See in Brandenburg

Klimawandel: Wie der Fresdorfer See verschwand

Er war älter als die Ostsee. Doch 2020 ist der Fresdorfer See in Brandenburg endgültig ausgetrocknet. Wie kann sowas passieren? Eine Recherche und ein Nachruf zum fünften Todestag.

Wo bis 2020 der Fresdorfer See lag, wuchert heute nur noch Gestrüpp.

© Rebekka Wiese

Wo bis 2020 der Fresdorfer See lag, wuchert heute nur noch Gestrüpp.

Von Rebekka Wiese

Als er in die Welt kam, da trug er noch keinen Namen. Erst später, da waren schon viele Jahrtausende vergangen, nannte man ihn den Fresdorfer See. Denn er lag nahe einem kleinen Dorf im heutigen Brandenburg, das im Jahr 1375 zum ersten Mal urkundlich unter dem Namen Fresdorf erwähnt wurde. Entstanden war der Fresdorfer See aus einem Gletscher, lange bevor Menschen hier siedelten. Als sich die Eismassen zurückzogen, blieb das Wasser. Etwa 12 000 Jahre ist das her. So alt wurde der Fresdorfer See. Bis er im Sommer 2020 verschwand.

Vor fünf Jahren ist der Fresdorfer See ausgetrocknet. Und zwar endgültig. Wo früher mal das Wasser stand, ist jetzt so etwas wie ein Sumpf. Schilf, Büsche, Brennnesseln, auch schon erste Bäume, Erlen, Silberweiden, ein Ahorn. Oder um es mit den Worten des Fresdorfer Ortsvorstehers Bernd Herrmann zu sagen: „Hier geht niemand mehr Schlittschuh laufen.“ Herrmann, Jahrgang 1952, glitt selbst als Kind noch über das Eis. Nun steht er am Ufer – falls man das überhaupt so nennen kann, wenn es kein Wasser mehr gibt.

Drei extrem trockene Sommer

Etwa sieben Hektar Fläche hatte der Fresdorfer See in seinen letzten Jahren, man kann ihn sich doppelt so groß wie den Times Square in New York vorstellen. Er war immer flach, immer ein bisschen zugewuchert. „Deshalb war hier auch kaum jemand schwimmen, nur alle Jahre mal vielleicht“, sagt Herrmann. Zu viele Wasserpflanzen, die von unten über Bauch und Beine strichen. Und doch: Dass der See einfach austrocknete, damit hatten die Fresdorfer nicht gerechnet. Drei extrem trockene Sommer hatten sie in Brandenburg, die Dürren in den Jahren 2018 und 2019, wenig Regen im Jahr 2020. Das hat der Fresdorfer See nicht überlebt.

Die Geschichte des Fresdorfer Sees erzählt vom Menschen, vom Wasser und der Natur – und der Frage, was es bedeutet, wenn sich ihr Zusammenspiel in einem neuen Klima verändert. Denn dass Seen Wasser verlieren, kann man seit einigen Jahrzehnten beobachten. Und zwar fast überall auf der Welt.

Ein weltweites Phänomen

2023 erschien eine Studie im Fachmagazin „Sciences“. Die Autoren hatten Satellitenaufnahmen der weltweit größten Seen ausgewertet und festgestellt: Zwischen 1992 und 2020 verloren mehr als die Hälfte der untersuchten Seen einen bedeutenden Teil ihres Wasservolumens. Als Gründe machten die Forscher aus: den Wasserverbrauch durch den Menschen – und die Klimaerwärmung, die bewirkt, dass die Luft mehr Wasser aufnimmt, während die Böden trockener werden.

Dass das Schilf am See mehr wurde, das hatten die Fresdorfer schon lange beobachtet. Doch dass das Wasser ganz verschwinden würde, hatten sie nicht kommen sehen. Das liegt vielleicht auch daran, dass der See jenseits des Ortsrandes liegt, versteckt im Wald. Im Winter 2018 seien hier noch einige Fresdorfer Schlittschuh laufen gewesen, erzählt Herrmann. Zweieinhalb Jahre später war der See verschwunden. „Das war dann doch ein Schock. Vor allem, dass es so schnell ging. Das geht einem schon nahe.“ Herrmann zeigt in das Gestrüpp, das heute über den See wuchert. „Hier muss irgendwo noch ein Kahn liegen.“

Ein Verein, um die Seen zu retten

Am Ufer steht noch ein weiterer Mann. Jürgen Wagler wohnt ein paar Orte weiter, aber man kennt ihn hier. 2020 hat Wagler gemeinsam mit anderen Anwohnern einen Verein gegründet, um die Seddiner Seenkette zu retten, zu der auch der Fresdorfer See gehörte. Wagler und der Verein kämpfen jetzt für die übrigen Gewässer. Vor allem für den Großen Seddiner See.

Der Große Seddiner See ist so etwas wie das Herz und die Seele der Gemeinden, die hier südlich von Potsdam aufeinander treffen. Ein großes, flaches Gewässer, umrundet von Wald und kleinen Siedlungen. Im Sommer kommen auch Leute aus Potsdam und Berlin, um hier schwimmen zu gehen.

Austrocknen im Zeitraffer

Doch auch der Große Seddiner See verliert Wasser. Was dem kleinen Fresdorfer See passiert ist, kann man als so etwas wie ein Zeitraffer-Szenario begreifen, das auch den größeren Gewässern in der gesamten Region drohen könnte. Der Fresdorfer See hing an demselben Grundwasser-Reservoir wie alle anderen Gewässer in der Gegend. Die Seen hier haben keinen Zufluss, sondern speisen sich nur aus Grund- und Regenwasser. „Wenn das knapp wird, dann wird es schnell eng“, sagt Wagler.

Er erklärt, dass die Wasserstände des Großen Seddiner Sees seit den 1970ern beobachtet würden. Bis 1989 hätte es nie Wasserstände unter 39 Metern über dem Meeresspiegel gegeben. „Doch zwischen 1990 und 2000 ist das rapide abgesunken“, sagt Wagler. „39 Meter, das hatten wir das letzte Mal 2013.“

Die Menschen, der Golfplatz, die Landwirtschaft

Dafür gibt es zwei Gründe. Da ist zum einen der Wasserverbrauch. Am Großen Seddiner See leben viele Menschen, sie bewässern ihre Gärten, manche haben kleine Pools. Es gibt einen Golfplatz. Sein grüner Rasen wird regelmäßig gesprengt. Und viel Landwirtschaft. Im Frühjahr setzen manche Bauern ihre Felder unter Wasser „Jetzt darf man ja keinem die Schuld geben“, sagt Wagler. „Wir leben ja immerhin davon.“

Zum anderen spielt der Klimawandel eine Rolle. Es regnet seltener als früher. Selbst ein nasser Sommer wie in diesem Jahr wirkt sich nicht mehr so stark aus. „Wenn der Grundwasserspiegel geschädigt ist, bleibt weniger Wasser im See“, sagt Wagler. Was das heißt, konnte man im Juli sehen. Da regnete es fast jeden Tag. Das hat den Wasserstand um fünf Zentimeter hochgebracht. Trotzdem liegt er noch etwa anderthalb Meter unter dem Stand, der früher normal war. Das Wasser an der Oberfläche verschwindet, weil das unter der Erde zu knapp geworden ist. Denkt man daran, dass der Fresdorfer See in den vergangenen Jahren nur noch eine Wassertiefe von einem Meter hatte, kann man nicht überrascht sein, dass er ausgetrocknet ist.

Eine Wasserleitung als Rettung?

„Beim Klima sind wir machtlos“, sagt Wagler. „Aber bei allem anderen, da können wir was machen.“ Sein Verein kämpft dafür, dass eine Leitung von der Nieplitz, einem nahe gelegenen Fluss, in den Großen Seddiner See gelegt wird. Die zugehörigen Gemeinden habe er inzwischen auf seiner Seite.

Aber es gibt auch skeptische Stimmen. Zum Beispiel Peter Koch vom Landschaftsförderverein Nuthe-Nieplitz-Niederung. Der Förderverein kauft Naturflächen in der Region, um sie zu schützen – dazu gehört auch die, auf der der Fresdorfer See lag. Von der Wasserleitung, für die Wagler kämpft, hält man beim Landschaftsförderverein wenig. Die Nieplitz, aus der das Wasser kommen soll, gehöre zum selben Grundwasser-Reservoir wie die Seen auch, sagt Peter Koch. Von dort das Wasser in die Seen zu leiten, sei nicht nachhaltig. Stattdessen müsste weniger Wasser verbraucht, Flächen entsiegelt, Wasser in den Böden gehalten werden. Das sind Maßnahmen, die wohl auch Wagler nicht falsch findet. Aber er sagt auch: „Man muss sich einfach darüber bewusst sein, dass hier sehr viele Menschen das Wasser nutzen.“ Man kann ahnen, welche Debatten in den kommenden Jahrzehnten noch auf Deutschland warten. Dass man sich dem Klimawandel anpassen muss, ist klar. Aber es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob man dafür mehr oder weniger in die Natur eingreifen muss.

Klimaanpassung – aber wie?

Auf Google Maps ist der Fresdorfer See noch als blauer Fleck eingezeichnet. Als habe das Internet verpasst, dass der See nach zwölf Jahrtausenden verschwunden ist. Ortsvorsteher Bernd Herrmann sagt: „Das Kapitel See ist hier beendet.“

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Erstellt:
21. August 2025, 18:28 Uhr

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