Bikerin aus Leidenschaft
Motorrad, Kopftuch, Klischees – Wie Aynur Keskin mit Vorurteilen bricht
Sie ist gerade einmal 1,50 Meter groß, trägt Kopftuch und ist leidenschaftliche Motorradfahrerin. Aynur Keskin aus Nordrhein-Westfalen lebt ihre Passion und beweist, dass es fast keine Grenzen für Träume gibt.

© Privat
Aynur Keskin fährt leidenschaftlich gerne Motorrad. Ihr Bike nennt sie liebevoll „kara sevdam“– was auf Deutsch „Meine schwarze Liebe“ bedeutet.
Von Gülay Alparslan
Motorrad fahrende Frauen sind heute längst kein ungewöhnlicher Anblick mehr im Straßenbild. Doch eine Frau mit Kopftuch in voller Ledermontur auf einem Motorrad - das ist alles andere als gewöhnlich! Geht das überhaupt? „Ja“, sagt Aynur Keskin. Die 48-Jährige aus Nordrhein-Westfalen fährt seit 15 Jahren Motorrad.
Häufig werden ihr klischeehafte Fragen gestellt, aber davon lässt sich die zweifache Mutter nicht aus der Ruhe bringen. Zu den gängigen Fragen gehören: „Hast du das Kopftuch auch unter dem Motorradhelm an?“ oder „Erlaubt dir deine Religion überhaupt, dass du Motorrad fährst?. Anstatt sich darüber aufzuregen, nimmt sie sich Zeit, um auf solche Fragen zu antworten.
„Wir leben im 21. Jahrhundert und mir werden noch solche Fragen gestellt?“, wundert sich die Ingenieurwissenschaftlerin, nimmt es aber locker: „Wann haben diese Menschen schon Berührungspunkte mit Frauen, die Kopftuch tragen? Es fehlt einfach an Hintergrundwissen über uns und unsere Religion“.
Schon als Kind vom Motorradfahren geträumt
Aber wie kam sie überhaupt zum Motorradfahren? Einen familiären Einfluss gab es jedenfalls nicht: Weder ihr Vater noch ihre drei jüngeren Brüder fahren Motorrad. Doch schon als kleines Kind träumte Aynur Keskin davon, irgendwann einmal Motorrad zu fahren. „Immer, wenn Motorräder an unserem Haus vorbeifuhren, stellte ich mich an den Straßenrand und schaute ihnen hinterher“, so die 48-Jährige. Bis es so weit war, dauerte es allerdings einige Zeit.
Keskin, die von sich selbst sagt, sie sei schon immer technikbegeistert gewesen, absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Schlosserin. Heirat und Kinder rückten ihren Traum vom Motorradfahren vorerst in den Hintergrund. Als ihre beiden Kinder in den Kindergarten kamen, begann sie ein Maschinenbaustudium. Gegen Ende ihres Studiums fasste sie schließlich den Entschluss: Jetzt oder nie – „und ich habe es bis heute nicht bereut“.
Was ihr am Motorradfahren so besonders gefällt, ist das Lebensgefühl: Die Freiheit, die sie dabei verspüre, sei unbeschreiblich. Zurzeit fährt Aynur Keskin eine Kawasaki Vulcan 650s. Sie würde am liebsten ein Sportmotorrad fahren, aber dafür fehle ihr die nötige Körpergröße. „Ich bin relativ klein, nur 1,50 Meter groß. Da kommen viele Motorradmodelle leider nicht in Frage“, sagt sie. Ihre jetzige Maschine musste sie tiefer legen, aber selbst damit kommt sie nur mit den Fußspitzen an den Boden. Von blöden Bemerkungen lässt sie sich von ihrer Leidenschaft aber nicht abhalten.
Sonderpreis beim Bike Woman Award 2025 für ihr Engagement erhalten
Und wie reagieren andere Motorradfahrer auf sie? Anfangs spüre sie oft eine gewisse Zurückhaltung, erzählt Keskin. „Aber sobald sie mich näher kennenlernen, werde ich so akzeptiert, wie ich bin.“ Natürlich kämen auch immer wieder Fragen wie: „Dürfen wir dir die Hand geben?“, „Dürfen wir mal ein Foto mit dir zusammen machen?“ oder „Dürfen wir dich umarmen?“. Für Keskin ist das kein Problem. „Wir müssen deutlich mehr Aufklärungsarbeit leisten“, sagt sie und ergänzt selbstkritisch: „Wenn man sich unsere türkischen Frauen so ansieht, ist das nicht überraschend. Ich stelle immer wieder fest, dass sie kaum gemeinsame Aktivitäten mit Deutschen unternehmen“.
Für ihr Engagement wurde Aynur Keskin im März dieses Jahres mit dem Sonderpreis beim Bike Woman Award 2025 ausgezeichnet. Die Auszeichnung würdigt ihren Beitrag zur Förderung von Frauen in technischen Berufen und im Motorradbereich sowie ihr Engagement für Vielfalt und Inklusion. Die Preisverleihung fand auf der Messe „Motorräder“ in Dortmund statt.
Einmal mit dem Motorrad in die Türkei fahren
Für ihr Hobby versucht sich Aynur Keskin so oft wie möglich Zeit zu nehmen. Als ihre Kinder noch klein waren, sei das eine Herausforderung gewesen. Aber jetzt sind beide erwachsen und aus dem Haus. Sobald die Sonne sich zeigt, fahre sie mit dem Motorrad zur Arbeit. Nachmittags stehe dann eine Motorradtour auf dem Programm. Außerdem ist sie in verschiedenen Motorradgruppen unterwegs. „Wir haben eine Sauerland-Gruppe. Wenn ab Mai die Touren anfangen, bin ich dabei“. Sie schaut danach, dass sie mindestens einmal die Woche eine Gruppen-Tour mitmacht. „Ich versuche möglichst viel zu fahren, wenn es wettertechnisch passt“, sagt sie.
Eine längere Tour hat sie bisher nach Frankreich gemacht, aber eigentlich ist es ihr Traum, einmal mit dem Motorrad in die Türkei zu fahren. Das jüngste Erdbeben und die politische Lage haben sie dazu bewogen, ihren Plan vorerst auf Eis zu legen. „Ich weiß noch nicht, ob das in diesem oder nächsten Jahr passieren wird, aber das möchte ich unbedingt machen“.