Maulwurfsarbeit und Aschegeschichten

Astrid Fritz hat sich historischen Romanen verschrieben. Damit sie vom Schreiben leben kann, braucht es einen klaren Produktionstakt. Belohnt wird die Autorin – auch in ihrer neuen Wahlheimat Murrhardt – mit einem Abtauchen in Welten vergangener Jahrhunderte.

Astrid Fritz an ihrem Schreibtisch. Zurzeit arbeitet sie an einem Roman, der das Jahr ohne Sommer zum Thema hat. Heute wird als Hauptursache für das ungewöhnlich kalte, teils auch niederschlagsreiche 1816 im Nordosten Amerikas sowie im Westen und Süden Europas ein Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr zuvor gesehen. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Astrid Fritz an ihrem Schreibtisch. Zurzeit arbeitet sie an einem Roman, der das Jahr ohne Sommer zum Thema hat. Heute wird als Hauptursache für das ungewöhnlich kalte, teils auch niederschlagsreiche 1816 im Nordosten Amerikas sowie im Westen und Süden Europas ein Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr zuvor gesehen. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Blinki liegt entspannt auf einem großen Ledersessel. Aber es kann schon vorkommen, dass der betagte Kater von Astrid Fritz sich ins Arbeitszimmer im ersten Stock des Reihenhauses aufmacht und schließlich auf dem Schreibtisch landet, wo er seine Streicheleinheiten einfordert. „Wenn er dann mit dem Kopf auf die Tastatur kommt, geht es in meinem Text mit langen Folgen von X und Y weiter und die Seite ist schnell voll“, sagt sie mit einem Lächeln. Auf einem Spaziergang durch den Murrhardter Stadtpark berichtet sie, wie sie das Jahr bisher erlebt hat. Ihr aktueller Roman „Turm aus Licht“, der vom Bau des Freiburger Münsters beziehungsweise seinem Turm erzählt, ist Mitte Mai, sozusagen in der Hochzeit von Corona erschienen.

Alle Lesungen wurden abgesagt und es hieß für sie, noch mal anders in eigener Sache aktiv zu werden. Astrid Fritz sprach verschiedene Medien an, es entstanden Artikel, Radio- und TV-Beiträge und sie informierte über ihre Homepage und ein großes Leserforum im Internet über ihr Buch. Leserunden auf der Plattform gaben ihr die Möglichkeit, sich zumindest auf digitaler Ebene mit ihren Lesern auszutauschen. „Dort geht es recht spontan zu, es wird diskutiert und ich kann auch auf Kritik eingehen.“ Den Austausch im persönlichen Kontakt mit dem Publikum hat sie trotzdem vermisst, und sie freut sich, dass mittlerweile wieder einige Lesungen möglich sind – auch in Murrhardt (siehe Infokasten).

„Die Anfangszeit mit Corona fand ich schon bedrückend“, sagt sie. Als Mutter einer erwachsenen Tochter habe sie sich doch auch Sorgen gemacht. Andererseits hat sich ihr Alltag, der sich zu einem großen Teil am Schreibtisch abspielt, nicht ganz so stark verändert. „Das Schreiben hilft da schon auch, man kann in die Geschichte abtauchen und den Druck und die Probleme vergessen“, sagt sie und beschreibt diese Art von Ausflügen als eine Mischung aus Erholung und Kontemplation. Die 61-Jährige erinnert sich, dass dieses Versinken in eigens erschaffene Welten schon lange Thema ist. „Als Kind hatte ich eine Märklin-Eisenbahn, ich hab da ganze Landschaften aufgebaut und mir dann Geschichten beispielsweise mit den Tieren ausgedacht.“ Insofern hat Astrid Fritz die Zeit mit Corona zwar als bedrohlich erlebt, aber sie hat nicht gelitten, weil sie das, mit dem andere vielleicht plötzlich konfrontiert waren, durch ihren Beruf bereits ganz selbstverständlich lebt: sich auf eine spezifische Weise mit sich zu beschäftigen, indem sie schreibend durch ihre Geschichten wandert.

Wie alles angefangen hat? Nach dem Abitur hat Astrid Fritz einen kurzen Ausflug in die Tiermedizin gemacht. Aber auch wenn sie sich in jungen Jahren der Goldhamsterzucht gewidmet hat („In der Zoohandlung haben wir eine D-Mark pro Junges bekommen. Trotzdem war ich immer traurig, wenn ich es weggegeben habe.“), wechselte sie nach einem Semester und studierte Theaterwissenschaft, Literatur und Romanistik in München, Avignon und Freiburg im Breisgau. Nach der Ausbildung zur Fachzeitschriftenredakteurin arbeitete sie bei Verlagen. Bevor sie mit ihrem damaligen Mann für drei Jahre nach Chile ging, der dort als Lehrer unterrichtete, stieß sie auf ihr erstes historisches Thema – die Geschichte, aus der später der Roman „Die Hexe von Freiburg“ entstand.

Das Eintauchen in Geschichten beginnt früh, dann fängt sie an einem historischen Stoff Feuer.

In Chile arbeitete sie weiter an ihr. „Da war meine Tochter noch ganz klein. Ich hab keinesfalls dran gedacht, ich könnte Schriftstellerin werden. Aber ich hab Feuer gefangen, mich infiziert und schon über eine zweite Geschichte nachgedacht.“ Und weshalb hat sie sich für den historischen Roman entschieden? Ein rechercheintensives und nicht gerade einfaches Terrain. Den Grundstein dafür hat ihr Deutsch- und Geschichtslehrer gelegt, dem es nicht allein ums Faktenwissen, sondern um die Zusammenhänge und Auswirkungen von Entscheidungen auf die kleinen Leute – den Ansatz der Alltagsgeschichte – ging. „Er hat einen dermaßen guten Unterricht gemacht“, erzählt sie. Auch heute hat sie noch Kontakt zu ihm. „Und dann hab ich den ,Medicus‘ und ,Die Säulen der Erde‘ gelesen und dachte, schau, die können das. Geschichte aus Sicht der Menschen erzählen, die nicht nur ganz oben stehen. Die Perspektive der Herrscher hat mich nie so stark interessiert.“ Zum Wunsch, Unterhaltungsliteratur zu schreiben, sei dann als gewisser Anspruch hinzugekommen, den Lesern Geschichte nahezubringen. Besser verstehen, wie sich alles entwickelt hat – auch in Beziehung auf das Hier und Heute. Mittlerweile gibt es auf dem Gebiet der Alltagsgeschichte auch viel mehr spannende und gut aufbereitete Fachliteratur, sagt sie.

Aber auch die will gelesen sein und Astrid Fritz hat sich mit einem Roman pro Jahr einen klaren Takt vorgegeben, über den sie vom Schreiben leben kann. Zwei Monate sind Zeit für die Recherche, zehn für das Schreiben des Buchs. Zurzeit arbeitet sie an einem Roman, der das Jahr 1816 zum Thema hat. Es ist das Jahr ohne Sommer, als ein Vulkanausbruch zu einer starken Abkühlung, viel Regen und in der Folge zu drastischen Missernten und Hunger führte, wie man heute weiß. „Durch die Aschepartikel hat sich mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre gesammelt, wodurch es intensive, lang anhaltende Niederschläge gab. Die Menschen haben das als Gottesstrafe empfunden, viele haben sich umgebracht.“ Auf das Thema ist sie schon vor Längerem gestoßen. Dass es nun mit der Klimaerwärmung, den Folgeproblemen und Corona gewisse strukturelle Parallelen gibt, die natürlich andere inhaltliche Ausprägungen haben, war nicht geplant. Deutlich sei ihr aber geworden, wie mächtig der Faktor Natur ist und welch große Krisen er auslösen kann. „Das hat den Menschen den Boden unter den Füßen weggerissen.“

Zur Recherche war sie auf der Schwäbischen Alb, wo der Roman verortet ist, und ist mittlerweile wieder an den Schreibtisch zurückgekehrt. Wenn die Geschichte steht, „arbeite ich mich wie ein Maulwurf von vorne nach hinten durch.“ Das Schreiben nimmt die erste Tageshälfte in Anspruch, Korrekturen, weitere Detailrecherche und Organisatorisches die zweite. Insofern habe ihr Arbeitsalltag nichts Exotisches. „Und mit Texten habe ich ja schon immer zu tun gehabt, nur dass es nicht mehr um Fachartikel für Zahnlabore beispielsweise zu Siliciumverbindungen geht. Jetzt ist das natürlich von den Themen und dem Schreiben her viel, viel schöner.“

Noch nicht lange ist es her, dass sie den sechsten Band ihrer historischen Krimireihe um ihre Heldin Serafina abgeschlossen hat, der Mitte Dezember erscheint. Er spielt im bitterkalten Februar 1418 und trägt den Arbeitstitel „Die Wölfe vor den Toren“, der auf die stimmungsvoll-bedrohliche Ausgangslage verweist. Das Lektorat des Romans ist abgeschlossen, worüber Astrid Fritz froh ist. Denn mit der Arbeit am aktuellen Projekt, Überarbeitung des abgegebenen sowie Lesungen parallel in drei verschiedenen Jahrhunderten unterwegs zu sein, ist fordernd, auch wenn die Phase der Überschneidung meist nur auf zwei Gebieten läuft und bei dreien sehr kurz ist.

Das ist dem besagten Erscheinungstakt geschuldet, und manchmal stellt sich Astrid Fritz vor, wie es wäre, wenn sie ganz ohne ihn schreiben könnte. Aber die erfahrene Autorin ist alles andere als unzufrieden. Sie schätzt ihre Freiheit, ihren Tag so einzuteilen, damit ein gutes Arbeiten möglich ist. Dazu gehören auch Phasen, in denen sie ihren kreativen Akku wieder aufladen kann. „Ich habe ja die Möglichkeit, auch mal am Nachmittag für ein paar Stunden rauszugehen.“ Dies kann eine kleine Radtour oder eine Runde schwimmen im Fornsbacher Waldsee sein. Vor rund zwei Jahren von Waiblingen nach Murrhardt gezogen zu sein, hat sie auch in dieser Hinsicht nie bereut.

Und was wünscht sie sich für die Zukunft? Ein Enkelkind ist ein nicht mehr gänzlich geheimer Wunsch, aber Astrid Fritz will ihre Tochter da auch nicht in Zugzwang bringen. „Natürlich gehört auch Gesundheit dazu, und dass ich noch lange teilhaben haben“, sagt die 61-Jährige. Mit Blick auf die Welt hofft sie, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinandergeht und die Begleiterscheinungen und Schattenseiten von Corona nicht zu raumgreifend werden wie das Leugnen der Pandemie oder Verschwörungstheorien. „Ich hoffe sehr, dass wir da friedliche Wege finden.“

Lesung in Murrhardt

Astrid Fritz stellt am Donnerstag, 29. Oktober, um 19 Uhr im Heinrich-von-Zügel-Saal ihren aktuellen Roman „Turm aus Licht“ in Murrhardt bei einer Lesung vor, die die Buchhandlung BücherABC und die Stadtbücherei Murrhardt gemeinsam organisieren. Weitere Infos zur Autorin unter www.astrid-fritz.de.

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Erstellt:
25. September 2020, 06:00 Uhr

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