Pflege- und Therapieteam gut aufgestellt

Thomas Nehr, geschäftsführender Vorstand von Diakonie ambulant, gibt im Gemeinderat Murrhardt einen Überblick über Alltag, Herausforderungen und Entwicklungen, mit denen sich der ambulante Pflegedienst im oberen Murrtal auseinandersetzen muss.

Die Führungskräfte der Diakoniestationen im Rems-Murr-Kreis setzen auf eine familienbewusste Unternehmensführung, wie die jüngste Prädikatsverleihung – siehe Infotext unten – zeigt (von links): Christian Förster (Winnenden), Thomas Nehr (Oberes Murrtal), Uwe Grau (Fellbach), Holger Engelbart (Wieslauftal), Jennifer Reich (Schmiden-Oeffingen), Martina Zoll (Weissach im Tal), Arndt Hubschneider (Weinstadt) und Natascha Bobleter (Mittleres Murrtal). Foto: privat

Die Führungskräfte der Diakoniestationen im Rems-Murr-Kreis setzen auf eine familienbewusste Unternehmensführung, wie die jüngste Prädikatsverleihung – siehe Infotext unten – zeigt (von links): Christian Förster (Winnenden), Thomas Nehr (Oberes Murrtal), Uwe Grau (Fellbach), Holger Engelbart (Wieslauftal), Jennifer Reich (Schmiden-Oeffingen), Martina Zoll (Weissach im Tal), Arndt Hubschneider (Weinstadt) und Natascha Bobleter (Mittleres Murrtal). Foto: privat

Von Christine Schick

Murrhardt. Nach fünf Jahren wollte Thomas Nehr die Gelegenheit nutzen, einmal wieder im Murrhardter Gemeinderat über die Arbeit von Diakonie ambulant – Gesundheitsdienste Oberes Murrtal zu berichten. „Ich bin jetzt seit 19 Jahren als geschäftsführender Vorstand für die Diakonie ambulant tätig und das nach wie vor mit großer Freude“, sagte Nehr. Er erinnerte an den Pflegegipfel des Rems-Murr-Kreises, der jüngst in Backnang stattfand und bei dem für ihn mit Blick auf die Herausforderungen klar geworden sei: „Wir haben kein Erkenntnis- oder Wissensdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.“

Was die Rahmenbedingungen angeht, gab es für Diakonie ambulant in den vergangenen zwei, drei Jahren fordernde Phasen: den Umbau der Diakoniestation in der Blumstraße, den Werner Stingel, Vorsitzender des Krankenpflegevereins, engagiert begleitet und der einen Arbeitsalltag bei Staub und Lärm bedeutet hat, die EDV-Umstellungen und Digitalisierungsschritte sowie Corona. Thomas Nehr ist froh, dass es während der Pandemie nur wenige Infektionsfälle im Team und bei den Patientinnen und Patienten gegeben habe und der Pflegedienst keine Kurzarbeit anmelden musste. Als bizarre Erinnerung bleibt, dass die Preise für Hilfs- und Schutzmittel wie FFP2-Masken oder Handschuhe in Phasen von Knappheit und hohem Bedarf teils unverhältnismäßige Höhenflüge hingelegt haben.

Den Pflegedienstleister mit etwa 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die rund 1000 Patientinnen und Patienten versorgen, sieht er gut aufgestellt. Die Besonderheit, gleichzeitig ein Alleinstellungsmerkmal in Baden-Württemberg, ist, dass Pflege und Therapie aus einer Hand angeboten werden können. „Wenn ein Mensch einen Schlaganfall hatte, ist es wichtig, dass alle Professionen bei der Behandlung eng aufeinander abgestimmt begleiten können“, erläuterte Nehr. Einen Engpass gab es in der Logopädie, bei der die Patientinnen und Patienten mangels Fachkräften zwischenzeitlich bis zu einem Jahr auf eine Behandlung warten mussten – in besagtem Fall unvorstellbar. „Das ist ein hausgemachtes Problem“, sagte der Geschäftsführer. „In der Logopädie ist der Verdienst deutlich geringer als der für eine Pflegefachkraft.“

In Zukunft braucht es auch mehr gemeinschaftliche Mithilfe im Alltag

In Bezug auf den demografischen Wandel und die künftigen Entwicklungen sagte Nehr voraus, dass für die Pflege und das Begleiten von Älteren große Anstrengungen ins Haus stünden, dies letztlich aber angesichts der Zahlen nicht allein über professionelle Kräfte zu leisten sei. Es müssten auch weitere Menschen im Sinne einer sorgenden Gemeinschaft für flankierende Unterstützung hinzukommen. Das könnten Dinge sein wie jemandem die Treppe hochzuhelfen oder für ihn einkaufen zu gehen. Dafür brauche es ein Bewusstsein, einen kulturellen Wandel – weg von der Ellenbogenmanier hin zu einem stärkeren Miteinander. In puncto Gegenwart und Zukunft heißt es für die Diakonie ambulant, am Ball zu bleiben. Sie bemüht sich um Nachwuchskräfte und bildet selbst aus, was die Praxisanleiterinnen und -anleiter im Alltag leisten. Die Ausbildung, die erneuert und strukturell reformiert wurde, hält für Thomas Nehr aber nicht, was sie verspricht. Leider sei es bundesweit so, dass zwar 20 Prozent mehr Menschen die Ausbildung begonnen, aber 30 Prozent sie auch vorzeitig wieder beendet hätten. Die Konsequenzen des Notstands seien auch im Rems-Murr-Kreis zu spüren. Nehr weiß von Pflegeteams, die aufgrund von Personalmangel nicht mehr arbeitsfähig waren. „Da sind wir hier im oberen Murrtal noch auf der Insel der Seligen“, stellt er fest und zeigt ein Bild des 70-köpfigen Teams, das als solches auch schon für das Diakonische Werk Modell beispielsweise für Banner gestanden hat und der Pflege ein Gesicht gibt.

Nehr nannte weitere wichtige Faktoren: Fort- und Weiterbildungen, den Austausch untereinander im Sinne der Patientinnen und Patienten, ein gutes Gesundheitskonzept (BELEV) für den eigenen Betrieb und eine sinnstiftende Arbeit. Eine Zielsetzung aus der Praxis: dass eine Patientin mit griechischen Wurzeln nach einem Schlaganfall wieder alleine ihren griechischen Kaffee trinken kann. „Das bedeutet Lebensqualität.“ Was die Digitalisierung anbelangt, könnten die Fachkräfte nun per Tablet auch mit und für den Patienten Dinge regeln sowie Dokumentationen erledigen, soweit die Netzanbindung gewährleistet sei. „Das ist noch nicht überall der Fall“, insofern setzt er auf den Abschluss des Breitbandausbaus. Wirtschaftlich bewege sich die Diakonie ambulant in sicheren Gefilden, was an der nicht notwendigen Unterstützung vonseiten der Stadt deutlich werde.

„Die Arbeit in den vergangenen Jahren war sicher nicht einfach, es musste viel improvisiert werden, für die Pandemie gab es ja keinen Masterplan“, sagte Bürgermeister Armin Mößner. Insofern sei es gut, dass die Diakonie ambulant diese Zeit einigermaßen unbeschadet überstanden habe. Auch freue er sich, dass die Diakoniestation jetzt baulich neu und gut aufgestellt sei. Mit Blick auf das Jahr 1996 sprach er von einer wichtigen und weitreichenden Gründung des Pflegediensts, hinter dem Krankenpflegevereine, Kommunen und Kirchen im oberen Murrtal stehen.

Ein Kampf um die mangelnden Fachkräfte führt nicht zum Ziel

Aus den Rückmeldungen der Fraktionen war viel Wertschätzung herauszuhören. Gerd Linke (MDAL/Die Grünen) zeigte sich beeindruckt vom guten personellen Standing und erkundigte sich, ob die Arbeit mit Tablets den bürokratischen Aufwand reduziere. Nehr: Hilfreich sei, beispielsweise bei Beratungsgesprächen, Angaben der Patientinnen und Patienten direkt eingeben und Unterlagen digital verschicken zu können. Wichtig bleibt die Mitarbeitergewinnung genauso wie -bindung. Der geschäftsführende Vorstand ließ auch durchblicken, dass es angesichts der Personalnot trotzdem nicht darum gehen dürfe, sich gegenseitig Fachkräfte abspenstig zu machen. Letztlich gelte dies auch für Pflegekräfte, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen und dann mit ihrem Know-how in den Heimatländern fehlten.

Andreas Winkle (CDU/FWV) unterstrich das Ausbildungsengagement, wobei Nehr ergänzte, dass der gestiegene Verdienst während der Lehre einen nicht unwesentlichen Pluspunkt darstelle. Wie wichtig das Thema werden kann, „merkt man oft erst, wenn man die Arbeit in Anspruch nimmt“, sagte Elisabeth Zenker (SPD), die die Familienorientierung des Pflegediensts lobte. Auch wenn sie sich um die Weiterentwicklung Sorgen mache, setze sie auf das Team und seine Lösungsfähigkeiten. Pflege bedeute auch Beziehungsarbeit für die Menschen, bei denen Einsamkeit eine Rolle spielen kann.

Auch Brigitte Kübler (UL) sprach dem Pflegedienst Anerkennung und Dank aus. Auf ihre Nachfrage zur Ausbildung ergänzte Nehr noch, dass der Migrationsanteil erheblich gestiegen sei. Wenn es um Bewerbungen für die ambulante Pflege ginge, sei aber ein gutes sprachliches Verständnis von großer Bedeutung, insofern verweise er unter Umständen auf den stationären Bereich, wo eine Einarbeitung etwas leichter sei.

Diakoniestationen im Rems-Murr-Kreis erhalten Prädikat als familienbewusste Unternehmen

Auszeichnung Der Landesfamilienrat und das baden-württembergische Wirtschaftsministerium haben die Diakoniestationen im Rems-Murr-Kreis mit dem Prädikat für familienbewusste Unternehmen ausgezeichnet. Es würdigt ihr Engagement für ein familienfreundliches und lebensphasenorientiertes – sowie 2022 neu dazugekommen – digitales Personalmanagement. Bewertet werden die Aktivitäten der Unternehmen in den Bereichen Führungskompetenz und Personalentwicklung, Arbeitsort, -zeit und -organisation, Kommunikation, geldwerte Leistungen, Service für Familien, Gesundheit sowie bürgerschaftliches Engagement. Für die Diakoniestationen im Kreis sind die Vereinbarkeit von Familie und Beruf seit Langem schon Alltag und ein zentrales Anliegen, um Pflegefachkräfte langfristig zu binden und neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. „Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist mittlerweile ein harter Standortfaktor und wird maßgeblich darüber entscheiden, ob die Fachkräftesicherung im demografischen Wandel gelingen wird“, so Thomas Nehr, Vorstand von Diakonie ambulant in Murrhardt. Auch für Jennifer Reich, Vorständin vom Krankenpflegeverein Schmiden-Oeffingen, ist dies Grund dafür, das Prädikat alle drei Jahre zu erneuern. Am Beispiel der sogenannten Müttertour sind die vielfältigen Aktivitäten der Diakoniestationen besonders gut erkennbar: Die Tour beginnt später als 6 Uhr und endet vor der Abholzeit der Kinder. So können die Mütter ihre Kleinen in den Kindergarten bringen und ohne Zeitdruck nach der Arbeit wieder abholen. Für Stefanie Faas und Holger Engelbart von der Pflegedienstleitung der Diakoniestation Wieslauftal Welzheimer Wald ist das Prädikat eine gute Möglichkeit, nach Innen fürs Team und nach Außen für Bewerbungen die familienbewussten Maßnahmen sichtbar zu machen.

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Erstellt:
2. Juni 2023, 06:00 Uhr

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