Ukraine als Vorbild
Oberbefehlshaber mahnt Tempo an
Luftabwehr und präzises Feuer auf große Distanz stehen auf der Wunschliste von Nato-Oberbefehlshaber Alexus Grynkewich ganz oben.

© US Air Force/William J. Seifert
Hebt die Bedeutung von Amerikas Verbündeten hervor: Nato-Oberbefehlshaber Alexus Grynkewich.
Von Christoph Reisinger
Nato-Oberbefehlshaber Alexus Grynkewich hat den Streitkräften des Bündnisses das Ziel vorgegeben „auf das Niveau der Ukrainer zu kommen“. Neben dem Aufbau einer massiven Luftabwehr und von Fähigkeiten, weit entfernte Ziele präzise zu treffen – es geht hier um Reichweiten von bis zu 2000 Kilometern – sei dies die vorrangige Aufgabe, sagte der amerikanische Luftwaffen-General.
„Von den Ukrainern lernen wir, wie das funktioniert, dass jede Brigade ihre Industrie-Partner hat, mit denen sie in sehr hohem Tempo Bewaffnung, Ausrüstung und Taktik weiterentwickelt“, sagte Grynkewich anlässlich der Landeuro, einer internationalen Experten-Tagung der Amerikanischen Heeres-Gesellschaft in Wiesbaden.
„Masse aufbauen“
Angriff Russlands und Chinas?
Der General verwies auf die Möglichkeit, dass sich in naher Zukunft die USA und ihre Verbündeten gleichzeitig einem Angriff Russlands in Europa und Chinas im Pazifik gegenübersehen könnten. „Wir können es uns nicht leisten, Zeit zu verlieren.“ Es gelte, unverzüglich die industrielle Basis auf beiden Seiten des Atlantiks voll zu mobilisieren. Schließlich müssten die Streitkräfte wieder Masse aufbauen.
Wie schnell sich die Dinge veränderten, zeige sich nicht zuletzt darin, dass Russland nordkoreanische Soldaten in ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine einsetzt. „Noch vor kurzer Zeit hätten sich das die meisten Europäer wahrscheinlich so wenig wie ich vorstellen können“, sagte Grynkewich.
Die Nato hat wieder regionale Verteidigungspläne
Er verwies auf die Weichenstellungen seines Vorgängers Christopher Cavoli. Von diesem Heeres-General hatte Grynkewich am 1. Juli in Stuttgart die Führung auch über das Kommando der US-Streitkräfte für Europa (Eucom) übernommen. „Erstmals seit den sechziger Jahren hat die Nato wieder eine Strategie und eine präzise Verteidigungsplanung für einzelne Regionen“, sagte er. Im vergangenen Jahr hätten die Alliierten in ihrer Manöver-Serie Steadfast Defender mehr als 90 000 Soldaten und rund 50 Schiffe und 80 Flugzeuge in Europa eingesetzt. „Das war unsere größte Übung seit Reforger 1988.“
Ausdrücklich verwies der US-General auf die Beiträge aller 32 Bündnispartner. Sein Beispiel: „Der Weltraum wird einer der entscheidenden Räume für die künftige Kriegführung sein. Das haben alle Partner erkannt und investieren auf unterschiedlichem Niveau.“ Neben ihrer Bedeutung für die Aufklärung gewinnen Satelliten im Weltraum zunehmend an Bedeutung für die Steuerung von Waffensystemen mit Künstlicher Intelligenz.
Die Ukrainer werden als schnell und standfest geachtet
Die Ukraine und ihre Streitkräfte werden unter Nato-Militärs für ihre Standfestigkeit geachtet und vor allem in zwei Bereichen als Vorbilder wahrgenommen: Ihr Innovationstempo ist weltweit unerreicht; und sie halten dieses Tempo trotz des Mangels in fast allen Bereichen. „Wir sehen dort auch in der Taktik fast täglich Dinge, von denen nie einer gedacht hätte, dass sie funktionieren – aber sie funktionieren“, sagte Chad Amacker aus der Arbeitsgruppe des Wiesbadener Kommandos der US-Landstreitkräfte für Europa und Afrika, die Erfahrungen der Ukrainer für die eigenen Kräfte nutzbar macht.
Hohe Motivation der Soldaten
Auf Robotik und Digitalisierung kommt es an
Der ukrainische Vize-Generalstabschef Wolodymyr Horbatiuk hatte am Mittwoch auf das Ausmaß der Veränderung verwiesen: „Wir sind heute eine völlig andere Armee als vor vier Jahren“, sagte er. Ausschlaggebend für den Erfolg, einen Durchbruch der russischen Armeen durch die mehr als 1100 Kilometer lange Front in der Ukraine verhindert zu haben, seien die hohe Motivation der Soldaten „unter existenzieller Bedrohung“, der massive Einsatz von Robotik und die volle Digitalisierung der Streitkräfte.