Oszillierende Klänge, schillernde Obertöne

Die estnische Organistin Ines Maidre interpretiert facettenreiche Kompositionen vorwiegend aus Estland und Norwegen. Es ist das 30. Konzert des Internationalen Orgelzyklus auf der Mühleisen-Orgel in der Murrhardter Stadtkirche und gut besucht.

Ines Maidre unterrichtet Orgel an der Grieg-Akademie der Universität Bergen. Foto: Elisabeth Klaper

Ines Maidre unterrichtet Orgel an der Grieg-Akademie der Universität Bergen. Foto: Elisabeth Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Eine Klangreise zur faszinierenden Musik Estlands und Norwegens unternimmt Organistin Ines Maidre mit den Zuhörerinnen und Zuhörern beim 30. Konzert des Internationalen Orgelzyklus in der fast voll besetzten Stadtkirche. In Estland geboren, lebt Maidre seit 20 Jahren in Norwegen, wo sie außerordentliche Professorin für Orgel an der Grieg-Akademie der Universität Bergen ist. Im Zentrum ihres Programms stehen fantasievolle, klangfarbenreich ausgearbeitete Werke von drei estnischen und einem norwegischen Komponisten.

Verbindung zu deutschen Orgelbauern

Voller Virtuosität und mit Verve interpretiert die Musikerin die Werke, schöpft dabei die Möglichkeiten der Mühleisen-Orgel voll aus und beschert dem Publikum so eindrückliche Hörerlebnisse. Orgelmusik hat in Estland eine große Bedeutung, da es dort noch viele meist alte, von deutschen Orgelbauern geschaffene Instrumente gibt, erklärt Ines Maidre beim Ohrenöffner, der kurzen Konzerteinführung. Einer der bedeutendsten Organisten und Komponisten Estlands ist Peeter Süda, den Johann Sebastian Bach und andere große Meister zu grandiosen Orgelwerken inspirierten wie Präludium und Fuge in g-Moll. Aus den Namensmotiven b-a-c-h und es-d-a (Elemente seines eigenen Namens) gestaltet Süda ein monumentales, spannungsvolles Kunstwerk in spätromantischem Klangfarbenreichtum, das die Organistin in voller Pracht zur Entfaltung bringt. Das Präludium beginnt dramatisch und ist von ernstem, mahnendem Charakter. Es weist eine Fülle komplexer Gestaltungselemente auf, wie Kaskaden aus gebrochenen, teils chromatischen Akkorden und eine Fülle von Modulationen, die ineinander verwoben sind. Die Fuge klingt deutlich melodiöser und wird getragen von charakteristischen Details aus Werken von Bach, die Süda im Stil der Romantik weiterentwickelte. Einem strahlenden Dur-Schlussakkord folgt noch eine choralartige Melodie.

Ein bezaubernd atmosphärischer Ohrenschmeichler ist das Nachtstück „Nun ruhen alle Wälder“, eine Choralbearbeitung des Lieds in der älteren Form von Rudolf Tobias. Dieser estnische Organist und Komponist studierte am Konservatorium in St. Petersburg bei Nikolai Rimski-Korsakow und wirkte später als Professor an der Königlichen Musikhochschule in Berlin. Durch spätromantisch-impressionistische, feinsinnige Registrierung und mithilfe der Schwebung bringt Ines Maidre die Nachtstimmung und leise Melancholie wunderschön zum Ausdruck. Eine idyllische, von estnischen Volksweisen inspirierte liedhafte Melodie, dargestellt mit einem Flötenregister und harmonisch vielschichtigen Modulationen, zeichnen Alfred Karindis Berceuse aus, ein Wiegenlied aus dessen Orgelsonate Nr. 3.

Das norwegische Lied „Die Kirche ist ein altes Haus“ verdeutlicht die Treue der Menschen zum christlichen Glauben „auf ewigem Grund“, erläutert Ines Maidre. Darüber schrieb der zeitgenössische norwegische Kirchenmusiker und Komponist Reidar Sløgedal vier Fantasien, in denen er die traditionelle Klangsprache der Kirchenmusik mit modernen, teils dissonanten Elementen bereichert. Filigrane Figurationen, die die Hauptstimmen umrahmen, und obertonreiche Akkorde, die an Kirchturmglockenspiele erinnern, formen den Klangeindruck. Hinzu kommen schwungvolle Rhythmen im Tutti und am Schluss dreht sich sogar kurz der Zimbelstern (Effektregister).

Mit einem Hauch spanischer Musik

Über alle Widrigkeiten triumphierende, strahlende Tuttiakkorde, zwischen Dur und Moll oszillierende, fantasievolle Klangfarben und melodische Ideen kennzeichnen César Francks „Heroisches Stück“ aus einer Trilogie. Markante, marschartige Rhythmik, nuancenreiche Harmonik und eine prächtige, etwas an spanische Musik erinnernde Melodik machen Sergej Rachmaninows Prélude g-Moll op. 23. Nr. 5 zu einem Juwel spätromantischer Klaviermusik, das in der Orgeltranskription von Gottfried H. Federlein noch fantasievoller und pompöser wirkt. Viel Vergnügen bereiten die überaus kreativ gestalteten, verspielten Variationen des britischen Organisten und Komponisten Harold Britton über den bekannten Jazzstandard „I Got Rhythm“ von George Gershwin. Da lässt die Künstlerin die Mühleisen-Orgel fröhlich jazzen und tanzen, aber auch feierlich ihre ganze Klangfülle im Stil Bachs und der Romantik entfalten. Mit enthusiastischem Applaus und Bravorufen dankt das Publikum Ines Maidre für das grandiose Konzert und erwirkt noch die reich figurierte und nuancierte Humoresque des Italieners Pietro Yon als Zugabe.

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Erstellt:
13. Juni 2023, 06:00 Uhr

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