Beispiel Besitzverhältnisse namensgebend: Mönchsrain, Klosterhof, Abtshalde, Pfaffenwiese, Heiligenwiese gehörten zum Kloster oder der Kirche; Herrenwäldle, Herrschaftsbuckel und Hörschbach gehörten dem Adel, auch Hoffeld und Hofberg, wo die kleine Burg Wolkenstein stand. Da diese Herren in Murrhardt generationenlang Ulrich hießen, gibt es auch einige Fluren mit diesem Namen.

Im Allgemeinbesitz des Dorfes waren dagegen die Allmende (also das Allgemeine: Gmein, Allmuthacker, Alm), darunter auch Weiden (Viehtrieb, Triebacker, Trögle) sowie Heuwiesen (Heumaden, Heumahd). Hardt war ein lichter Wald, in dem das vom Ortshirten gehütete Vieh den Unterwuchs abfraß. Von dieser Flur am Hausberg von Murrhardt leitet sich der hintere Namensteil der Ortschaft ab. Murr dagegen bedeutet moorig, sumpfig.

Immer wieder wurde mit Feuer Wald gerodet und neu urbar gemacht (Reuthalde, Reithwiese, Brennäcker, Neugereuth), wobei die Wurzelstöcke teils hartnäckig verweilten (Stöcklensacker, Stockwiese). Manche Felder wurden zugelost (Kürräcker, Dreilos, Gaab). Nicht immer war man sich dabei einig (Zankacker, Streitacker). Hofnahe Flächen zäunte man zum Schutz vor fremden Tieren ein (Beundle, Zaunacker, Heckenacker). Zum Schutz vor feindlichen Übergriffen gab es in und um Murrhardt Befestigungsanlagen wie Gräben (Graben, Landgraben) und Barrikaden (Werrenwiese, Schanz). Ab 1780 wurden laut Schweizer auf Murrhardter Gemarkung optimistisch Bergbauversuche unternommen, um Salz zu gewinnen (Salzrain, Halbächle) mit eigens angelegten Seen für den Antrieb der Förderanlagen (Bürgersee, Alter See). Die alten Soleleitungen existieren offenbar stellenweise noch heute. Diese zaghaften Versuche wurden allerdings wieder eingestellt (Fehlbach), als 1802 die Salzgroßproduzenten Schwäbisch Hall und Heilbronn zu Württemberg kamen.

Die Blümlensgärten sind unter den heutigen Murrarkaden verschwunden

Zum Bedauern der Geschichtsforscher verschwinden viele alte Flurnamen aus dem Sprachgebrauch, denn die landwirtschaftliche Bewirtschaftung wird großflächiger, Ungleichheiten wurden häufig eingeebnet und moderne Traktoren fahren sogar mit GPS.

Flurnamen werden zur Orientierung kaum noch benötigt – sie sind der Digitalisierung zum Opfer gefallen. Und die Blümlensgärten sind ohnehin unter den Murrarkaden verschwunden. Umso mehr freut sich der Murrhardter, dass in seiner Heimatstadt viele Flurnamen als Straßennamen erhalten geblieben sind: Der Maienweg führt heute noch zum früheren Dorftanzplatz hinauf und der schmale Trampelpfad der langoh-rigen Lastenträger heißt heute noch Eselsweg. Durch die Entengasse sind früher die Wasservögel zur Murr gewatschelt und in den Diebsäckern kann man heute unbeschwert wohnen.

Außerdem entstehen auch neue Bezeichnungen: Das Flugzeug, das auf der sogenannten Fliegerplatte notgelandet ist, war sicher nicht aus dem alten Rom, und am sogenannten Westbahnhof standen nach dem Krieg eigentlich nur einige Waggons als Notunterkunft für Heimatlose in der Wiese – der Volksmund ist erfinderisch. „Es ist doch einmalig, wie sich Kultur und Natur hier verbinden!“

Fuchsloch, Diebsäcker, Heidenbühl

© Jörg Fiedler

Fuchsloch, Diebsäcker, Heidenbühl

© Klaper

„Wir mähen heut früh des Brünneleswiesle, ihr kommet dann nach dem Stall zum Rechen nach.“

Christian Schweizer (Leiter des Carl-Schweizer-Museums), beschreibt, wie die Namen im Alltag zur Orientierung dienten

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Erstellt:
15. November 2021, 06:00 Uhr

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