Autokrise in Italien
Italiens Autoindustrie auf Talfahrt
Die Situation des franko-italienischen Autokonzerns Stellantis in Italien wird immer dramatischer: Die Produktion ist im ersten Halbjahr um mehr als ein Drittel gesunken.

© Gerhard Bläske
Der Großteil des früheren Fiat-Werks in Turin Mirafiori rostet heute vor sich hin.
Von Gerhard Bläske
Italiens Autoindustrie ist am absoluten Tiefpunkt angekommen: Im ersten Halbjahr produzierte der franko-italienische Autokonzern Stellantis gerade noch 123 905 Pkw im Land – 33,6 Prozent weniger als 2024. Zählt man die leichten Nutzfahrzeuge dazu, kommt man auf 221 885 Einheiten – 26,9 Prozent weniger als 2024. Die Hoffnungen ruhen nun auf neuen Modellen, die 2026 kommen sollen. Doch die Signale sind nicht positiv.
Außer Ferrai hat Italien keinen nationalen Hersteller mehr
Mit Ausnahme des Sportwagenbauers Ferrari, der zwar hoch rentabel ist, aber mit Produktionszahlen von etwas über 13 000 Einheiten ein Nischenanbieter ist, hat Italien keinen nationalen Hersteller mehr. Lamborghini, mit einer Fertigung von etwas über 10 000 Einheiten ebenfalls ein hoch rentabler Kleinanbieter, gehört zu Audi. Und der frühere Fiat-Chrysler-Konzern (FCA) mit Marken wie Fiat, Alfa Romeo, Lancia und Maserati fusionierte 2021 mit der französisch dominierten PSA (Peugeot-Citroen-Opel) zu Stellantis.
Der Autokonzern steckt in einer tiefen Krise. Er wies für das erste Halbjahr einen Verlust von 2,3 Milliarden Euro aus und verkaufte gegenüber dem Vorjahr sieben Prozent weniger Autos.
Italien konkurrierte einst mit Deutschland
Vor allem die Lage in Italien ist dramatisch. Noch bis Anfang der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts konkurrierte Italiens Autoindustrie mit der deutschen um die Führungsrolle in Europa. 1989 liefen in Italien noch zwei Millionen Einheiten von den Bändern. Die italienischen Stellantis-Werke haben noch immer eine Produktionskapazität von rund 1,5 Millionen Einheiten. Doch die Auslastung liegt bei unter 30 Prozent. Für eine rentable Fertigung braucht es Experten zufolge mindestens 70 Prozent. Der Großteil der Mitarbeiter ist in Kurzarbeit.
Zwar hat Stellantis der Regierung in Rom versprochen, zwei Milliarden Euro zu investieren und 2030 wieder eine Million Fahrzeuge im Land zu produzieren. Wie das aber gelingen soll, ist mehr als fraglich. Die Gewerkschaften rechnen in diesem Jahr mit insgesamt allenfalls 440 000 Einheiten, davon 250 000 Pkw und der Rest leichte Nutzfahrzeuge.
Die Hoffnungen ruhen auf neuen Modellen
Die Hoffnungen ruhen auf neuen Modellen wie der Hybridversion des Fiat 500. Stellantis plant, 2026 etwa 100 000 Einheiten davon im Traditionswerk Turin-Mirafiori zu produzieren. Auch der neue Jeep Compass, der im süditalienischen Melfi gefertigt wird, soll neue Impulse bringen. Doch der neue Alfa Romeo Stelvio und die neue Giulia (Werk Cassino) sind noch nicht einmal bestätigt. Und die einstige Luxusmarke Maserati existiert praktisch nicht mehr: In den Werken Mirafiori und Modena sind im ersten Halbjahr gerade einmal 185 Maserati gefertigt worden. Neue Modelle sind aufgeschoben worden. Hartnäckig halten sich Gerüchte über einen Verkauf der Marke.
Selbst der kleine Panda-Nachfolger Fiat Pandina, in den große Erwartungen gesetzt worden waren, verzeichnet deutliche Verkaufsrückgänge, ebenso wie der Alfa Romeo Tonale.
Bei der Elektro-Mobilität hinkt Italien hinterher
Stellantis verliert Marktanteile: In Europa gingen die Verkäufe zwischen Januar und Juni um acht Prozent zurück, in Italien um zwölf Prozent. Bei der Elektro-Mobilität hinkt Italien weit hinterher: Der Marktanteil der Stromer liegt bei sechs Prozent. Von Kaufanreizen profitieren vor allem ausländische Hersteller. Und chinesische Autoproduzenten wie BYD und Geely wachsen stark.
Von Werksschließungen ist (noch) nicht die Rede. In Rom hofft man auf den neuen Stellantis-CEO, den Italiener Antonio Filosa. Die Regierung will Zeit gewinnen und das Ende des Verbrennermotors, das 2035 kommen soll, hinauszögern. Mit Rekordabschreibungen hat Filosa erstmal reinen Tisch gemacht. Er hat außerdem die Weiterentwicklung des Wasserstoff-Brennstoffzellen-Projekts mangels Perspektiven gestoppt.
Was etwa die Regierungspartei Lega und die Gewerkschaften jedoch am meisten empört ist, dass Stellantis 1,2 Milliarden Euro in Marokko investiert. In dem dort 2019 eröffneten Werk sollen die Kapazitäten von 200 000 auf 535 000 Einheiten fast verdreifacht und die Beschäftigtenzahl von 3500 auf 6500 erhöht werden. Die Produktion des Dodge Hornet im süditalienischen Pomigliano d`Arco, der in die USA exportiert wurde, ist wegen der US-Strafzölle dagegen vorerst eingestellt worden.
Auch sonst kommen von Stellantis kaum positive Signale. Die US-Strafzölle und der schwache Dollar verschlimmern die Situation. Und das Konsortium ACC (Stellantis, Mercedes-Benz, Total) verschiebt den Umbau der Motorenfabrik im süditalienischen Termoli in eine Batteriefabrik immer wieder.
Auch die einstige Fiat-Tochter Magnetti Marelli ist insolvent
Die einstige Fiat-Tochter Magneti Marelli, die 2017 von KKR übernommen und mit der japanischen Calsonic Kansei zusammengelegt wurde, ist insolvent. Sie soll nun nach dem amerikanischen Chapter-11-Verfahren saniert und von den US-Gläubigern übernommen werden. Marelli, so der heutige Name, leidet massiv unter der Stellantis-Krise.
Info
StellantisDie Zahl der Stellantis-Beschäftigten ist seit der Fusion 2021 von etwa 55 000 auf unter 40 000 zurückgegangen. Die meisten der Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.
PersonalabbauNachdem der Konzern in den letzten Monaten Vereinbarungen über den Abbau von weiteren 1660 Stellen auf freiwilliger Basis getroffen hat, will er sich von weiteren 1600 Mitarbeitern trennen. bl