Eskalation im Nahen Osten
Kommt es jetzt zum großen Krieg zwischen Israel und dem Iran?
Im Streit über das iranische Atomprogramm hofften Washington und Teheran zuletzt auf eine diplomatische Lösung. Nun greift Israel an, der Iran übt Rache. Was folgt als nächstes? Der große Krieg zwischen den "Erzfeinden"?

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Israelische F-15- und F-16-Kampfjets haben militärische und atomare Anlagen im Iran angegriffen und teilweise zerstört. Weitere Angriffswellen dürften folgen (Archivbild).
Von dpa/Markus Brauer
Nach dem Beginn des israelischen Großangriffs auf die Atomanlagen im Iran ist die Lage in der Region explosiver denn je. Die Islamische Republik schlägt nach israelischen Angaben bereits mit Drohnen zurück. Fragen und Antworten zur aktuellen Lage im Nahen Osten:
Wie begründet Israel den Großangriff?
Der israelische Staatspräsident Izchak Herzog hat den Großangriff im Iran mit einer existenziellen Bedrohung des jüdischen Volkes begründet. Der israelische Armeesprecher Effie Defrin sagt, Israel habe zuletzt Anzeichen identifiziert, dass der Iran „erhebliche Fortschritte in Richtung nuklearer Fähigkeiten gemacht“ habe. „Das iranische Regime galoppiert in Richtung einer Atombombe.“
Geheimdienstinformationen hätten gezeigt, dass Teheran ein geheimes Programm betreibe, erklärt Defrin. Im Rahmen dieses Programms hätten iranische Atomwissenschaftler Versuche ausgeführt, um es voranzutreiben. Er spricht von einem „eindeutigen Beweis dafür, dass das iranische Regime nach dem Bau einer Atombombe in nächster Zeit“ strebe.
Warum kommt der Angriff jetzt?
Zur Entscheidung für den Angriff – über den schon seit mehr als ein Jahrzehnt lang diskutiert wird – zu diesem Zeitpunkt trug sicherlich auch die Schwächung der iranischen „Achse des Widerstands“ bei.
Nach mehr als 20 Monaten Gaza-Krieg ist die islamistische Hamas deutlich dezimiert, ebenso die libanesische Hisbollah. Syrien dient seit dem Umsturz nicht mehr als Korridor für Waffenlieferungen des Irans an die Hisbollah. Nach einem israelischen Angriff im vergangenen Jahr gilt zudem die Luftabwehr des Irans als beschädigt.
Was hat der Zeitpunkt des Angriffs mit der Atomenergiebehörde zu tun?
Mit großer Aufmerksamkeit wurde in Israel auch die Resolution des Gouverneursrats der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien zur Kenntnis genommen. Diese stellte formell fest, dass der Iran seine rechtlichen Verpflichtungen zur Zusammenarbeit mit der IAEA nicht erfüllt.
Dies wurde in Israel als „gelbe Karte“ für Teheran interpretiert. Israels Militärchef sagte mit Blick auf den Großangriff im Iran, man befinde sich „an einem Punkt ohne Umkehr“. Man habe nicht mehr warten können.
Wie wirksam ist Israels Angriff?
Der Iran hat nach Angaben von Experten jahrelang daran gearbeitet, seine Atomanlagen gegen die Gefahr militärischer Angriffe zu schützen, was eine vollständige Zerstörung erschwere. „Die Art von Beton, die (die Iraner) verwenden, ist tatsächlich ein sehr spezieller, gehärteter Beton“, erklärt der Militäranalyst Cedric Leighton. Es sei unklar, ob israelische Bomben diese Art von Beton durchdringen könnten. „Die Israelis müssten eine Angriffswelle nach der anderen starten.“
Einige Atomanlagen befinden sich laut Experten zudem tief unter der Erde. Die israelische Luftwaffe verfüge über keine B-2- und B-52-Bomber, die sogenannte Bunkerbrecher-Bomben des US-Verbündeten transportieren können, berichtet die US-Nachrichtenseite „Axios“.
Solche schweren Bomben wären wahrscheinlich nötig, um die unterirdische Urananreicherungsanlage Fordow im Iran zu treffen, heißt es. Amos Jadlin, früherer Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, betont jedoch: „Unterschätzen Sie niemals Israels Innovationskraft und seine Fähigkeit, zu überraschen.“
Sind auch unterirdische Bunkeranlagen zerstört worden?
Bei dem israelischen Großangriff im Iran ist nach Militärangaben aus Israel der unterirdische Bereich der Atomanlage Natans getroffen worden. Dort befänden sich eine mehrstöckige Anreicherungshalle mit Zentrifugen, Stromversorgungsräume und weitere unterstützende Infrastrukturen.
Es seien essenziell wichtige Anlagen vor Ort zerstört worden, „die für den fortlaufenden Betrieb und das weitere Vorantreiben des Nuklearprojekts des iranischen Regimes unerlässlich sind“, heißt es weiter. Eine enge Zusammenarbeit des israelischen Militärgeheimdienstes und der Luftwaffe hätten zu „erheblichen Schäden“ an der Anlage geführt.
Grundlage für die Angriffe der israelischen Kampfjets auf Natans seien „präzise Geheimdienstinformationen“ gewesen. „Es handelt sich um die größte Urananreicherungsanlage Irans, die seit Jahren auf die Herstellung von Atomwaffen hinarbeitet und über die notwendige Infrastruktur zur militärischen Anreicherung verfügt.“
Was ist der aktuelle Stand des iranischen Atomprogramms?
Seit Jahren unterhält der Iran ein Atomprogramm mit zwei Anlagen zur Urananreicherung und einem Kernkraftwerk in der Hafenstadt Buschehr.
Das Land betreibt außerdem einen Forschungsreaktor nahe der Hauptstadt Teheran sowie weitere Anlagen in der Metropole Isfahan im Zentrum des Landes.
In Arak im Westen betreibt der Iran zudem einen Schwerwasserreaktor.
Der Westen wirft dem Staat vor, nach Atomwaffen zu streben. Teheran dementiert das. Laut einem Bericht der IAEA verfügt Teheran bereits über fast 409 Kilogramm an Uran mit einem Reinheitsgrad von 60 Prozent. Für Kernwaffen wird ein Reinheitsgrad von gut 90 Prozent benötigt. Experten hatten immer wieder bemängelt, dass dies für zivile Zwecke nicht nötig ist.
Was wird aus den Atomverhandlungen zwischen Iran und USA?
Seit knapp zwei Monaten verhandeln Washington und Teheran über das iranische Atomprogramm. Zuletzt gerieten die Gespräche wegen erheblicher Meinungsunterschiede jedoch ins Stocken. Die USA fordern einen vollständigen Stopp der Urananreicherung, was Teheran als rote Linie betrachtet.
Eigentlich war für Sonntag (15. Juni) unter Vermittlung des Golfstaats Oman eine sechste Gesprächsrunde geplant. Nach Einschätzung von Beobachtern ist ein Treffen nach der jüngsten militärischen Eskalation äußerst unwahrscheinlich.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte einen Deal nur dann für akzeptabel erklärt, wenn er zur Zerstörung aller Atomanlagen im Iran führen würde. US-Präsident Donald Trump hatte sich gegen einen Angriff Israels im Iran ausgesprochen, solange die Verhandlungen noch laufen.
Warum warnt die IAEA vor einem Angriff auf Atomanlagen?
Auch IAEA-Chef Rafael Grossi hatte Israel jüngst noch vor einem Angriff auf iranische Atomanlagen gewarnt. Diese seien extrem gut geschützt und es würde eine „sehr, sehr zerstörerische Kraft erfordern, sie zu beschädigen“, stellte Grossi fest. Er machte deutlich, dass so ein Angriff nach hinten losgehen könnte. „Ein Angriff könnte einen Amalgamierungseffekt haben, der, ich sage es ganz deutlich, die Entschlossenheit des Irans, nach einer Atomwaffe zu streben oder aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen, festigen würde.“ Der oberste UN-Atomwächter fügte hinzu, er sage das, weil die Iraner ihm das so gesagt hätten.
Droht ein Flächenbrand in Nahost?
Es besteht die Befürchtung, dass die Führung des Irans Vergeltungsschläge gegen US-Stützpunkte in der Region anordnen könnte. Die USA als Israels wichtigster Verbündeter hatten diese Woche aus Sicherheitsgründen eine Reduzierung ihres Botschaftspersonals im Irak veranlasst. Stützpunkte des US-Militärs am Persischen Golf sind nicht sehr weit vom Iran entfernt.
Israels Handlungen hätten nicht ohne Koordination und Genehmigung der USA erfolgen können, erläutert das iranische Außenministerium. Daher sei auch die US-Regierung als Hauptunterstützer Israels für die Konsequenzen mitverantwortlich.
US-Außenminister Marco Rubio warnt an die Führung in Teheran gerichtet: „Lassen Sie mich deutlich sein: Der Iran sollte US-Einrichtungen oder US-Personal nicht angreifen.“
In seinem Nachbarland Irak übt der Iran großen Einfluss aus, unter anderem über verbündete schiitische Milizen. Zudem verfügt die Regionalmacht über Raketen, die Israels Staatsgebiet erreichen können.
Israel stellt sich auch darauf ein, dass Teherans Verbündeter im Jemen, die Huthi-Miliz, ihre Angriffe auf Israel noch verstärken könnte. Außerdem wird befürchtet, dass auch die libanesische Hisbollah-Miliz trotz einer seit November geltenden Waffenruhe wieder in den Konflikt eingreifen könnte.