Oszillierende orchestrale Klangopulenz

Der Hamburger Kirchenmusikdirektor Christoph Schoener bringt beim jüngsten Konzert des Internationalen Orgelzyklus in Murrhardt die Registervielfalt und Dynamik der Mühleisen-Orgel mit Werken von Bach, Franck und Reger voll zur Entfaltung.

Christoph Schoener ist ein großer Könner des Orgelspiels und äußerst begeistert von der Mühleisen-Orgel. Foto: Elisabeth Klaper

Christoph Schoener ist ein großer Könner des Orgelspiels und äußerst begeistert von der Mühleisen-Orgel. Foto: Elisabeth Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Ein wahrhaft monumentales Hörerlebnis beschert Christoph Schoener den vielen Zuhörerinnen und Zuhörern beim jüngsten Konzert des Internationalen Orgelzyklus in der Murrhardter Stadtkirche. Über 20 Jahre wirkte Schoener als Kirchenmusikdirektor in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis und unterrichtete künstlerisches Orgelspiel an verschiedenen deutschen Musikhochschulen. „Vor 35 Jahren war ich schon einmal in Murrhardt“, erzählt er und schwärmt von „der neuen, fantastischen Orgel“.

Hauptwerk des Programms ist die Introduktion, Passacaglia mit 26 Variationen und Fuge Opus 127 d-Moll von Max Reger, dessen 150. Geburtstag die Musikwelt 2023 begeht. 1913 komponierte er dieses Auftragswerk mit sinfonischer Klangfarbenvielfalt, „Musik von berückender Schönheit, anspruchsvoll zum Hören und zum Spielen“, für die Eröffnung der Jahrhunderthalle in Breslau, erklärt Christoph Schoener beim Ohrenöffner, der kurzen Konzerteinführung. Und die Mühleisen-Orgel ermögliche es, das gesamte Spektrum der vielen unterschiedlichen Registrierungen und Lautstärken von ganz leise bis zu ganz laut stimmig darzustellen.

Die Introduktion erinnert mit ihrer schweren, dunklen Wucht und virtuos ausgearbeiteten Figurationen an die berühmte Toccata von Bach, doch weist sie auch leise, zarte Momente mit Schwebungen in verschiedenartigen Nuancen auf. Die Passacaglia steht im Dreivierteltakt, da sie ursprünglich ein Tanz war. Das Thema aus elf von zwölf Tönen der chromatischen Tonleiter wird im Pedal, also im Bass gespielt. Daraus entwickelt der Organist die Variationen: Ein breit gefächerter Bogen aus melodiös liedhafter, harmonisch dichter Chromatik mit meditativer Mitte, kontrast- und facettenreich ausgearbeiteten Figurationen. Den Abschluss bildet eine „fast humoristische“ Doppelfuge, die ganz leise beginnt und sich zu einer spätromantisch-fantasievollen Klangmalerei verdichtet.

Die Musikwissenschaftler streiten darüber, ob die mitreißende Toccata und Fuge d-Moll von Johann Sebastian Bach stammt oder nicht. „Vielleicht ist sie auch von Carl Philipp Emanuel Bach“, sagt Christoph Schoener dazu, also vom zweiten Sohn des berühmten Komponisten. Wunderbar virtuos gestaltet der Professor das anfangs fast urgewaltig aufbrausende, überaus temperament- und fantasievolle Tonkunstwerk. Da oszillieren die verschiedensten Figuren und tanzen die Finger nur so über die Manuale, bis sich die komplexen Strukturen „beruhigen“ und in melodiöse, fast heiter-verspielte Formen verwandeln. Auch die Fuge ist vom selben expressiven Charakter mit rhythmisch vorwärtsdrängender Bewegung und wechselt zwischen improvisatorischen und kontrapunktischen Teilen.

Zum 200. Geburtstag von César Franck, dem in Belgien geborenen Begründer des französisch-sinfonischen Orgelstils, interpretiert Christoph Schoener den Choral Nr. 2 h-Moll, „eines der schönsten Charakterstücke der französischen Romantik“ mit tiefsten Empfindungen und stärksten Emotionen. Darin bedeutet Choral nicht eine hymnische Melodie, sondern umschreibt ein Thema, das in choralartigen Harmonien ausgearbeitet ist. Zugleich ist das Werk eine große Passacaglia mit einem Thema aus ostinaten, sprich wiederholten, gleichartigen oder ähnlichen Bassfiguren. Die unterschiedlich ausgearbeiteten Variationen rufen die Vorstellung einer großen Glocke hervor. Düster und schwer wirkt der Beginn, daraus entwickelt sich eine immer opulentere und vielschichtiger werdende sinfonische Kaskade aus ineinander verflochtenen Akkorden und Kadenzen bis zum majestätisch strahlenden, friedvollen Ende in Dur.

Mit tosendem Beifall dankt das beeindruckte Publikum dem großen Orgelkünstler, der noch Wolfgang Amadeus Mozarts „einfachstes und leichtestes Stück“ sowie letztes Kammermusikwerk, das Adagio für Glasharmonika, als Zugabe draufsetzt. Die bezaubernde Miniatur aus filigranen Rokoko-Klangornamenten ist nach der „schweren Kost“ des Programms ein wohltuender Ohrenschmeichler.

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Erstellt:
20. September 2022, 06:00 Uhr

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