Rente, Pflege, Gesundheit
Gesucht: 1000 Reformen – und viel Mut
Rente, Gesundheit, Pflege – das alles ist teuer. Das System muss effizienter werden, bis hin zu grundlegenden Änderungen, kommentiert Tobias Peter.

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Der demografische Wandel setzt dem deutschen Sozialversicherungssystem zu.
Von Tobias Peter
Es gibt kaum eine politische Debatte in Deutschland, die so unehrlich geführt wird wie die über das Sozialversicherungssystem und die Höhe der Beiträge. Arbeitgeberverbände und Wirtschaftspolitiker wiederholen mantraartig die Forderung, die Beiträge müssten von derzeit 42 möglichst wieder unter 40 Prozent gedrückt werden. Sozialpolitiker aller Parteien tüfteln währenddessen fleißig daran, welche Leistungen es noch zusätzlich geben könnte.
Beide Ziele sind wünschenswert. Beide sind unrealistisch. In einer alternden Gesellschaft liegt auf der Hand, dass schon viel erreicht wäre, wenn es gelänge, dass die Beiträge – bei einigermaßen gleichbleibendem Versorgungsniveau – nur langsam ansteigen. Für diese Erkenntnis braucht es keinen Matheprofessor. Der gesunde Menschenverstand verrät einem auch: Um in Zeiten des demografischen Wandels alles bezahlbar zu halten, braucht Deutschland Einwanderung ins Sozialsystem. Qualifizierte.
Dringende Umbauten
Für dauerhaft sichere Renten wird kein Weg daran vorbeiführen, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter noch mal angehoben wird. Wenn die Lebenserwartung steigt, müssen die Menschen einen Teil dieser Zeit auch arbeiten. Das ist nur logisch.
Bei der Pflegeversicherung braucht es das ehrliche Eingeständnis, dass sie viele erhoffte Leistungsverbesserungen auch dann nicht stemmen können wird, wenn sie als notwendig erkannt werden. Private Vorsorge wird eine größere Rolle spielen müssen.
Besonders dringend sind Umbauten, damit die Kosten im Gesundheitssystem nicht komplett aus dem Ruder laufen. Deutschland gibt im internationalen Vergleich viel aus, die Menschen haben aber trotzdem eine geringere Lebenserwartung als in anderen Ländern.
Vielleicht ist es hilfreich, sich das Gesundheitssystem vorzustellen wie den Turm beim Jenga-Spiel. Dabei geht es bekanntlich darum zu identifizieren, an welcher Stelle man Bauklötze aus einem Turm herausziehen kann – ohne dass dies seine Stabilität gefährdet. So lässt sich manch Baustein einsparen. Allein das eröffnet die Möglichkeit, dass der Turm nach oben hin höher werden kann.
Signal für Eigenverantwortung
Der vorherige Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat mit der Klinikreform zumindest angefangen, das System besser aufzustellen. Im Idealfall kann nun auch seine Nachfolgerin Nina Warken mit der Idee, dass Menschen von ihrem Hausarzt durch das Gesundheitssystem gelotst werden, einen Beitrag für mehr Effizienz leisten. Sinnvoll wäre es aber auch, über die Wiedereinführung einer Praxisgebühr nachzudenken. Die zehn Euro, die in der Vergangenheit einmal im Quartal fällig wurden, waren ein Signal dafür, dass jeder auch Eigenverantwortung für den richtigen Umgang mit Leistungen trägt.
1000 kleine Schritte können und müssen helfen, das System zu stabilisieren. Gleichzeitig ist der Mut zu großen Veränderungen gefragt. Bei der Altersvorsorge geht es darum, durch ein kluges Aktienrentenmodell einen Beitrag dazu zu leisten, dass nicht nur die Reichen von immer höheren Kapitalgewinnen profitieren – sondern alle Bevölkerungsschichten.
Das deutsche Sozialversicherungssystem finanziert sich im Wesentlichen aus Beiträgen, die den Faktor Arbeit belasten. In Zeiten des demografischen Wandels stellt sich unausweichlich die Frage, wie sich dieser Zusammenhang zumindest abmildern lässt. Braucht es eine stärkere Steuerfinanzierung? Können Vermögende und Bezieher sehr großer Erbschaften hier einen Beitrag leisten, ohne dass dies der Wirtschaft schadet? Wer darauf überzeugende Antworten gibt, kann künftig Wahlen gewinnen.