Orgelspiel zum ewigen Sein

Im Rahmen des Internationalen Orgelzyklus in der Murrhardter Stadtkirche musiziert der junge Organist Lukas Nagel virtuose Werke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Liszt und Olivier Messiaen.

Auf der Mühleisen-Orgel bot Lukas Nagel in der Murrhardter Stadtkirche unter anderem die „Dante-Sonate“ dar. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Auf der Mühleisen-Orgel bot Lukas Nagel in der Murrhardter Stadtkirche unter anderem die „Dante-Sonate“ dar. Foto: J. Fiedler

Von Petra Neumann

Murrhardt. Um die großen Fragen des Seins – Leben und Tod – ging es beim 16. Orgelsommerkonzert in der Stadtkirche. Der Organist Lukas Nagel hatte sich sehr komplexe Kompositionen für seinen Konzertabend erarbeitet und spielte sie virtuos in einer großen Klangfülle.

In einem kleinen Vorgespräch vor dem Publikum erzählte der junge Organist, dass er sich zunächst dem Klavier und der Geige gewidmet hatte, dann aber zum Orgelspiel wechselte. Außerdem stellte Lukas Nagel die Hauptmotive aus den Werken vor, die erstaunliche Parallelen aufweisen. „Speziell im 19. Jahrhundert machten die Komponisten eine Kunst daraus, möglichst wenige Motive in ihrer Komposition zu verwenden, diese aber dafür vielfältig zu variieren“, erläuterte der Musiker. „Auch die Tonart Fis-Dur, die innerhalb des Quintenzirkels am weitesten von C-Dur entfernt ist, war damals sehr beliebt, da ihr ein spiritueller Charakter eignet.“

Den Anfang machte das „Präludium Es-Dur BWV 552,1“ von Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750), das gleich mit vollen Takten in die Welt schwebender Noten eintaucht. Diese opulente Fülle kontrastiert mit kurzen Notenwerten, die wie kleine bunte Kugeln in die gewobene Klangtextur eingeflochten werden. Dennoch bleibt das wogende Element bestehen, denn der Tonsetzer begnügte sich nicht mit dem hörbaren Anteil der Musik, sondern lässt selbst das Unhörbare, noch nicht aus dem musikalischen Seinsgrund Erfasste, erahnen.

Viel akzentuierter ist die „Fuge c-moll KV 546“ von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 bis 1791), die die Schwere des Schicksals als etwas Unausweichliches erscheinen und die menschliche Seele zwischen den beiden Aspekten von Tod und ewigem Leben oszillieren lässt.

Das Thema von Tod und Finsternis zieht sich durch den Abend

Zwei „Choral-Improvisationen op. 65“ von Sigfrid Karg-Elert (1877 bis 1933) nehmen dieses Thema gleichfalls auf. Das Moment des Übergangs wird zwar sehr düster und elegisch verstanden und doch ist da ein feiner, wissender Klang des innerlichen Akzeptierens, welches erkennt, dass alle Trauer, alle Not Teil des großen Lebenszyklus ist. Daher eignet der Musik trotz aller Bedrückung etwas Schwebendes, das eine höhere Wahrheit anstrebt. Nach dem Todeserlebnis schildert die Musik, wie sich die Seele im formlosen Raum zurechtfinden muss. Noch an die irdische Wirklichkeit gewohnt, muss sie lernen, ihre Fesseln abzustreifen. Wundervoll sind die ungewöhnlich sphärischen Klänge, die Trost und Halt verheißen.

Olivier Messiaen (1908 bis 1992) vertonte den Kampf von Leben und Tod („Combat de la mort et de la vie“) in einem sehr eindrücklichen Werk. Ungemein wuchtige düstere Klänge eröffnen einen tiefen, finsteren Abgrund. Wilde Harmonien zeugen vom Kampf zwischen splittrigen, messerscharfen Tonfolgen, die von der Kraft des Lebens künden, doch auch das Dunkle wird mächtiger, unfassbarer, bis es eine gigantische unbestimmte Form annimmt, gegen die die Lebenswogen nichts auszurichten vermögen. Sie werden immer flacher, bis sie einem Strich gleichen, der von der Sogwirkung des Todes absorbiert wird. Nun, da die Lebensbande durchtrennt sind, weicht die dunkle Pforte des Todes einer ätherischen Sphäre, die aus den feinen Fäden übernatürlichen Lichts gewoben zu sein scheint. Noch immer lockt und zieht das Leitmotiv immer weiter in diese unirdische Existenzform. Hier gibt es nichts Greifbares, weder oben noch unten. Und doch malt die Musik diesen Raum tröstlich und fremdartig zugleich. Schließlich verweist ein langer Ton auf das ewige Sein und den Sieg des lebendigen Lichts über die Finsternis.

Ähnlich im musikalischen Motiv ist das Stück „Après une lecture de Dante“ von Franz Liszt (1811 bis 1886). Die Lektüre von Dante muss einen gewaltigen Eindruck auf den Komponisten gemacht haben, der eine ganz finstere Tonfärbung angestimmt hat. Die Melodie des Stücks stellt Fragen von existenzieller Bedeutung, deren Antworten aufwühlend sind. Wild stimmt sie die Thematik des Totentanzes an und klingt fast wie ein Jahrmarkt, auf dem ein Karussell kreist und Spiegel die Gesichter der Lebenden verzerren. Liszt variierte das Motiv immer wieder in seiner Bedeutungsschwere, wobei auch erlösende Aspekte anklingen, die zarter und unirdischer werden und doch nicht die Unausweichlichkeit der Finsternis und Wirrnis überwinden können. Denn aus dem Dante’schen Kreis gibt es wohl kein Entrinnen.

Lukas Nagel spielte mit Bravour auf der Mühleisen-Orgel und kostete ihre Klangfülle aus, um die Totalität des Spagats zwischen Leben, Tod und ewigem Sein gekonnt interpretieren zu können. Für die Zuschauer stand fest, dass sie diesen famosen Vortrag mit frenetischem Applaus belohnen mussten.

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Erstellt:
20. Juli 2021, 06:00 Uhr

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