Jonglieren mit DNA und englischen Vokabeln

Im Heinrich-von-Zügel-Gymnasium Murrhardt ist der bilinguale Zug in seinem dritten Jahr. Für die Neuntklässler, die sich für ihn entschieden haben, heißt das, im Biologieunterricht möglichst selbstverständlich und unverkrampft mit den englischen Fachbegriffen umzugehen.

Die isolierte DNA wird sichtbar.

© Jörg Fiedler

Die isolierte DNA wird sichtbar.

Von Christine Schick

Murrhardt. Zum Warmwerden hat Marco Wortmann drei Quizfragen im Stil der Fernsehsendung „Wer wird Millionär?“ zum Biologieunterricht mitgebracht. Die Fragen scheinen den Neuntklässlern wenig Kopfzerbrechen zu bereiten – ob es um die Anzahl der Zellen eines menschlichen Körpers oder um die Einordnung von Bestandteilen der DNA geht. Um genau diese Desoxyribonukleinsäure, Träger der Erbinformation des Menschen und anderer Lebewesen, geht es auch im Anschluss. Die Neuntklässler werden DNA isolieren, um die Grundzüge für eine Sequenzierung und die Laborarbeit kennenzulernen. „Welche DNA würdet ihr denn nehmen? Was bietet sich da an?“, fragt der Biologielehrer in die Runde. „Haare“ oder „ein Abstrich“ sind die ersten Vorschläge, die völlig richtig, aber vom Vorgehen her nicht so einfach sind. „Es ließe sich auch die DNA einer Pflanze verwenden“, stellt Marco Wortmann fest. Pflanzen haben zudem den Vorteil, dass sie nicht wie Tiere erst eingefangen werden müssen. Seine Wahl für die Stunde ist auf rote Zwiebeln gefallen. Auf einem Arbeitsblatt finden sich die Schritte, die die Schülerinnen und Schüler nun vom Zerkleinern über die Verwendung verschiedener Substanzen im Prozess bis zum Isolieren der DNA gehen müssen.

Die englischen Fachbegriffe werden eingeführt und zusammen eingeübt

Um die englischen Fachbegriffe einzuführen und dazu einzuladen, sie später bei der Arbeit gleich zu verwenden, schaltet Marco Wortmann eine kurze Mitsprechrunde dazwischen, während er die Materialien und Geräte hochhält und der Klasse zeigt. „Coffee filter“ erschließt sich da ganz gut, „detergent“ für Spülmittel schon weniger.

Die Schülerinnen und Schüler machen sich in Zweier- und Dreiergruppen an die Arbeit. Es wird geschnippelt und zermahlen, abgemessen und pipettiert, gefiltert und geschwenkt. Ziemlich selbstverständlich sprechen die Neuntklässler dabei auf Englisch – ob nun nach dem Salz gesucht, das Abmessen kommentiert oder eine Nachfrage gestellt wird. Klar, ab und zu, scheint in den Sätzen auch ein deutsches Wort auf wie „Spüle“ oder „Schnaps“ (Geruch des Alkohols) auf, trotzdem wirken Unterricht und Umgang in der Fremdsprache untereinander fast alltäglich eingespielt. Am Ende steht das Ausfällen der DNA und in den Reagenzgläsern zeigen sich wie von Zauberhand weiße Bestandteile in der Flüssigkeit, die wie eine kunstvolle Mischung aus Schnee und Eis wirkt.

Marco Wortmann gibt der Klasse noch eine Einordnung an die Hand: Die DNA aus allen Zellen des menschlichen Körpers ergäbe – hintereinander gelegt – eine Strecke, die 1000-mal so lang ist wie die Entfernung der Erde von der Sonne. Will heißen, das menschliche Genom setzt sich aus unvorstellbar vielen Bausteinen zusammen. Für Marco Wortmann liegt es nahe, dass der Biologieunterricht im bilingualen Zug seinen Platz hat. „Die ganze Fachliteratur ist ja auf Englisch“, sagt er. Trotzdem weiß er um die Herausforderung für die Schülerinnen und Schüler, die komplexen Sachverhalte in einer Fremdsprache zu erfassen und die Fachbegriffe zu lernen. Letztere braucht es aber auch im Deutschen.

Nach Erdkunde und Geschichte in den Vorjahren sind die Neuntklässler des bilingualen Zugs beim Biologieunterricht angekommen, der auf Englisch stattfindet. An diesem Morgen isolieren sie gemeinsam mit ihrem Lehrer Marco Wortmann (links) DNA. Fotos: Jörg Fiedler

© Jörg Fiedler

Nach Erdkunde und Geschichte in den Vorjahren sind die Neuntklässler des bilingualen Zugs beim Biologieunterricht angekommen, der auf Englisch stattfindet. An diesem Morgen isolieren sie gemeinsam mit ihrem Lehrer Marco Wortmann (links) DNA. Fotos: Jörg Fiedler

Für die Neuntklässler im bilingualen Zug ist es bereits das dritte Fach, in dem der Unterricht auf Englisch läuft. Nach einem Vorbereitungskurs in Klasse 6 haben sie zuerst Erdkunde, dann Geschichte in der Fremdsprache bestritten, nun ist Biologie an der Reihe. Wie fällt ihre Bilanz zum Angebot des Heinrich-von-Zügel-Gymnasiums bisher aus? Was waren die Überlegungen, sich für den zweisprachigen Unterricht zu entscheiden und haben sich die Erwartungen erfüllt? Julia Cvitkovic, der der Englischunterricht sowieso Freude macht, hat sich im ersten „Bilijahr“ richtig gut aufgehoben gefühlt. „Erdkunde und Englisch ist eine Superkombination“, sagt sie. In Geschichte hat es ihrer Einschätzung nach ein Stück weit mehr Erklärung gebraucht und nun „in Biologie sind die Fachbegriffe schwieriger“, kommen einfach dazu. Franzi Jelinek wollte das Angebot schlicht ausprobieren, neue Erfahrungen sammeln und sagt: „Es macht einfach auch Spaß, auf Englisch zu sprechen.“ Dass jetzt mehr Fachvokabular in Biologie dazukommt, nimmt sie dafür gerne in Kauf. Bisher hat es in allen Fächern gut geklappt. „Vom Schriftlichen her war ich in Englisch relativ gut, wollte mich aber vom Mündlichen her verbessern“, erzählt Tim Holzwarth. Der Plan geht auf, der Unterricht auf Englisch in den verschiedenen Fächern hat ihm viel geholfen, sagt er, auch wenn er Unterschiede in den Fächern ausmacht. In seinem Lieblingsfach Erdkunde hat es sehr gut funktioniert, in Geschichte und Biologie heißt es, viele Vokabeln zu lernen. Das sieht auch Emmi Luig so. „Man muss da schon Zeit investieren.“ Wenn es allein nach ihr gegangen wäre, hätte sie sich vermutlich gar nicht für den bilingualen Zug entschieden. „Ich war nicht so gut in Englisch“, erzählt sie. Aber ihre Mutter gab zu bedenken, dass sie das Angebot als Chance sehen könnte, um sich in der Sprache zu verbessern, und sie schlug ein.

Nicht gut in Englisch zu sein, kann für die Wahl des bilingualen Zugs sprechen

Frederik Becker war sich nach dem Vorbereitungskurs nicht ganz sicher, hat den bilingualen Zug dann aber doch angepackt. Ausschlaggebend war letztlich: Der Unterricht auf Englisch in verschiedenen Fächern erhöht die Chancen für ein Auslandsjahr. Er würde gern die USA kennenlernen. Ob das noch in der Schulzeit möglich ist, weiß er nicht, aber vielleicht ist es auch eine Option während des Studiums. Ein wenig gewöhnungsbedürftig fand er den Unterricht über deutsche Geschichte in Englisch zu Zeiten der Revolution – mit Originalquellen aus einem Deutschland um 1848. In der Runde wird noch zusammengetragen: Die Chancen, sich Sprachpraxis zu erschließen, ob für einen Auslandsaufenthalt oder einfach, weil es Freude macht, sind nicht zu verachten. Insofern geht die Empfehlung der Neuntklässler auch an die Jüngeren, sich das mit dem bilingualen Zug zu überlegen, gerade wenn man nicht gut in Englisch ist.

Für Marco Wortmann und Leonie Korthals bestätigt sich mit den Schilderungen der Runde vieles. Sich zu verbessern oder im Englischen und beim Sprechen einfach aufzugehen, gehörten mit Blick auf die verschiedenen Motive, sich für den Zug zu entscheiden, auch bei der Konzeption zu den Ausgangsüberlegungen. Nicht leugnen lässt sich, salopp gesagt, die Mehrarbeit, ob für Schülerinnen und Schüler oder für das Unterrichtsteam. „Der Aufwand bei der Vorbereitung ist schon größer“, sagt Marco Wortmann. Zwar gibt es viele Fachtexte auf Englisch, aber die sind didaktisch nicht aufbereitet, sprich es muss einiges angepasst werden, entweder inhaltlich oder sprachlich. „Und ich muss mir überlegen, wie sich die Vokabeln in den Unterricht gut integrieren lassen“, sagt er. Sein Wunsch ist, dass das so organisch wie möglich geschieht und damit fast schon beiläufig Englisch gesprochen wird. Das hat für Marco Wortmann den Charme, dass die Anlässe für Unterhaltungen auch nicht – wie manchmal im Englischunterricht selbst – künstlich herbeigeführt werden müssen, sondern das Sprechen notwendig und ganz natürlich eingebettet ist.

Leonie Korthals erläutert, was das auch ganz praktisch bedeutet: „Wenn eine Klassenarbeit beispielsweise in Geschichte auf Englisch geschrieben wird, spielt die Sprache an sich keine Rolle, ich prüfe vielmehr die Sachkenntnis.“ Trotzdem ist klar, dass dafür ein gewisser Wortschatz nötig ist und das Team eine Balance für die Einzelnen finden muss. Sie sollen genug an die Hand bekommen, um sich gut ausdrücken können, und gleichzeitig nicht überfrachtet werden.

Es gibt Überlegungen, das bilinguale Angebot auch für die Jahrgangsstufen J1 und J2 auszubauen

Fächerkanon Der bilinguale Zug am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium ist im Herbst 2019 mit einem Vorkurs gestartet, bei dem sich die Sechstklässler mit zwei zusätzlichen Wochenstunden in Englisch vorbereitet haben. Danach konnten sie sich entscheiden, ob sie künftig den Unterricht in ausgewählten Fächern in Englisch besuchen möchten, was jeweils eine Unterrichtsstunde mehr bedeutet. Das sind Erdkunde (7. Klasse), Geschichte (8. Klasse), Biologie (9. Klasse) und Geschichte sowie Chemie oder Biologie (10. Klasse). Zum bilingualen Lehrerteam gehören Marc di Maina (Erdkunde), Leonie Korthals (Geschichte), Marco Wortmann (Biologie), Philipp Heidemann (Chemie) und Yvonne Kühn (Geschichte). Die Schüler erhalten ein Zertifikat, dass sie den bilingualen Zug besucht haben. Nachdem sich zu Beginn 20 Schülerinnen und Schüler angemeldet haben, es im zweiten und dritten Jahr im Schnitt 15 sind, liegt die Zahl beim Vorkurs nun bei 42. Das hat mit einem sehr praktischen Grund zu tun: Dieser Unterricht findet nicht mehr an einem zusätzlichen Nachmittag, sondern vormittags statt.

Ausbau Das Lehrerteam überlegt, ob möglicherweise auch in der Kursstufe (11. und 12. Klasse) ein bilinguales Angebot gemacht werden kann, beispielsweise ein interdisziplinärer Seminarkurs, bei dem sowohl die Englisch- als auch die fachlichen Kenntnisse eine Rolle spielen. So ließe sich ein Thema wie Nachhaltigkeit aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.

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Erstellt:
4. Februar 2023, 06:00 Uhr

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