Planbarkeit ist seit Langem passé
Interview Bürgermeister Armin Mößner stellt mit Blick auf 2022 fest, dass das Reagieren auf die inzwischen diversen Krisen das Alltagsgeschäft oft dominiert hat. Die Stadt ist stark gefordert, „trotzdem haben wir keinen Stillstand in Murrhardt“.

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Der Turnhallenbau lässt sich über das ganze Jahr im Stadtgarten verfolgen. Foto: Jörg Fiedler
Das Jahr 2022 ist verbunden mit dem Schlagwort Zeitenwende, Sie haben auch öfters von übereinandergeschichteten Krisen gesprochen. Lässt sich für Sie sagen, welche Krisen in Murrhardt am deutlichsten zu spüren sind?
Wir durchleben aktuell sich überlagernde Krisen. Alle haben eigentlich gehofft, dass es mit der Coronapandemie etwas ruhiger wird. Das war ja mit der Sommerzeit auch so, wobei man sagen muss, die Coronapandemie ist noch nicht ganz vorbei. Aber mit dem 24. Februar und dem Ukrainekrieg sind natürlich andere Themen dazugekommen: das Thema Krieg auf europäischem Boden, ein schwerwiegender Einschnitt, nachdem wir fast 80 Jahre Frieden in Europa erlebt haben. Dann in Folge eine erneute Flüchtlingskrise, bei der die Zahlen in Baden-Württemberg über denen von 2015/2016 liegen, was uns in Murrhardt auch stark fordert. Die Belegung des Erich-Schumm-Stifts erfolgt nun Zug um Zug. Wir haben auch schon 150 bis 200 Geflüchtete in Murrhardt, die privat und in Wohnunterkünften der Stadt untergekommen sind. Hinzu kommt die Energiekrise, die jeder am eigenen Geldbeutel zu spüren bekommt, genauso wie die Stadtwerke als Gasversorger. Und natürlich das Thema Inflation, das jeden privat trifft, zum Beispiel am Supermarktregal, und auch die Stadt selbst ist vor den Auswirkungen der Inflation ja nicht gefeit. Und die Klimakrise ist nach wie vor präsent.
Stadtwerke, Gasversorgung und Energiekrise – wo merken Sie die Auswirkungen da am deutlichsten?
Es sind ja deutliche Mehrkosten für uns beim Einkauf entstanden, die wir an unsere Kundinnen und Kunden weitergeben mussten.
Also die Preiserhöhungen.
Genau, aber trotz der Tarifpreiserhöhungen machen wir keinen Gewinn. Es geht nur darum, die Sparte ausgeglichen zu halten und keinen Verlust zu machen. In einer Werksausschusssitzung hatten wir es ja in einer Vorlage zusammengestellt, dass die Energiepreise bei einem Durchschnittsverbrauch um etwa das Dreifache gestiegen sind. Das ist natürlich schon ein Wort. Das spüren vor allem Geringverdiener, ältere Leute mit einer kleinen Rente und da hat man bei den Stadtwerken schon deutlich mehr Beratungsaufwand und muss da nach Lösungen schauen. Bleibt zu hoffen, dass die Gaspreisbremse des Bundes nun eine spürbare Verbesserung bringt. Auch haben die Anfragen nach einem Nahwärmeanschluss zugenommen.
Es ist sicher schwer, angesichts der Fülle an Problemen Prioritätslisten aufzustellen nach dem Motto: Die Unterbringung ist wichtiger als Aufstellung eines Katastrophenschutzkonzepts. Wahrscheinlich müssen Sie es aber trotzdem tun. Gäbe es ein Beispiel, wie man da im Alltag vorgeht?
Richtig planbar ist seit langer Zeit nichts mehr, auch spätestens seit Beginn der Coronapandemie. Als die Vorschriften kamen, musste man viel improvisieren, in den Lockdown gehen, wieder geordnet raus. Da hatte man schon zu kämpfen, die anderen Aufgaben, die sich gestellt haben, zu erledigen. Da ist das eine oder andere ins Hintertreffen geraten, das ist klar, wenn die tagesaktuell wichtigen Dinge zu bearbeiten sind. Das ist mit dem Ukrainekrieg nicht einfacher geworden, wo man sich auf kommunaler Ebene um Folgeherausforderungen kümmern muss, die so auch nicht vorhersehbar waren und jede Planung durcheinanderwirbeln. Auch kommen von Bund und Land immer wieder neue Aufgaben hinzu, die es nicht leichter machen vor Ort. Der Tag hat 24 Stunden und da muss man Prioritäten setzen. Wenn jetzt Flüchtlinge nach Murrhardt kommen, dann ist die Unterbringung die erste Priorität, vor vielleicht anderen Aufgaben. Aber wir haben in Murrhardt keinen Stillstand, es läuft ja trotzdem recht vieles. Auch kommen ungeplant Themen dazu wie die Entwicklung des Schweizer-Areals. Das war auch nicht planbar. Nach der Insolvenz hat der Insolvenzverwalter der Schweizer Group die Fläche auf den Markt geworfen. Wir sind nun in der Bauleitplanung gefordert.
Zu einem anderen Thema: Katastrophenschutzkonzept. Können Sie umreißen, wie weit das schon gediehen ist?
Das ist in der finalen Phase, da sind wir mit der Süwag Energie AG aktuell dran, die so etwas als Dienstleistung anbietet. Angenommen, bei einem Blackout fällt der Strom eine Woche lang aus, dann wird das eine spannende Zeit. Wenn man sich klar macht, was alles mit Strom funktioniert, angefangen vom Geldautomaten, der nicht mehr geht, vom Mobilfunk, der ausfällt, weiter mit Zapfsäulen an der Tankstelle bis hin zu Eingangstüren an Supermärkten, die dann nicht mehr so ohne Weiteres auf und zu gehen.
Oder Toiletten.

© Stefan Bossow
Bürgermeister Armin Mößner hofft, dass im kommenden Jahr das Baugebiet Siegelsberg-Ost und der Turnhallenneubau gut abgeschlossen werden können und dass es beim Schweizer-Areal vorangeht. Foto: Stefan Bossow
Toiletten und Heizungssteuerungen, das sind ebenfalls Themen. Im Katastrophenfall müssen aber zuerst die lebensnotwendigen Bedürfnisse erfüllt werden und der Krisenstab aus Verwaltung und Feuerwehr muss handlungsfähig sein. Eine erste Maßnahme haben wir in Umsetzung, die Beschaffung einer Netzersatzanlage, um in der Festhalle eine entsprechende Anlaufstelle für die Bevölkerung zu haben, weil ja die Kommunikation schwer wird, wenn die Handys ab einer bestimmten Zeit nicht mehr funktionieren. Dann braucht man eine zentrale Anlaufstelle, wo die Dinge geklärt werden können.
Wann denken Sie, steht das Konzept?
Nächstes Frühjahr voraussichtlich. Die Stadtwerke haben ja im Wirtschaftsplan auch Netzersatzgeräte vorgesehen. Wie der Krisenstab funktioniert, da sind wir schon relativ weit. Wir hatten unlängst in der Festhalle eine Veranstaltung in Bezug auf eine Hochwasserkatastrophe und da haben wir dem Referenten unsere Unterlagen zur Gefahrenabwehr und zur Stabsarbeit gezeigt und er meinte: „Da seid ihr schon weit.“ Mit unserer Feuerwehr ist die Zusammenarbeit sehr gut und ich denke, da sind wir von den Strukturen her gewappnet. Allerdings lässt sich auch nicht alles vorbereiten. Jeder Katastrophenfall, jedes Hochwasser ist anders. Man muss dann einfach mit den Strukturen in der Lage sein, die Aufgaben, die sich stellen, zu bewältigen. Man muss aber auch sagen, es lässt sich nicht für alles Vorsorge treffen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die überlebensnotwendigen Bedürfnisse müssen befriedigt werden können und darauf baut der Notfallplan Stromausfall auf. Ansonsten greift auch die Eigenvorsorge.
Ein weiteres Thema sind die stark gestiegenen Flüchtlingszahlen. Haben Sie eine Planung für nächstes Jahr, wenn weitere Flüchtlinge in Murrhardt aufgenommen werden müssen?
Ja, ich denke, dass noch einige Dutzend Flüchtlinge dazukommen, die Zahlen sind jetzt schon für 2023 bekannt. Der Strom nimmt nicht ab, sondern tendenziell zu. Das heißt, dass der Kreis seine Zuweisungen bekommen wird und infolgedessen auch wir in den Städten und Gemeinden.
Muss man insofern auch mit Hallen planen, beispielsweise mit der alten Schulturnhalle?
Insofern das irgendwie geht, wollen wir das natürlich vermeiden, aber klar, die eigenen Möglichkeiten sind jetzt langsam ausgeschöpft. Ich hab das auch in meiner Haushaltsrede gesagt, bis Ende des Jahres gibt es noch eine gewisse Perspektive, aber wie es dann weitergeht, das ist schwierig. Jetzt überlegen wir, was wir tun könnten, denken auch über mögliche Containerstandorte nach, sprich dass die Stadt Container anmietet oder erwirbt und irgendwo aufstellt. Das wird Thema im Gemeinderat in Kürze sein. Aber die Aufgabe ist da und wir müssen sie erfüllen. Für mich fehlen aktuell allerdings Bestrebungen für eine bessere europäische Verteilung der Flüchtlingsströme aus der Ukraine und Begrenzungen über die wieder stärker genutzte Balkan-Route.
Gerd Linke, Fraktionsvorsitzender der MDAL/Die Grünen, hat bei seiner Haushaltsrede mehr Engagement beim Klima- und Umweltschutz angemahnt und kritisiert, dass die Verwaltung in der Hinsicht einfach zu langsam vorankommt. Auch im Zuge der Energiekrise wäre eine Ausstattung der städtischen Dächer mit Fotovoltaikanlagen gut. Gab es Überlegungen der Stadtverwaltung, da einen Turbo einzuschalten?
Wir sind da dran, es sind jetzt einige Fotovoltaikanlagen im Haushalt eingeplant und die wollen wir jetzt angehen. Insgesamt muss es darum gehen, unabhängiger zu werden und als Stadt die Energie, die wir in unseren Einrichtungen brauchen, auch möglichst selbst zu erzeugen. Im Haushalt stehen Mittel drin und es steht die Zusage, am Ende eine sinnvolle Umsetzung der geplanten Anlagen zu erreichen.
Gibt es auch einen Wunsch für die Umsetzung, also beispielsweise, dass man im März oder April eine Vorlage für den Gemeinderat präsentieren möchte?
Genau. Zum Jahresanfang übernehmen wir schon die Fotovoltaikanlage auf der Hörschbachschule von einer privaten Solargemeinschaft. Da ist jetzt die Vereinbarung ausgelaufen und wir als Stadt konnten die Anlage übernehmen. Die Module sind vor einiger Zeit alle noch mal neu ersetzt worden und wir wollen die Anlage zur Direkteinspeisung im Gebäude nutzen für den Verbrauch in der Schule. Und da sind wir auch bei vielen anderen städtischen Gebäuden dran, zu schauen, wo können wir mit Fotovoltaikanlagen diese Immobilien selbst versorgen und wollen da schon schneller vorankommen, das ist klar. Aber es muss sich auch in einer gewissen Zeit amortisieren und bei Norddächern, wo Fotovoltaik keinen Sinn macht oder wo die Statik der Dächer dies nicht erlaubt, müssen andere Lösungen in den Fokus.
Ein anderes Thema ist der Fachkräftemangel. Ist das für die Stadt auch ein Thema, sprich gibt es Stellen, die nicht besetzbar sind?
Wir merken das auch, vor allem bei den Kindergärten, wo sich der Fachkräftemangel bei den Erzieherinnen zeigt, wobei wir im Moment alle Stellen besetzt haben. Bei der Neueröffnung in einer Kita in Fornsbach hat es eine Weile gedauert, bis wir das Personal beieinandergehabt haben. Wir haben zunächst auch eine Mitarbeiterin, die in der Gesamtleitung arbeitet, miteinsetzen müssen und erst nach und nach konnte man das Personal gewinnen. In der Verwaltung merken wir es vor allem im technischen Bereich, auch bei den Stadtwerken, auch in Konkurrenz zu den Heizungs- und Sanitärinstallationsbetrieben. Und einen Breitbandkoordinator, jemanden auch mit Erfahrung im Tiefbau, haben wir gesucht und die Stelle nicht besetzen können und machen das jetzt mit bestehendem Personal.
Was man zurzeit verstärkt wahrnimmt, sind die Leerstände in der Innenstadt. Wie kann eine Stadtverwaltung da überhaupt unterstützen?
Wir sind schon vielschichtig mit dem Stadtmarketing unterwegs und begleiten Themen wie den Online-Marktplatz, wie den Einkaufsgutschein Murrtaler und unsere Innenstadtoffensive, die leider durch die Coronapandemie etwas gebremst wurde. Ich glaube, wir machen so viel wie kaum eine vergleichbare Kleinstadt in unserer Größe. Aber klar, der Strukturwandel ist in vollem Gange, das ist auch nicht nur ein Murrhardter Thema, sondern in vielen Städten und Gemeinden in ganz Baden-Württemberg. Der Online-Handel ist eine starke Konkurrenz, dem entgegenzuwirken ist ein schwieriges Terrain. Dennoch tut sich bei den Leerständen etwas. Im Bereich Marktplatzzufahrt haben neue Geschäfte und Dienstleister aufgemacht. Beim Lotto-Lädle geht es im neuen Jahr wohl weiter. In die ehemalige Kreissparkasse zieht nun das Notariat ein. Im Zuge der Innenstadtoffensive werden wir den Ansatz über sogenannte Pop-up-Stores forcieren und hier auch Unterstützung leisten.
Das heißt das wären Start-up- oder kleinere Unternehmen, die sich etwas aufbauen wollen.
Genau. Es geht um Leute mit guten, neuen Ideen und Ansätzen. Hier wäre eine gewisse Anschubförderung wichtig, vielleicht auch bei der Miete oder Ladeneinrichtung. So kann ausgelotet werden, ob sie am Markt bestehen.
Wenn Sie aufs nächste Jahr schauen, gibt es zwei oder drei Dinge, die Sie sich für Murrhardt oder für die Arbeit wünschen, also von den Projekten her, die Sie anpacken möchten?
Die Haushaltsplanung ist gemacht und im Gemeinderat beschlossen. Das ist unser Ausgabenprogramm fürs nächste Jahr.
Und da wollen Sie auch kein Projekt oder Ziel rausgreifen?
Gut, wir wollen die Turnhalle als unser größtes kommunales Bauvorhaben gut fertigbauen, damit wir sie möglichst gegen Ende des nächsten Jahres einweihen können. Das wäre ein wichtiges Thema. Wichtig ist es, mit der Entwicklung des Schweizer-Areals nach den Zielsetzungen im Gemeinderat weiterzukommen und die Bebauungspläne aufzustellen. So könnten auch Baugesuche eingereicht werden und man würde einen Fortschritt sehen. Somit wären auch erste vorbereitende Arbeiten beziehungsweise Abrissarbeiten möglich. Und dann ist da das Baugebiet Siegelsberg-Ost, wo wir nächstes Jahr die Erschließungsarbeiten abschließen. Die ersten Kaufverträge konnten wir noch im Dezember abschließen.
Das Gespräch führte Christine Schick.