Der Nachwuchs als Mini-Me
Mutter und Tochter im Partnerlook – was soll das?
Unsere Autorin fragt sich, was hinter dem merkwürdigen Phänomen steckt, wenn Kinder und Eltern die gleichen Klamotten tragen.

© dpa/HM
Wer kopiert hier wen – und was hat das mit dem Longevity-Trend zu tun?
Von Lisa Welzhofer
Neulich im Cluburlaub: Jeden Abend großer Auftritt einer Mutter mit drei Orgelpfeifentöchtern am Büffet im Partnerinnenlook. Mal in beigen Kleidern mit floraler Ornamentik. Mal im Jeans-Hotpants-Look mit Knödelfrisur und Birkenstock. Die Mädchen als Mini-Me (Mini-Ich) der stolzen Mutter. Das ist lustig anzusehen – aber nur auf den ersten Blick. Denn schon stellt sich die Frage, was das zu bedeuten hat.
Nun könnte man sagen: Selbst schuld, wer im Club urlaubt, der einem ja auf viele Arten wie ein kurioses Menschenlabor vorkommt. Aber die Mutter-Tochter-Gespanne in Zwillingsmontur – seltener die Vater-Sohn-Variante – sieht man auch anderswo. Auf Spielplätzen, in Fußgängerzonen, auf Festivals. Nicht immer werden deckungsgleiche Textilien und Schuhe getragen. Aber Schnitte, Muster, Modelle ähneln sich oft zum Verwechseln. Wobei nicht klar ist, wer hier wen kopiert und hofft, sich mit den Klamotten gleich weitere Eigenschaften der jeweils anderen Generation überzustreifen. Macht sich nun die Tochter erwachsener oder die Mutter jugendlicher? Oder anders gefragt: Ist Damenmode kindischer geworden – oder Kindermode frühvergreist?
Rucksack- und Schuhhersteller werben um Mütter-Töchter-Duos
Die Modeindustrie jedenfalls hat dieses Phänomen schon länger aufgegriffen oder angetrieben – das lässt sich nicht mehr rekonstruieren. „Mini-Me-Outfit“ als Suchbegriff bei großen Onlinehändlern eingegeben, ergibt Tausende Treffer. Die gleichen Pullis, Kleidchen, Schirmmützen, Shirts gibt es für drei- wie dreißigjährige Mädchen zu bestellen. Auch Rucksack- und Schuhhersteller werben offensiv um Mütter-Töchter im Doppelpack. Das Ergebnis lichten Fotografen mittlerweile in „Mini-Me-Shootings“ ab.
Verwunderlich ist das nicht in einer Zeit, in der sich alles ums Hinausschieben und/oder Rückabwickeln von Altersanzeichen dreht. Mittels Ernährungsplan, Calisthenics-Park und Nervengift in der Stirn schafft sich der Mensch im Eltern- und Großelternalter Richtung Unsterblichkeit. Longevity (Langlebigkeit) ist das Stichwort der Stunde. Da passt es doch wunderbar, klamottentechnisch als Magnum-Me der Teenagerkinder aufzutreten. Wobei das bitte nicht nur zynisch verstanden werden soll! Sich nicht mehr in den Matronenstil fügen zu müssen, der für Frauen früher nach Heirat und Niederkunft vorgesehen war, darf man durchaus emanzipatorisch nennen.
Dazu drückt sich in der Partnermode womöglich jenes beziehungsorientierte Eltern-Kind-Verhältnis aus, das der Erziehungsvordenker Jesper Juul als „gleichwürdig“ beschrieben hat. Das aber leider leicht als „symbiotisch“ missverstanden werden kann. Und so sitzt man mit seinem Nachwuchs recht achtsam und in denselben beige-grau-dottergelben Biobaumwoll-Buxen im geschmackvollen Hygge-Ambiente seiner Großstadtfamilienwohnung herum, aus der die Kinder immer später ausziehen, weil’s doch so schön harmonisch ist.
Modische Abgrenzung ist wichtig
So verstanden, verhindert das Doppelgängerdasein letztlich jene gesunde Abgrenzung in Familien, die sich traditionell in Kleidung materialisieren muss. Es gilt, nicht nur, aber auch mittels Mode von Kinder- ebenso wie von Elternseite aus zu signalisieren: Ich bin ein eigener Mensch.