Juristenausbildung
OLG-Präsident: Verfassungstreue von Jura-Studenten unter die Lupe nehmen
Der Präsident des Stuttgarter Oberlandesgerichts, Andreas Singer, will die Gerichte und damit den Rechtsstaat vor dem Einfluss von Extremisten schützen.

© Lichtgut/Leif Piechowski
In Sorge um den Rechtsstaat: OLG-Präsident Andreas Singer will ein klares Bekenntnis zur Verfassung von Jura-Studenten, bevor sie ihr zweites Staatsexamen ablegen.
Von Franz Feyder
Im Dezember 2024 hat der Bundestag durch eine Grundgesetzänderung das Bundesverfassungsgericht gegen Angriffe von Extremisten besser geschützt. Nicht genug, sagt Andreas Singer, Präsident des Stuttgarter Oberlandesgerichts: Auch die restlichen Gerichte müssen widerstandsfähig gemacht werden. Auch durch ein Bekenntnis zur Verfassung durch Jura-Studenten, bevor sie als Referendare in Staatsanwaltschaften und Gerichten ausgebildet werden.
Der Bundestag und Bundesrat haben im Dezember das Bundesverfassungsgericht gestärkt und gegen Angriffe gesichert. Was wollen Sie denn noch, Herr Präsident?
Das Bundesverfassungsgericht hat als Wächter und Hüter unserer Verfassung eine herausgehobene Stellung in unserem Rechtsstaat. Deshalb war die Grundgesetzänderung kurz vor der Bundestagswahl richtig und wichtig. Um das Verfassungsgericht besser vor politischer Einflussnahme zu schützen, wurde etwa die Zahl der Senate und Richter, deren Amtszeit und ein Ersatzwahlmechanismus bei Blockade einer Richterwahl ins Grundgesetz aufgenommen. Aber alleine damit ist der Rechtsstaat noch nicht krisenfest.
Warum?
Wenn wir über die Resilienz, also die Widerstandsfähigkeit unseres Rechtsstaats sprechen, dann geht es um weit mehr als die 16 Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts. Es geht um über 22 000 Richter an allen deutschen Gerichten, um über 6 500 Staatsanwälte und über 166 000 Rechtsanwälte. Wir alle zusammen leben und prägen den Rechtsstaat.
Was schwebt Ihnen vor?
Es geht nicht nur um den Schutz des Rechtsstaats vor Angriffen von außen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Justiz nie wieder von innen durch die Feinde unserer Verfassung unterwandert und ausgehöhlt wird. Die Justiz war ein ganz entscheidendes Instrument, um die NS-Gewaltherrschaft in Deutschland durchzusetzen. Wir alle stehen in der Verantwortung, dass sich das niemals wiederholt. Deshalb müssen wir uns vor Verfassungsfeinden in den eigenen Reihen schützen.
Bei etwa 30 000 Richtern und Staatsanwälten eine schwierige Aufgabe?
Eine wehrhafte Demokratie kann und muss von ihren Richtern und Beamten das Eintreten für unsere grundlegenden Verfassungswerte verlangen. Deshalb gibt es in Baden-Württemberg keinen Richter oder Staatsanwalt, der sich vor seiner Einstellung nicht ausdrücklich in einer schriftlichen Erklärung zu unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt hat. In Verdachtsfällen wird der Bewerber vom Landesamt für Verfassungsschutz überprüft.
2021 hat der Dienstgerichtshof beim Oberlandesgericht Stuttgart die Entfernung eines früheren Staatsanwalts und AfD-Bundestagsabgeordneten aus dem Justizdienst wegen Verletzung seiner Pflicht zur Verfassungstreue bestätigt. Das belegt doch, dass eine Treueerklärung zur Verfassung nicht unfehlbar ist?
Der Fall belegt, dass wir als Justiz in der Lage sind, uns mit einer konsequenten Anwendung des Disziplinarrechts von Richtern und Staatsanwälten zu trennen, wenn sie ihre Pflicht zur Verfassungstreue verletzen. Aber ja, die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre dokumentieren, dass der Extremismus in Deutschland wächst. Natürlich besteht die Gefahr, dass damit auch mehr Bewerber in die Justiz drängen, bei denen es Zweifel an der Verfassungstreue gibt. Wir sollten deshalb so früh wie möglich ansetzen. Für die Justiz heißt das ganz konkret, dass wir schon bei der Juristenausbildung genau hinsehen müssen.
Wollen Sie jetzt jeden Jura-Studenten unter die Lupe nehmen?
Wir als Justiz müssen die Referendare in den Blick nehmen. Jeder angehende Richter, Staatsanwalt und Rechtsanwalt durchläuft nach Studium und erstem Examen den juristischen Vorbereitungsdienst. Erst damit erwerben sie die Befähigung zum Richteramt, was gleichzeitig für eine Tätigkeit als Staatsanwalt oder Rechtsanwalt qualifiziert. Im Referendariat legen wir den Grundstein für unseren Rechtsstaat von morgen. Wir wissen, dass Verfassungsfeinde inzwischen ganz gezielt schon in dieser frühen Phase ansetzen.
Auf was spielen Sie an?
In anderen Bundesländern mehren sich die Fälle, in denen Extremisten in den juristischen Vorbereitungsdienst drängen ...
…zum Beispiel?
Etwa ein bayrischer Uniabsolvent, der als Funktionär in der rechtsextremen Partei „Der III. Weg“ aktiv war. Eigentlich wollte er sein Referendariat in Bayern machen, wurde dort aber abgelehnt. Er hat sich dann erfolglos durch alle Instanzen geklagt. Auch in Thüringen ist er vor den Gerichten gescheitert. Seine Bewerbung in Sachsen war letztlich erfolgreich. Er arbeitet inzwischen als Rechtsanwalt.
„Andere Bundesländer sind deutlich weiter“
Die Bundesländer sind hier also unterschiedlich aufgestellt. Wie ist die Lage in Baden-Württemberg?
Wir haben in Baden-Württemberg keine ausdrückliche Regelung, die von Referendarinnen und Referendaren eine Erklärung zur Verfassungstreue fordert. Baden-Württemberg ist aber keine sichere Insel. Deshalb brauchen wir eine klare und rechtssichere Regelung, die es uns ermöglicht, Bewerber im Einzelfall abzulehnen, wenn ihre Verfassungstreue nicht gewährleistet ist. Andere Länder sind hier deutlich weiter.
Aber an Staatsdiener sind ja noch einmal andere Anforderungen zu stellen, als etwa an Rechtsanwälte. Und kein Referendariat würde im Ergebnis auch keine Anwaltszulassung bedeuten?
Ja, damit schränken wir das Grundrecht der freien Berufswahl ein, auch für Bewerber, die später nicht im Staatsdienst arbeiten wollen. Deshalb ist es nicht mit einer Verwaltungsvorschrift oder einer Verordnung getan. Wir brauchen eine Änderung des baden-württembergischen Juristenausbildungsgesetzes und eine Verfassungstreueerklärung aller Bewerber. Sonst drücken wir den Brandstiftern ja sogar noch das Streichholz in die Hand.
Ist das nicht ein wenig zu optimistisch? Eine Unterschrift unter einen Zettel und alles ist gut?
Ein Gesetz unseres Landtags wäre auch ein ganz wichtiges politisches Signal, dass dieses Land unseren Rechtsstaat mit allen gebotenen Mitteln verteidigt. Zurzeit steht unser Zugangstor zum Referendariat weit offen, gerade auch im Ländervergleich. Die Bewerber schauen sich sehr genau an, wo sie sich bewerben. Das Vertrauen in unseren Rechtsstaat ist ein hohes Gut. Wir sollten nicht diejenigen ausbilden, die unser Land zerstören wollen.