Murrhardts begehbares Geschichtsbuch

Mit einem Festakt ist die neue stadtgeschichtliche Abteilung im Carl-Schweizer-Museum eröffnet worden. Die Besucher beeindruckt die Vielfalt der Exponate, von denen jedes eine eigene interessante Geschichte erzählt.

Ein Besucher-Ehepaar betrachtet Spielzeug aus dem 19. Jahrhundert, das im Museum ausgestellt ist. Foto: E. Klaper

Ein Besucher-Ehepaar betrachtet Spielzeug aus dem 19. Jahrhundert, das im Museum ausgestellt ist. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Mit der Eröffnung der neuen stadtgeschichtlichen Abteilung ist das Carl-Schweizer-Museum vollends zu einem Panoptikum geworden, wie es Seniormuseumsleiter Rolf Schweizer bezeichnet. Denn überall, wo die vielen Besucher hinschauen, gibt es eine schier unglaubliche Fülle an interessanten heimathistorischen Objekten verschiedenster Art zu entdecken. Rolf Schweizers Sohn und Nachfolger Christian Schweizer hat die neue Abteilung mit Unterstützung des Historikers Professor Gerhard Fritz konzipiert und aufgebaut. Sie ist eine echte Schatzkammer, die zu einer Zeitreise durch die drei Jahrhunderte von 1650 bis 1950 einlädt.

Bei einem Rundgang informiert der Juniormuseumschef über herausragende Ereignisse und Persönlichkeiten des Zeitraums und weist auf besondere Exponate hin. So die originale Eingangstür zum Gasthof Sonne-Post, eine Leihgabe der Stadt Murrhardt, die, zur Schiebetür umgebaut, nun den Zugang vom Eingangsfoyer zur neuen Abteilung bildet. Viele Prominente gingen durch, so die Teilnehmer der Landrätekonferenz 1945, die den demokratischen Neubeginn nach Kriegsende markiert, oder die US-Astronauten, die 1969 auf dem Mond landeten.

An der Wand stehen 15 speziell angefertigte Vitrinen, jede mit mehreren üppig bestückten Fächern. Gegenüber zwischen den Fenstern werden größere Gegenstände präsentiert. Die Exponate sind „Referenzstücke zu Zeitabschnitten und bedeutenden Persönlichkeiten“. Das Spektrum reicht von Schriftstücken und Bildern über Alltagsgegenstände und Spielzeug bis zu Textilien und Kunstwerken. Sie stammen aus der umfangreichen Sammlung des Museums, mit der bereits dessen Gründer und Namensgeber Carl Schweizer begann. Hinzu kommen viele Spenden und Leihgaben von Einwohnern der Walterichstadt und deren Umgebung.

Ein breites Spektrum an Exponaten aus der Geschichte ist zu sehen.

Ein Blickfang sind vier prächtige, barocke Abtstäbe aus Gräbern evangelischer Prälaten, die Rolf Schweizer und dessen Helferteam 1973 bei der archäologischen Ausgrabung in der Stadtkirche entdeckten. Der vielseitig engagierte Kunstschlossermeister, Politiker und Ehrenbürger Johann Ferdinand Nägele war Abgeordneter im Parlament der Paulskirche 1848, zudem Mitgründer des Liederkranzes, des Turnvereins und der Bürgerwehr, aus der die freiwillige Feuerwehr hervorging. Und ein begabter Zeichner, wie ein Porträt des Dichters Ludwig Uhland beweist. Vom Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts war Murrhardt ein beliebter Luftkurort dank Eduard Albert Seeger, Sohn des Sternwirts, Apotheker und Generalarzt. Seine Tochter Martha heiratete den Fabrikanten Robert Franck, mit dem er durch großzügige Spenden die Einrichtung des Krankenhauses ermöglichte. Zudem schenkte Seeger seine Villa Flora den Olgaschwestern als Erholungsheim. „Werbe-Ikone“ für die gesunde Luft im Herzen des Schwäbischen Waldes war Anna Maria Huber, die 103 Jahre alt wurde.

Ein politisch aktuelles Zeitzeugnis mit Hinweisen auf rechtsradikale Umtriebe war die vom Theologen, Nationalökonomen und Präsidenten des Statistischen Landesamts Hermann Losch Mitte der 1920er-Jahre herausgegebene Monatsschrift „Trau! Schau! Wem?“. Auch die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur und des Widerstands mit heimlichen Treffen von Mitgliedern der „Weißen Rose“, die mit der Familie Nägele befreundet waren, wird anschaulich dokumentiert. Christian Schweizer informiert die Besucher auch kurz über die Lösung kniffliger Probleme bei der Modernisierung des Museumsgebäudes, wie die ausgeklügelte, nun viel stimmigere Beleuchtung in der naturkundlichen Abteilung.

Die Besucher sind überwältigt von der neuen Abteilung, wie erste Eindrücke zeigen. „Die Ausstellung ist so vielseitig und interessant, da braucht man viel Zeit, muss öfter kommen und in Ruhe durchgehen, um alles aufzunehmen“, findet eine junge Geschäftsfrau. „Da sieht man erst, welche Vielfalt die Murrhardter Geschichte hat“, ist ein junger Unternehmer überrascht. „Da wird es einem nie langweilig, denn man findet so viel, auch fehlt kaum etwas außer Musikinstrumenten“, stellt ein Handwerksmeister fest. „Jedes einzelne Stück ist ein Kleinod und regt meine Fantasie an“, zeigt sich eine Stadträtin begeistert.

Großes Lob gibt es auch für die liebevolle Gestaltung und das ungeheure Wissen von Rolf und Christian Schweizer. Dieses für die Zukunft zu bewahren, ist nun eine wichtige Aufgabe. Zuvor gibt Rolf Schweizer beim Festakt, der wetterbedingt in der Festhalle stattfindet, einen historischen Abriss übers Carl-Schweizer-Museum mit einer Präsentation historischer Fotos. Sein Großvater Carl Schweizer gründete es als „Murrhardter Museum“ mit Tierpräparaten und heimatgeschichtlichen Exponaten, eröffnet im Oktober 1931, also vor fast 90 Jahren. Damals befand es sich auf dem Gelände der späteren Firma Schumm, die im Zweiten Weltkrieg von Stuttgart nach Murrhardt ausgelagert wurde.

Damit diese den kriegswichtigen Trockenbrennstoff Esbit produzieren konnte, „musste das Museum 1943 zwangsweise geräumt und die Sammlung in Ställe, Scheunen und Garagen ausgelagert werden. 1946 erfolgte die Evakuierung ohne Rücksicht auf die Folgen, damals gab es weder Interesse noch Platz für das Museum.“ Doch „dank des Pfarrerehepaars Robert und Helene Findeisen fand die Sammlung Unterkunft in der Stadtkirche als Arche Noah“, erinnert sich Rolf Schweizer.

Anfang Oktober 1950, vor genau 70 Jahren, eröffnete die Familie ihr von Architekt Hermann Blum erbautes Privatmuseum am heutigen Standort und benannte es nach dessen Gründer um in Carl-Schweizer-Museum. Anfangs gab es die in der großen Halle aufgebauten naturkundlichen Tierdioramen zu sehen. Die weiteren Abteilungen kamen in den folgenden Jahrzehnten nach und nach hinzu. Und in den vergangenen drei Jahren wurde das Gebäude bei laufendem Betrieb energetisch saniert und modernisiert und die neue Abteilung eingerichtet. Sie eignet sich laut Christian Schweizer bestens zur Integration von Neubürgern und zur Inklusion von Personen mit Einschränkungen.

Damit ist das Museum, einzigartig in seiner Einrichtung, Konzeption und Präsentation und das Lebenswerk von vier Generationen, jetzt ein „begehbares Geschichtsbuch“ über die Walterichstadt. Dessen „Seiten“ beginnen mit Urweltfossilien, Funden der Vor- und Frühgeschichte und führen über Objekte aus Mittelalter und Neuzeit bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

Bürgermeister Armin Mößner würdigt das Museum als „hervorragende familiäre Leistung“, bedeutende Informationsquelle für die Naturkunde und Heimatgeschichte sowie touristische Einrichtung und kündigt eine Zuwendung der Stadt an. Bei einer kleinen symbolischen Einweihungszeremonie durchschneiden Landrat Richard Sigel, der Rathauschef, Annette Ehle, Vorsitzende der Leader-Aktionsgruppe Schwäbischer Wald, und Architektin Heiderose Gölz ein Band vor dem Eingang des Museums.

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Erstellt:
5. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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