Flüchtlinge

Nahost-Staaten schicken viel mehr Syrer heim als Europa

Seit Assads Entmachtung im Dezember kehrten bisher mehr als eine halbe Million Syrer aus der Türkei heim, aus dem Libanon waren es mehr als 300 000.

Eine syrische Mutter mit ihrem Kind wartet an einem Sammelpunkt in Beirut auf die Rückreise nach Syrien.

© imago/Zuma Press Wire

Eine syrische Mutter mit ihrem Kind wartet an einem Sammelpunkt in Beirut auf die Rückreise nach Syrien.

Von Susanne Güsten

Aus Deutschland sind in den elf Monaten seit dem Sturz des Diktators Baschar al-Assad knapp 3000 Syrer in ihre Heimat zurückgekehrt – in der Türkei sind es jeden Tag fast so viele. Seit Assads Entmachtung im Dezember kehrten bisher mehr als eine halbe Million Syrer aus der Türkei heim, aus dem Libanon waren es mehr als 300 000, aus Jordanien gingen 150 000 nach Hause. Die Nahost-Staaten liegen näher an Syrien, sind ärmer als EU-Länder und bieten mehr Anreize für die Rückkehr. Experten sprechen von einer „erzwungenen Freiwilligkeit“.

Geographie ist wichtiger Faktor

Wie der Experte Omar Kadkoy am Beispiel der Türkei erläutert, ist die Geografie ein wichtiger Faktor. Entlang der mehr als 900 Kilometer türkisch-syrischen Grenze gibt es mehrere offene Grenzübergänge. „Das senkt die Reisekosten im Vergleich mit der Rückkehr aus der EU“, sagt der Koordinator des Programms Außen- und Sicherheitspolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Ähnliches gilt für den Libanon und Jordanien, die im 14-jährigen Bürgerkrieg ebenfalls Millionen Syrer aufgenommen hatten.

Die Nachbarstaaten versuchen auch, den Syrern die Rückkehr schmackhaft zu machen. Die Türkei begann noch während des Bürgerkrieges in türkisch besetzten Gebieten von Nord-Syrien mit dem Bau neuer Wohnungen für Rückkehrer. Seit Assads Sturz hilft die Türkei dem südlichen Nachbarn mit der Lieferung von Gas und Strom. Nach dem Regimewechsel in Damaskus bot Ankara den Syrern zeitlich begrenzte Schnupperbesuche an. Bis Ende Juni konnten Syrer die Lage in der Heimatregion auskundschaften, ohne den Aufenthaltsstatus in der Türkei zu verlieren.

Derzeit passieren jeden Tag bis zu 2500 Syrer die Grenze aus der Türkei nach Syrien. Die Zahl der Syrer in der Türkei, die im Bürgerkrieg vorübergehend 3,6 Millionen erreicht hatte, ist auf rund 2,5 Millionen gefallen. Allein in den vergangenen zwei Monaten kehrten rund 80 000 Syrer aus der Türkei heim, wie aus Zahlen der Regierung in Ankara hervorgeht. Im Libanon und in Jordanien, die im Krieg jeweils mehr als eine Million Syrer aufgenommen hatten, zahlt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR eine Heimkehr-Hilfe von 100 US-Dollar pro Kopf; in Jordanien gibt es Gratis-Heimreisen per Bus.

Noch wichtiger für die Entscheidung zur Rückkehr sind rechtliche Hürden. In der Türkei genießen Syrer nur einen vorübergehenden Schutzstatus. Das bedeutet eingeschränkten Zugang zu Arbeitsgenehmigungen, eine verbreitete Ausbeutung syrischer Arbeiter und eine Zuteilung des Wohnorts. Das verunsichert viele Syrer nach Einschätzung von Kadkoy und lässt eine Rückkehr vorteilhafter erscheinen.

Geflüchtete unter enormen Druck

Bei anderen Syrien-Nachbarn ist die Lage ähnlich. „Die schwere wirtschaftliche Krise im Libanon, steigende Lebenshaltungskosten, eine zunehmende rechtliche Unsicherheit und der Rückgang internationaler Hilfsleistungen setzen viele Geflüchtete unter enormen Druck“, sagt Kristof Kleemann, Projektdirektor Libanon und Syrien der Friedrich-Naumann-Stiftung in Beirut. „Unter diesen Bedingungen erscheint die weiterhin schwierige Lage in Syrien manchen als das geringere Risiko. „Viele Rückkehrbewegungen verlaufen informell, sind nicht vollständig dokumentiert, und nicht jede Rückkehr ist dauerhaft“, hat Kleemann beobachtet. „In vielen Fällen handelt es sich eher um eine ‚erzwungene Freiwilligkeit‘ als um eine stabile, nachhaltige Reintegration.“

Amnesty International warf der Türkei während des Bürgerkrieges vor, Syrer in angeblich sichere Gegenden ihres Heimatlandes zu deportieren. „Nicht alle Syrer sind freiwillig nach Hause gegangen“, sagt Kadkoyl. In der Türkei beobachtet das UNHCR die Rückkehr der Flüchtlinge an den Grenzen, damit die Syrer „sicher, in Würde und voll informiert“ nach Hause gehen, teilte die Organisation mit. Im Libanon und in Jordanien sollen Gespräche der potenziellen Heimkehrer mit UN-Vertretern garantieren, dass die Rückkehrer freiwillig gehen.

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Erstellt:
7. November 2025, 17:22 Uhr

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