Klarheit zwischen den Pfosten

Der Bundestrainer Julian Nagelsmann spricht Marc-André ter Stegen nach langer Verletzungspause vor dem Start der Nations League das Vertrauen aus, doch beim FC Barcelona soll der Torwart ein Verkaufskandidat sein. Dazu positioniert sich der 33-Jährige nun deutlich.

Von Carlos Ubina

Herzogenaurach - Beim Torhüterspiel kommt es häufig auf das richtige Timing an. Es gilt, den Absprungmoment für eine Parade zu finden, rechtzeitig den Winkel für den abschließenden Stürmer zu verkürzen oder sich vor dem anrennenden Angreifer mit der gesamten Körperspanne breit zu machen. Erfahrung hilft in solchen Augenblicken – und Marc-André ter Stegen verfügt über beide Komponenten in außerordentlichem Maße. Sein Torwartspiel sei nicht nur facettenreich, sondern auf höchstem Niveau nahezu komplett, sagen viele Fachleute. Zudem zeichnet den 33-Jährigen während seiner bisherigen Fußballkarriere eine weitere Tugend aus: Ruhe.

Ter Stegen bleibt geduldig und ausgeglichen. Ganz gleich, wie schwer es ihn trifft. Sportlich oder menschlich. Jahrelang musste er in der Nationalmannschaft damit leben, im Schatten von Manuel Neuer auf der Ersatzbank zu sitzen, obwohl er schon zur Nummer eins ausgerufen worden war. Kaum hatte König Manu seine Länderspielkarriere nach der Heim-EM im vergangenen Sommer beendet, verletzte sich ter Stegen schwer. Wieder verzögerte sich die endgültige Wachablösung im Torwartland. Und jetzt?

„Für mich ist das Glas halb voll. Ich bin ein positiver Typ, auch wenn es während der Reha schwierige Momente gab“, sagt ter Stegen, „ich fühle mich aktuell sehr gut. Mein Fokus lag immer darauf, sehr schnell zurückzukommen und das gleiche oder ein noch besseres Niveau zu erreichen.“ Der Ehrgeiz ist demnach ungebrochen und der Schlussmann präsentiert sich nach neunmonatiger Verletzungspause im Kreis des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wieder fit und einsatzbereit. Julian Nagelsmann hat ihm garantiert, im Finalturnier der Nations League zwischen den Pfosten zu stehen – mit Blickrichtung WM 2026. „Ich bin sehr guter Dinge, dass er hier zunächst zwei Topspiele absolvieren wird“, sagt der Bundestrainer. Als routinierter Profi brauche ter Stegen nicht unbedingt „diesen Megarhythmus“.

Das Vertrauen ist also groß. Eine Torhüterdiskussion (die Vertreter im DFB-Team sind Oliver Baumann/TSG Hoffenheim und Alexander Nübel/VfB Stuttgart) gibt es nicht, und doch wird vor dem Halbfinale am Mittwoch (21 Uhr/ZDF) gegen Portugal in München nicht die schöne Comeback-Geschichte nach einem Patellasehnenriss im Knie geschrieben. Denn aus Spanien sind Medienberichte nach Mittelfranken geschwappt, dass der Schlussmann beim FC Barcelona ein Verkaufskandidat sei. Nach elf Jahren und 19 Titeln mit den Katalanen.

Der Vereinspräsident Joan Laporta soll auf einer Vorstandssitzung grünes Licht für einen Transfer des lange unantastbaren Kapitäns gegeben haben. Und schon muss ter Stegen im DFB-Mannschaftsquartier in Herzogenaurach reagieren und parieren – nicht Schüsse auf sein Tor, sondern Fragen nach seiner offenbar ungewissen Zukunft, da die Nachrichten aus der Wahlheimat Attacken auf seinen Status im Renommierclub gleichkommen. „Ich beschäftige mich nicht zu sehr mit diesem Thema“, sagt ter Stegen, „Barça ist einer der größten Clubs der Welt. Da ist es wie immer: Es gibt eine Konkurrenzsituation auf allen Positionen. Dieser Herausforderung stelle ich mich, auch wie immer.“

Ter Stegen, der über einen Vertrag bis 2028 verfügt, zieht es nicht weg aus Barcelona. „Wir haben eine junge, dynamische und hungrige Mannschaft. Darauf freue ich mich extrem nächste Saison“, sagt der gebürtige Mönchengladbacher, der bisher noch nicht mit seinem Clubtrainer Hansi Flick über die entstandene Lage gesprochen hat. „Ich wüsste nicht, warum. Ich weiß, dass ich nächste Saison in Barcelona bin. Es ist jetzt keine Situation entstanden, über die man reden müsste“, erklärt ter Stegen.

Dagegen hat sich Nagelsmann mehrfach mit seinem Vorgänger Flick unterhalten, „aber garantiert nicht über die Transferpläne von Barcelona. Das ist nicht meine Baustelle“, so der Bundestrainer. Es ging um ter Stegens Leistungsstand nach wenigen Ligaspielen. In den wichtigen Begegnungen hatte Flick bei Barça aber weiter dessen überzeugenden Vertreter Wojciech Szczesny zwischen die Pfosten gestellt. Nun soll der Pole seinen Vertrag verlängern. zudem gehört noch Iñaki Peña zur Torwartgruppe. Joan Garcia vom Lokalrivalen Espanyol Barcelona soll dazukommen.

Für den langjährigen Stammkeeper ändert auch das erst einmal nichts. Ter Stegens Anspruch bleibt hoch. Er will auf dem Platz stehen, im Verein und beim Verband. Das macht er bei aller öffentlicher Zurückhaltung klar. Für seine Verhältnisse klingen die Aussagen sogar kämpferisch. Nagelsmann gibt ter Stegen dafür die Rückendeckung, die ein Torhüter benötigt. „Das fühlt sich gut an und ist spektakulär für mich“, sagt der Nationaltorhüter über die Haltung seines DFB-Vorgesetzten. Sie lässt ihn Sicherheit und Selbstvertrauen ausstrahlen. Zwei Komponenten, die ebenfalls zu einem starken Torwartspiel gehören und die ter Stegen nun in seinem 43. Länderspiel gegen Cristiano Ronaldo und Co. einbringen will.

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Erstellt:
1. Juni 2025, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
2. Juni 2025, 22:00 Uhr

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