Licht und Schatten während der Pandemie

Im Juli hätte im Rahmen des Stadtfestes auch ein Treffen von Murrhardts Partnerstädten stattgefunden, das wie viele größere Veranstaltungen coronabedingt abgesagt ist. Wie geht es den Menschen dort? Stimmen aus Château-Gontier, Frome und Rötha.

Der Blick auf ein ruhiges, fast ausgestorbenes Château-Gontier während des Lockdowns. Fotos: privat

Der Blick auf ein ruhiges, fast ausgestorbenes Château-Gontier während des Lockdowns. Fotos: privat

Von Christine Schick

MURRHARDT. Frankreich hat die Pandemie bekanntlich neben Spanien und Italien härter getroffen als Deutschland. Trotzdem machen verschiedene Erhebungsmethoden und Rahmenbedingungen wie beispielsweise die Anzahl der Tests einen Vergleich nicht ganz einfach. Zudem ist die Lage auch je nach Region innerhalb der europäischen Länder durchaus unterschiedlich. Das zeigt auch eine Anfrage bei den Vertretern von Murrhardts Partnerstädten.

Patrice Houtin, stellvertretender Bürgermeister von Château-Gontier-sur-Mayenne, der auch im Partnerschaftskomitee vertreten ist, berichtet, dass Westfrankreich im Gegensatz zum Osten des Landes von der Pandemie relativ verschont geblieben sei. Trotzdem hat das Departement Mayenne (Verwaltungseinheit, zu der mehrere Städte und Gemeinden gehören – ähnlich eines Landkreises; rund 307500 Einwohner) 40 Todesfälle im Zusammenhang mit der Erkrankung an Covid-19 zu beklagen. Mittlerweile – der Bericht ist von Mitte Juni – gibt es nur noch ein Duzend Menschen im Departement Mayenne, die in der Klinik behandelt werden. In Château-Gontier-sur-Mayenne, zu dem neben der Stadt selbst Bazouges, Azé und Saint-Fort gehören, habe es nur sehr wenige Fälle gegeben. Seit Beginn der Pandemie hieß es für das örtliche Krankenhaus in Haut-Anjou, die Kapazitäten zu erweitern, insbesondere auf der Intensivstation. Mitte März wurde auf dem neuen Festplatz von Saint Fiacre zudem ein medizinisches Haus eingerichtet, um dort Menschen mit typischen Symptomen von Covid-19 aufnehmen zu können.

Ähnlich wie in Deutschland hatten die Menschen mit dem Lockdown und den Kontaktbeschränkungen zu kämpfen – besonders geschützt werden mussten die Seniorenheime, wodurch die Fälle in den Einrichtungen begrenzt werden konnten, wie Patrice Houtin schreibt. Wer nicht in den Bereichen rund um Gesundheit, Ernährung, sanitäre Einrichtungen und Abfallentsorgung im Einsatz bleiben musste, arbeitete von zu Hause aus. Um draußen unterwegs sein zu dürfen, brauchte es eine Bescheinigung und entsprechende Begründung.

Es entstanden Initiativen und Hilfsdienste, vor allem um die besonders gefährdeten Menschen zu unterstützen und zu begleiten. Die Herstellung von Stoffmasken lief an oder es gab Einkaufshilfe für Menschen in Quarantäne bis hin zu regelmäßigen Anrufen von Senioren und Notbetreuung der Kinder von Pflegekräften. Wie Michèle Hartmann, ehemalige Stadträtin und immer noch in der Städtepartnerschaft engagiert, berichtet, hat sich Bürgermeister Philippe Henry besonders bei den Helfern sowie Medizin- und Pflegekräften bedankt. „In den Altersheimen durfte das Personal die Gebäude nicht mehr verlassen, sie sind geblieben, um die Menschen dort zu versorgen“, erzählt sie. Auch finanzielle Hilfspakete für stark betroffene Unternehmen wurden, ähnlich wie in Deutschland, geschnürt.

Seit dem 11. Mai haben in Frankreich die Lockerungen begonnen. Zunächst durften die Menschen auch in Château-Gontier-sur-Mayenne sich wieder innerhalb von 100 Kilometern bewegen, Grundschulen konnten (mit vielen Einschränkungen, weniger Schülern) öffnen, dann weiterführende Schulen, allmählich kamen auch weitere Bereiche hinzu wie Kirchen bis hin zu Bars, Restaurants, kulturelle und sportliche Einrichtungen – mit entsprechenden Abstandsregeln.

Ab dem 4. Juli, an dem in Frankreich die Sommerferien beginnen, wird es erlaubt sein, innerhalb des Landes sowie in die meisten europäischen Ländern in Urlaub zu fahren. Ähnlich wie hier sind aber große Veranstaltungen tabu, weshalb das Chalibaude in Château-Gontier-sur-Mayenne (Ende Juni) abgesagt ist. Im August möchte die Stadt es wagen, ein erstes Fest – die Feiern zu St. Fiacre – zu veranstalten.

Die wirtschaftlichen Folgen sind für viele Unternehmen schon zu spüren, so Patrice Houtin, und insofern hoffe man, von einer zweiten Welle verschont zu bleiben – auch mithilfe der entsprechenden Disziplin bei den Schutzmaßnahmen. Wie auch Michèle Hartmann berichtet, fielen die Wahlen im März in die Zeit des Lockdowns. Bürgermeister Philippe Henry ist wiedergewählt (dort wählen die Stadträte das Stadtoberhaupt) und wird weiterhin die Geschicke der Stadt leiten. Spannend ist auch eine Reihe von Eindrücken der „Friends for Europe“ aus Château-Gontier, die Guy Michel, Präsident des Partnerschaftskomitees, zusammengetragen hat und die auch andere Aspekte berücksichtigen wie die Tatsache, dass sich Tiere ihren Raum zurückeroberten (siehe Kasten).

Für die englische Partnerstadt Frome gibt Justin Worringham, Vorsitzender des Partnerschaftsausschusses, Auskunft. Wie in Château-Gontier wurden dort für die einzelne Stadt keine Daten erhoben, sondern für den Distrikt Mendip (115000 Einwohner), der vier Städte in ähnlicher Größe wie Frome sowie weitere Kommunen umfasst. Dort gab es seit Beginn der Pandemie 65 Infektionsfälle (zweitniedrigste Anzahl von Fällen pro 100000 Einwohner in England), der letzte datiert vom 20. Mai.

Im Distrikt Mendip wurde die zweitniedrigste Zahl an Infektionen in England gemeldet.

Über Todesfälle lasse sich nichts sagen, da diese Daten in den Kliniken gesammelt werden und es im Distrikt kein Krankenhaus gibt, das Covid-19-Patienten behandelt (das nächstgelegenste ist in Bath, das zusätzliche Intensivbetten geschaffen hat, etwa 20 Kilometer entfernt). Insofern gibt es „keine veröffentlichten Daten über Todesfälle in Frome oder Mendip“, „aber wir glauben, dass dies in Frome eine extrem kleine Zahl ist“.

Justin Worringham berichtet über die Einschränkungen und Regeln, die es seit dem 15. Juni noch gibt: zwei Meter Abstand und das Tragen von Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln, Treffen bis zu sechs Personen, die nicht aus einem Haushalt stammen, und die Empfehlung von Homeoffice. Geschäfte dürfen öffnen, wenn sie die Abstände gewährleisten können, ebenso Zoos, Tierparks und Freiluftkinos. Schulen beginnen den Betrieb mit einer begrenzten Anzahl an Schülern. Noch verboten ist die Übernachtung in Hotels, Wohnwagen, Zelten oder Ferienhäusern, Restaurants, Cafés und Kneipen dürfen nur Speisen und Getränke zum Mitnehmen anbieten und eine Reihe von Läden und Dienstleistern wie Friseure, Optiker, Zahnärzte, Tattoostudios und Massagesalons haben noch geschlossen. Wer aus Übersee anreist, muss 14 Tage in Quarantäne. Auch wenn es zur wirtschaftlichen Entwicklung noch keine Zahlen gibt, befürchten die Verantwortlichen schwerwiegende Folgen. Im April ist das Bruttosozialprodukt in Großbritannien um 20 Prozent gesunken.

Was die gegenseitige Unterstützung angeht, berichtet Justin Worringham über die Organisation „Fair Frome“, die Lebensmittelpakete für Bedürftige und in Not geratene Menschen bereitstellt und die mit der Pandemie einen deutlichen Anstieg an Nachfragen zu verzeichnen hat. Vom Stadtrat ging eine Initiative aus: Die Fromer wurden gebeten, zu je fünf Nachbarn Kontakt aufzunehmen, um sicherzustellen, dass die Menschen, insbesondere die gefährdeten, nicht vergessen werden, sprich niemand durchs Raster fällt. Seit zwei Monaten kommen die Menschen um 20 Uhr aus ihren Häusern und spenden Applaus – für den National Health Service und Helden aus anderen Arbeitsbereichen. Justin Worringham denkt, dass es in den nächsten wichtigen Entscheidungen darum gehen wird, wie die Gastronomie öffnen kann und welche Abstandsregeln einen Betrieb wieder zulassen.

Die Anfrage bei der polnischen Partnerstadt Rabka-Zdrój wurde bisher nicht beantwortet, sollten sich die Vertreter noch melden, werden wir berichten.

Auch wenn die sächsische Partnerstadt Rötha etwas näher liegt, ist es spannend, was Bürgermeister Stephan Eichhorn zurückmeldet. „Wir haben nur zwei Infektionsfälle, seit einigen Tagen leider auch wieder fünf Quarantänefälle. Mit 194 liegt die Zahl der Infektionen bei rund 260000 Einwohnern auch im Landkreis (Leipzig) vergleichsweise gering“, schreibt Eichhorn. Todesfälle habe es in Rötha bisher erfreulicherweise nicht gegeben, Angaben des Landkreises dazu liegen ihm nicht vor, im Bundesland Sachsen seien es bisher – auch seine Rückmeldung stammt von Mitte Juni – 217.

Die Ausgangsbeschränkungen wurden ab dem 20. April wieder schrittweise gelockert. Es gab eine Notbetreuung, Einrichtungen wie Kitas oder Sport- und Kulturstätten waren bis Mitte Mai geschlossen. Von den Lockerungen werde mit Freude und Erleichterung Gebrauch gemacht, wobei Verstöße gegen die Abstands- und Hygieneregeln bislang nicht festgestellt worden seien. „Familienfeste sind bei uns jetzt wieder mit bis zu 50 Teilnehmern möglich“, so Eichhorn. Er erwartet weitere Lockerungen bei Kitas und Schulen, deren eingeschränkter Regelbetrieb viele Eltern an die Grenze ihrer Belastbarkeit gebracht hätte.

Was die wirtschaftlichen Folgen anbelangt, liege die Gewerbesteuer im Mai nur ein Prozent unter dem Vergleichsmonat 2019. Bislang lägen auch nur vier Stundungsanträge für die Gewerbesteuer vor, die die Stadt zinslos für drei Monate gewährt hat. „Wie sich das Gewerbesteueraufkommen in den nächsten Monaten weiterentwickelt, kann nur abgewartet werden.“

In Frome stehen die Menschen vor Läden Schlange, die längere Zeit als nicht grundversorgungsrelevant geschlossen hatten.

In Frome stehen die Menschen vor Läden Schlange, die längere Zeit als nicht grundversorgungsrelevant geschlossen hatten.

Auch im Alltag machten sich die Einschränkungen in der englischen Partnerstadt Frome bemerkbar. Dieser Parkplatz beispielsweise ist normalerweise komplett zugeparkt, während des Lockdowns finden sich dort nur noch wenige Autos.

Auch im Alltag machten sich die Einschränkungen in der englischen Partnerstadt Frome bemerkbar. Dieser Parkplatz beispielsweise ist normalerweise komplett zugeparkt, während des Lockdowns finden sich dort nur noch wenige Autos.

Was „Friends for Europe“ aus Château-Gontier berichten

Evan schildert, wie er während der Ausgangssperre Freunde und Familie nicht sehen konnte. „Ich habe meine Freunde sehr vermisst.“ Trotzdem habe die Situation auch Positives hervorgebracht, wie neue Gewohnheiten. Evan achtet nun mehr auf seine Handhygiene, treibt mehr Sport und hatte mehr Zeit für seine Hobbys. Zwei Monate waren die Straßen von Château-Gontier wie ausgestorben. „Es fühlte sich an, als wäre es jeden Tag Sonntag.“ Und: Während der Ausgangssperre hat sich die Natur Terrain zurückerobert. „Es wurden zum Beispiel zwei Wale im Hafen von Marseille gesichtet.“

Auch Aléna berichtet, dass sich während der Ausgangssperre eine gewisse neue Routine etabliert hat: Nach den Hausaufgaben am Morgen hat sie sich um ihre Geschwister gekümmert und ihrer Mutter bei der Hausarbeit geholfen, abends war Zeit für Sport. Nun zurück in der Schule ist sie richtig glücklich, ihre Freunde wieder sehen zu können.

Ina und Lucie beschreiben ebenfalls die starken Einschränkungen während des Lockdowns . „Doch das Leben ging weiter“, und es gab Ermutigendes: den täglichen Applaus für das Kranken- und Pflegepersonal oder dass die beiden bald erkannten, wenn die Menschen auf der Straße „hinter ihrer Maske lächelten“. Soziale Netzwerke halfen ihnen, mit ihren Freunden in Kontakt zu bleiben. Sie entdeckten auch neue Hobbys wie Sport treiben, Kochen und Zeichnen. In Bezug auf den Unterricht wurden die Grenzen der digitalen Versorgung in ländlichen Gebieten deutlich, einige Schüler hatten Verbindungsprobleme. Mittlerweile normalisiert sich das Leben mit den zunehmenden Lockerungen wieder, ähnlich wie bei uns.

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Erstellt:
26. Juni 2020, 06:00 Uhr

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