Mediales Lernen trifft reales Leben

Das Interview: Rektorin Melanie Luithardt über Erfahrungen an der Murrhardter Hörschbachschule als Medienreferenzschule

Die Kinder der Hörschbachschule haben beim Europäischen Wettbewerb 2019 erstmals nicht nur klassische Bilder, sondern auch Stop-Motion-Filme eingereicht und waren damit genauso erfolgreich wie mit den klassischen Bildern. Wichtig ist Rektorin Melanie Luithardt aber, dass Lernen sprichwörtlich begreifbar bleibt. Steht die Wiese auf dem Lehrplan, geht sie mit ihren Schülern nach draußen. Später können Medien eine Ergänzung sein. In dieser Funktion sind sie aber vielseitig. Die Grundschulpädagogin spricht über ihre Erfahrungen im Alltag der Medienreferenzschule.

Melanie Luithardt, Rektorin der Hörschbachschule, schätzt die Möglichkeiten der Neuen Medien, hält aber auch nichts davon, den Unterricht technisch zu überfrachten. Den Kontakt und das Erleben des unmittelbaren Umfelds hält sie für außerordentlich wichtig.

© Jörg Fiedler

Melanie Luithardt, Rektorin der Hörschbachschule, schätzt die Möglichkeiten der Neuen Medien, hält aber auch nichts davon, den Unterricht technisch zu überfrachten. Den Kontakt und das Erleben des unmittelbaren Umfelds hält sie für außerordentlich wichtig.

Von Christine Schick

Beim ersten Medienreferenztag der Hörschbachschule vor rund anderthalb Jahren hat Thomas Irion davon gesprochen, dass wir uns mit Blick auf die Digitalisierung noch im Wilden Westen befinden. Wie schwer ist es, die Kinder zu einem friedlichen Umgang mit den Medien zu bewegen, wenn ihnen aus der Erwachsenenwelt ständig die Kugeln um die Ohren fliegen, sprich Hasskommentare oder abwertende Urteile über andere?

Diese Shitstorms sind bei uns Gott sei Dank nicht wirklich ein Thema. Das Leben findet zum Großteil in der Schule und auf dem Pausenhof statt. Wenn es Beleidigungen oder Auseinandersetzungen gibt, spielen diese sich hier persönlich ab. Aber die Kinder verabreden sich schon mal über WhatsApp.

Also die Auseinandersetzung wird mit dem direkten Gegenüber ausgetragen?

Genau, und so ungern gesehen Beschimpfungen sind, eigentlich ist es gut, dass sie noch von Angesicht zu Angesicht passieren, denn so können sie in der Schule viel leichter aufgefangen und geklärt werden.

Heißt das, dass sich die Kinder noch nicht so stark dadurch beeinflussen lassen, wie Erwachsene mit Medien umgehen?

Wir merken, dass Eltern teilweise kein gutes Vorbild sind, was zum Beispiel die Dauer der Mediennutzung angeht. Wir hatten in der 2. Klasse einen Workshop, bei dem die Kinder auch Wünsche in Bezug auf die Eltern und deren Mediennutzung äußern durften. Ein Punkt, der den Kindern missfiel, war, dass die Eltern ihnen teils Tablet oder Handy verbieten, aber selbst ständig damit beschäftigt sind. Aus diesem Grund wünschten sich die Kinder, dass die Eltern die digitalen Geräte mal weglegen und dadurch mehr Zeit für gemeinsame Unternehmungen haben. Dabei hätten die Kinder den Eltern sogar mehr Nutzungszeit eingestanden, als die Eltern den Kindern zugestehen.

Einerseits geht es darum, die Möglichkeiten der Medien zu nutzen, andererseits einen kritischen Umgang mit ihnen vorzubereiten. Welche Fortschritte oder Erfolge sind auf den beiden Gebieten zu verzeichnen?

Viele Kinder merken, dass man mit dem Computer oder iPad nicht nur spielen, sondern auch arbeiten kann. So wissen bei uns alle Kinder, wie Stop-Motion-Filme gemacht werden. Da haben wir mittlerweile echte Experten. Sie entdecken Dinge, die wir noch nicht gezeigt haben, und trauen sich, dies einfach auszuprobieren. Beispielsweise war die Vertonung noch kein Thema, aber einige haben es einfach ausprobiert und umgesetzt. Der Ansporn, am Computer oder iPad üben zu dürfen, ist groß und lässt sich auch über konkrete Lernprogramme sehr gut nutzen. Jedoch merken die Kinder, dass Üben auch mit digitalen Medien anstrengend ist.

Wie können Sie das iPad bei Übungen im Alltag konkret einsetzen?

Wir haben zum Beispiel parallel zu den Lehrunterlagen für Mathematik auch eine Software, die Aufgaben in verschiedenen Niveaustufen bietet. Das können Rechenaufgaben zur Festigung oder aber auch Aufgaben mit herausforderndem Charakter sein. Wenn Aufgaben am Rechner noch mal geübt werden sollen, ist die Motivation viel größer als auf dem Papier. Dies ist eine klasse Möglichkeit. Ein anderes Beispiel wäre das Programm Antolin, das wir in der 3. und 4. Klasse nutzen. Das ist eine Leseförderung in Kombination mit Online-Aufgaben und -feedback. Es sind dort sehr viele Kinder- und Jugendbücher aufgenommen. Wenn die Kinder in der Schule oder zu Hause Bücher lesen, haben sie die Möglichkeit, Fragen zu ihnen zu beantworten, können Punkte sammeln und bekommen Rückmeldungen über die Lehrer. Wir wiederum erhalten einen Eindruck, wie intensiv die Kinder lesen.

Wie sieht es beim kritischen Umgang mit Medien aus?

Da haben wir große Unterstützung vom Landesmedienzentrum beziehungsweise Kreismedienzentrum erhalten. Vor einiger Zeit hat ein Mitarbeiter Grundschülern und uns wichtige Themen in dieser Hinsicht vermittelt. Angefangen bei der Tatsache, dass ein Smartphone eine unglaubliche Funktionsfülle in sich trägt, über den Weg von Nachrichten durchs Netz, das sich über ganze Kontinente aufspannt, bis hin zu der Tatsache, dass Menschen im Internet mit einer falschen Identität agieren können. Bei einem Elternabend waren der sichere Umgang im Netz sowie geeignete Spiele Thema. Der Rat des Mitarbeiters war, auch mal beim Spielen der Kinder mit dabei zu sein.

Wenn Sie den Unterricht von vor drei oder vier Jahren mit dem heutigen vergleichen, was hat sich am stärksten geändert?

Die Veränderungen beginnen erst und sind ein dauerhafter Prozess. Die für Anfang 2019 geplante Ausstattung mit 26 neuen Laptops hat sich zum Beispiel lange hingezogen, weil sie erst noch ins Schulnetz integriert werden mussten. Was sich bereits intensiviert hat, ist bei den Viertklässlern die Recherche im Netz und das Schreiben von Texten am Laptop. Durch fest installierte Beamer, Leinwände und Boxen sowie Lehrer-iPads können wir den Tageslichtprojektor nach und nach ersetzen. Das ist erklärtes Ziel, um keine Plastikfolien mehr verwenden zu müssen. Das spart Kosten und für die Umwelt ist es auch gut. Außerdem hat sich gezeigt, dass wir als Lehrer mehr kleinere Erklärfilmchen nutzen wie „Frag die Maus“ oder „Willy will’s wissen“. Der Aufwand war früher viel größer und hätte sich für einen Fünf-Minuten-Beitrag nicht gelohnt.

In der Hörschbachschule gibt es einen relativ hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, hinzu kommen die Herausforderungen von den Inklusions- und Vorbereitungsklassen. Insofern hätte ich gesagt, das Lernen der Sprache ist sehr zentral. Wo helfen die Medien, wo sind sie eher kontraproduktiv?

Die Mischung muss es sein. Wenn ich ein Kind mit wenig Deutschkenntnissen habe, muss ich mich mit ihm beschäftigen, muss Dinge am besten konkret erleben oder anfassen. Danach kann ich, um diese Begriffe zu festigen, Übungen am Computer oder iPad nutzen. Aber die reale Begegnung finde ich unwahrscheinlich wichtig. Und wo dies nicht oder nur mit großem Aufwand möglich ist, können kurzerhand Bilder von unbekannten Begriffen auf dem iPad gezeigt werden. Auch für die Inklusionskinder ist die Arbeit am Computer eine große Motivation und für uns Lehrer eine gute Möglichkeit zur Differenzierung. Ob es jetzt ein Programm für Klasse 1 oder 2 ist, spielt hier keine große Rolle.

Man muss die Programme auswählen und schauen, dass es individuell gut funktioniert?

Beispielsweise beim Rechnen, das regelmäßig geübt werden muss, ist es mühsam für die Kinder, das immer wieder auf dem Papier aufzuschreiben. Aber es gibt ganz nette Spiele, da kann man zum Beispiel mit einem Partner um die Wette rechnen. Hier ist die Motivation extrem hoch. Besser können wir Lehrer es uns nicht wünschen.

Das heißt, Sie nutzen die spielerischen Elemente der Neuen Medien?

In dem Fall nutzen wir vor allem die Motivation der Kinder. Eine weitere Möglichkeit ist der Musikunterricht. Eine Kollegin hat ein Programm verwendet, mit dem Musik komponiert, also verschiedene Instrumentenstimmen kombiniert werden können. Das ist für Kinder spannend, die kein Instrument spielen, aber auch für Kinder, die bereits ein Instrument spielen. Hier können sie ganz einfach mit vielen verschiedenen Instrumenten experimentieren. Ein weiteres Beispiel gibt es im Bereich der Sprache: Ich kann den Deutsch-, aber auch den Englischunterricht wunderbar ergänzen. So können zum Beispiel Bastel- oder Faltanleitungen digital präsentiert werden. Es bietet sich an, den Text von einem Native Speaker zu verwenden, dann ist das Englisch nicht so schwäbisch gefärbt und die Kinder können es so oft anhören, wie sie wollen.

Das heißt, der Unterricht wird durch diese Möglichkeiten auch vielseitiger.

Genau. Im Moment setzen wir das noch eher punktuell ein, ich finde es aber auch wichtig, dass der Unterricht nicht zu überfrachtet ist. Die Schüler müssen immer noch schreiben, rechnen, lesen lernen und zwar einfach auf dem Papier. Nicht zu vergessen das soziale Lernen, der Umgang miteinander. Aber auch da gibt es wieder Anknüpfungspunkte, beispielsweise wenn man einen Stop-Motion-Film miteinander macht, muss man sich aufteilen und absprechen. Unser Part ist dann, darauf zu achten, dass die Balance in der Gruppe stimmt. Weil jedes Kind mit dabei sein möchte, sind die Anfänge bei solchen Projekten oft hitzig. Genauso erstaunlich ist, was Erstklässler an andere Erstklässler bei der Arbeit an den Filmen weitergeben können. Ich habe das Gefühl, dass in den klassenübergreifenden Projekten das Miteinander und das Verständnis füreinander sehr gefördert wird.

Wenn man davon ausgeht, dass Medien gute oder schlechte Werkzeuge sein können, haben Sie im Team angefangen, Kriterien zu entwickeln, wie man die Qualität dieser Werkzeuge beurteilen kann?

Nein. So weit sind wir noch nicht. Für manche Kolleginnen ist das Gebiet digitale Medien doch noch ziemliches Neuland. Ich finde es total klasse, dass sich diese an das Thema heranwagen. Will heißen, es ist auch für uns Lehrer noch ein Lernfeld. Hier geben wir uns regelmäßig gegenseitig Tipps und bieten interne Fortbildungen an. Wir können aber auch auf die Unterstützung von Kreis- und Landesmedienzentrum zählen. Letzteres ist gerade dabei, ein E-Portfolio zu entwickeln, um die Lernfortschritte bei Kindern digital dokumentieren zu können. Hier waren wir während der Testphase beteiligt und konnten im Rahmen einer intensiven Zusammenarbeit Kritik und Wünsche äußern. Zudem haben wir eine Studentin, die im Rahmen ihrer Masterarbeit mit und bei uns ein Mathematikprogramm analysiert. Die Schüler machen die Aufgaben am Rechner oder auf Papier und sie vergleicht die Lernerfolge.

Für die Älteren gibt es ja auch komplexere Themen wie Wahrung der Privatsphäre und Überwachung durch Medien. Taucht das schon als Thema in der Grundschule auf?

Das ist ein Muss. Da sind Fragen wie: Welche Bilder stell ich ins Netz? Von mir, von anderen? Ohne diese Grundfragen geht es gar nicht. Oder die Überlegung, dass nicht alles stimmen muss, was über jemand im Netz steht. Das lässt sich gut schon bei den Kleinen ansprechen. Je größer sie werden, desto intensiver wird die Arbeit. Das ist so ein stetiges Dranbleiben und Weiterarbeiten – auch nach dem Motto „was ich nicht will, das man mir tut, füge ich auch keinem anderen zu“.

Beim ersten Referenzschulnachmittag an der Hörschbachschule haben Mitarbeiter des Kreis- und Landesmedienzentrums verschiedene Neue Medien und ihre pädagogischen Möglichkeiten in Workshops vorgestellt. Beim Projekt Hirnforscher erläutert beispielsweise Herr Ti die Funktionen einzelner Gehirnareale spielerisch. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Beim ersten Referenzschulnachmittag an der Hörschbachschule haben Mitarbeiter des Kreis- und Landesmedienzentrums verschiedene Neue Medien und ihre pädagogischen Möglichkeiten in Workshops vorgestellt. Beim Projekt Hirnforscher erläutert beispielsweise Herr Ti die Funktionen einzelner Gehirnareale spielerisch. Fotos: J. Fiedler

Info
Die Hörschbachschule

Die Hörschbachschule hat sich als Referenzschule beworben und 2018 den Zuschlag für den Rems-Murr-Kreis erhalten. Zurzeit sind 14 Frauen und ein Mann als pädagogische sowie Inklusionskräfte dort tätig, die 161 Grundschüler betreuen. Zur Arbeit gehört ein stetiger Ausbau des Medienentwicklungsplans. Weitere Aufgaben sind Elternarbeit und Ansprechpartner für andere Schulen zu sein.

Das letzte große Projekt der Schule war ein Filmprojekt zum 30-jährigen Bestehen der UN-Kinderrechtskonvention, bei dem sie eines der zehn Kinderrechte filmisch behandelt und dargestellt hat.

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Erstellt:
20. Februar 2020, 06:00 Uhr

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