Bussis und Lippenbekenntnisse

Erste Liebe unter Affen: Schon vor 21 Millionen Jahren wurde geküsst

Das Küssen hat tiefe biologische Wurzeln und reicht bis zu den gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Mensch zurück. Der innige Mund-zu-Mund-Kontakt könnte sich schon vor 16 bis 21 Millionen Jahren entwickelt haben.

Schon vor 21,6 bis 16,9 Millionen Jahren könnten die ersten Urzeit-Affen den Kontakt von Mund zu Mund ausgebildet und an ihre Nachkommen weitergegeben haben.

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Schon vor 21,6 bis 16,9 Millionen Jahren könnten die ersten Urzeit-Affen den Kontakt von Mund zu Mund ausgebildet und an ihre Nachkommen weitergegeben haben.

Von Markus Brauer

Der Puls beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, die Wangen werden rot. Ein wahrer Hormon-Cocktail flutet den Körper, darunter Oxytocin, Serotonin und Dopamin – besser bekannt als Kuschel- und Glückshormone.

Nebenbei werden bis zu 34 Gesichtsmuskeln aktiv, wandern rund 80 Millionen Bakterien von einem Mund in den anderen. Das kann vorteilhaft sein und uns abhärten, aber auch gefährliche Erreger übertragen.

Menschen müssen durchschnittlich zwei bis drei Mal am Tag

Ob flüchtiges Gute-Nacht-Bussi oder romantisches Knutschen bei einem Date - durchschnittlich küssen Menschen etwa zwei bis drei Mal am Tag. Begrüßungsküsse unter Freunden, wie sie in Frankreich oder Italien schon lange üblich sind, werden auch in Deutschland immer häufiger.

Wer annimmt, dass Küssen in allen Teilen der Welt verbreitet sei, hat trotzdem weit gefehlt. Eine Studie des Kinsey Instituts an der Indiana University ist 2015 zu dem Ergebnis gekommen, dass romantisches Küssen nur bei 46 Prozent der 168 untersuchten Kulturen verbreitet ist.

Wer verteilt besonders viele Bussis?

Insbesondere im Mittleren Osten, in Nordamerika und Europa werden demnach viele Bussis verteilt. Bei afrikanischen Kulturen südlich der Sahara, auf Neuguinea oder in Zentralamerika spiele der mit Liebe und Sexualität verbundene Kuss eher keine Rolle.

Die Studie ist nur eine von vielen wissenschaftlichen Untersuchungen rund ums Küssen. Mit der Philematologie gibt es sogar einen ganzen Wissenschaftszweig, der sich mit dem Knutschen beschäftigt. Schon in den 1960er-Jahren hat eine deutsche Langzeitstudie erstaunliche Ergebnisse zutage gefördert.

Ehemänner, die ihrer Frau morgens einen Abschiedskuss geben, lebten durchschnittlich fünf Jahre länger, schrieben die Forscher damals. Neuere Studien haben herausgefunden, dass die meisten Küsser ihren Kopf nach rechts neigen und dass Küssen Heuschnupfen und Dermatitis verringern kann.

Alles nur Romatik?

Warum Menschen mit dem Küssen angefangen haben, ist dagegen nicht abschließend geklärt. Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt (1928-2018) vermutete dahinter einen wenig romantischen Grund: Die frühen Menschen hätten Nahrung vorgekaut und sie anschließend ihrem Nachwuchs in den Mund geschoben.

Andere Forscher meinen dagegen, dass sich unsere Vorfahren ähnlich wie Tiere im Intimbereich beschnüffelt hätten. und ihre Kontaktversuche mit der aufrechten Haltung nach oben verlagert hätten. Heute ist bekannt, dass sich auch einige Tiere küssen. Affen und einige Fisch-Arten pressen ihre Münder gegeneinander.

Warum küssen Menschen?

Küssen ist Ausdruck der Zuneigung, der Vertrautheit und auch des Begehrens – und es hat eine lange Tradition. Schon vor rund 4500 Jahren bezeugen mesopotamische Keilschrifttafeln den Kuss zwischen Liebenden und zeigen Paare beim Küssen. Doch warum küssen wir? Gibt es dafür neben kulturellen biologische Gründe?

Theorien zufolge könnte das Küssen dazu dienen, die Fitness und Eignung eines potenziellen Paarungspartners abzuchecken – etwa über unterbewusst übermittelte Signale in Geruch und Geschmack. Denkbar wäre auch, dass das Küssen vor der Paarung die Fortpflanzungschancen erhöht, indem es den Körper quasi warnt. Zudem stärkt Küssen die sozialen Bindungen.

„Küssen scheint nicht direkt zum Überleben oder der Fortpflanzung beizutragen, erhöht gleichzeitig aber das Risiko einer Übertragung von Krankheiten“, erklären Matilda Brindle von der University of Oxford und ihre Kollegen im Fachjournal „Evolution and Human Behavior“.

Stammbaum des Küssens

Die Forscher werteten in einem ersten Schritt Literaturdaten dazu aus, bei welchen Primaten das Küssen vorkommt. Den Kuss definieren sie als „einen nicht-aggressiven Mund-zu-Mund-Kontakt innerhalb einer Art, der Lippenbewegungen, aber keinen Nahrungstransfer beinhaltet“. Danach nutzten sie computergestützte Analyse, um die Verteilung des Küssens mit dem Stammbaum der Affen, Menschenaffen und Menschen abzugleichen.

„Indem wir Evolutionsbiologie mit Verhaltensdaten verknüpfen, können wir fundierte Rückschlüsse auch auf Merkmale ziehen, die nicht in Fossilien erhalten bleiben – wie das Küssen“, erklärt Koautor Stuart West von der University of Oxford. Dadurch konnten die Forscher zurückverfolgen, welche ausgestorbenen Hominiden wahrscheinlich auch schon geküsst haben.

Schon die ersten Menschenaffen küssten

Das Küssen kommt vor allem unter den Affen Afrikas und Asiens vor wie Meerkatzen, Pavianen und ihren Verwandten sowie bei allen fast allen Großen Menschenaffen: Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans und Gorillas. Die einzige Ausnahme ist der Östliche Gorilla (Gorilla beringei).

Die Analyse verdeutlichte, dass Küssen bis zu den gemeinsamen Vorfahren aller Großen Menschenaffen zurückreicht. Schon vor 21,6 bis 16,9 Millionen Jahren könnten die ersten Urzeit-Affen den Kontakt von Mund zu Mund ausgebildet und an ihre Nachkommen weitergegeben haben. Die heutigen Menschenaffen haben das Küssen demnach zusammen mit anderen Verhaltensweisen geerbt.

Auch Neandertaler knutschten

Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sich auch Neandertaler und Homo sapiens vor mehr als 45.000 Jahren in Europa, Vorderasien und im Nahen Osten erst küssten, um danach zu paaren und gemeinsame Nachkommen zu zeugen.

„Frühere Studien hatten schon nahegelegt, dass beide Menschenarten Mundmikroben austauschten“, erläutern die Wissenschaftler. „Dies bestätigt unsere Ergebnisse, nach denen sich Neandertaler und Mensch wahrscheinlich küssten.“ (mit dpa-Agenturmaterial)

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Erstellt:
20. November 2025, 13:10 Uhr
Aktualisiert:
20. November 2025, 13:32 Uhr

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