Umstrittene Analysesoftware

Polizeisoftware vom Demokratiefeind?

Palantir-Gründer Peter Thiel steht auf Kriegsfuß mit der Demokratie. Zu deren umstrittenen Software gibt es längst Alternativen.

Das Logo des umstrittenen Software-Unternehmens Palantir im Schweizer Davos.

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Das Logo des umstrittenen Software-Unternehmens Palantir im Schweizer Davos.

Von Franz Feyder

Geht es nach dem Willen einiger Politiker und Polizeiführer, dann hilft das Computerprogramm „Gotham“ der Firma Palantir, schwere Verbrechen und Terroranschläge zu verhindern. Zumindest aber sie leichter aufzuklären und Hintergründe wie Hintermänner zu recherchieren. Wer der Meinung der Kritiker folgt, sieht eine Software, die in einen totalen Überwachungsstaat führt, weil „Gotham“ wie ein gigantischer Staubsauger Daten sammelt, sie analysiert und in Beziehung zueinander setzt.

Was kann das Programm „Gotham“?

Die Software ist eine spezielle Plattform von Palantir, die für die Anwendungen durch Sicherheitsbehörden entwickelt wurde. „Gotham“ sammelt dazu strukturierte Daten aus Datenbanken, Akten der Polizei und Nachrichtendiensten sowie unstrukturierte Daten aus Chatgruppen und Videos in sozialen Netzwerken, Emails und Veröffentlichungen im Internet. Diese Daten speichert das Programm nicht nur, es setzt sie auch in Beziehung zueinander: wer folgt wem in sozialen Netzwerken, wer hat welche Orte zur selben Zeit besucht, wer kennt wen. Das Programm erkennt, dass K. Müller identisch mit Karl M. ist. Wie genau „Gotham“ das macht, welche Algorithmen, dem zugrunde liegen, ist das Geheimnis der US-Firma Palantir. Unklar ist auch, wer letztendlich Zugriff auf die von „Gotham“ gesammelten Daten hat.

Welche Bundesländer nutzen „Gotham“ oder eine darauf basierende Version?

Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen nutzen von Palantir genutzte Software, die auf „Gotham“ basiert. Baden-Württemberg will sein Polizeigesetz verändern, um die Software einsetzen zu können. Der Landtag soll noch in diesem Sommer das geänderte Gesetz verabschieden. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will die Einführung für die Sicherheitsbehörden des Bundes prüfen lassen.

Was hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits zu Palantir-Software entschieden?

Einmal hat sich das oberste deutsche Gericht bislang mit Palantir beschäftigt. Am 23. Februar 2023 entschieden die Richterinnen und Richter zu zwei Klagen (1 BvR 1547/19 und 1 BvR 2634/20). In Hessen hatte eine Journalistin geklagt, dass die Polizei anlasslos, also ohne konkreten Verdacht oder eine Gefährdungslage, Daten sammelte. Es gab keine ausreichenden gesetzlichen Einschränkungen zum Datenumfang, zur Zweckbindung und zum Schutz unbeteiligter Personen, sodass die Gefahr bestand, massenhaft und undurchsichtig Profile ungezählter Menschen zu bilden. In Hamburg kritisierte ein Kläger dagegen, die vernetzte und automatisierte Datenverarbeitung ins Polizeigesetz geschrieben werden sollte, um eine Palantir-Software einführen zu können. Das BVerfG entschied, dass automatisierte Datenanalyse nur bei „konkretisierter Gefahr“ zulässig ist und der Gesetzgeber klare Grenzen dafür setzen muss, was analysiert wird, wer betroffen ist und wie zu protokollieren ist. Zum anderen entschieden die Richter, dass ausreichende Schutzvorkehrungen wie Transparenz und Zweckbindung in den Polizeigesetzen zu schaffen sind.

Wie sind die Erfahrungen deutscher Bundesländer mit Palantir-Software?

Einerseits lobt der bayrische Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Software, weil sie helfe nach einem möglichen Attentat schnell Daten auszuwerten. Ähnlich argumentiert auch die hessische Polizei. Gelobt wird zudem, dass die Software stabil liefe, Fehler schnell behoben würden, Systemfehler schnell erkannt und Updates rasch realisiert würden. Intern kritisieren Ermittler jedoch auch, dass sich bis zu sieben Mitarbeiter von Palantir in den Ermittlungsbehörden wie dem Landeskriminalamt Bayern aufhielten, aber niemand genau wisse, was diese Mitarbeiter genau machten. Die Techniker seien vom Landesamt für Verfassungsschutz überprüft worden und würden von Polizisten begleitet.

Gibt es Alternativen zur Software „Gotham“ des US-Unternehmens Palantir?

Es ist ein in Polizei- und Politikkreisen gepflegtes Narrativ, dass es keine Alternativen, insbesondere keine europäischen, zu „Gotham“ gebe. Das ist falsch. Aus einer Fülle von anderen Programmen sind besonders zwei hervorzuheben: Die Software DataWalk des polnischen Anbieters DataWalk S.A., das bereits von Banken, Versicherungen aber auch Behörden gerade in den USA genutzt wird. Es kostet zudem nur etwa 70 Prozent des Preises von Palantir. Zudem das Programm „ArgonOS“ des französischen Herstellers ChapsVision. Vor allem diese Software bietet gleichwertige oder sogar bessere Möglichkeiten, die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu befolgen. Eine Ethikkommission wacht darüber.

Ist die Software „Gotham“ für Richter transparent?

Die Algorithmen, also die Rechenwege von „Gotham“ sind vollkommen intransparent. Grundsätzlich aber müssen Richter nach Paragraph 244, Absatz 2 der Strafprozessordnung alle Beweise erheben, „die zur Erforschung der Wahrheit erforderlich sind“. Das bedeutet, dass Richter beurteilen können müssen, wie die vom Unternehmen geheim gehaltenen Algorithmen funktionieren, wo sie Daten im Detail erheben, wie sie sie verknüpfen und ob die Daten rechtmäßig erhoben wurden. Ganz konkret: Ordnet „Gotham“ oder ein darauf basierendes Programm einen Beschuldigten auf der Grundlage von gemeinsamen Aufenthaltsorten und besuchten SocialMedia-Konten einem Terrornetzwerk zu, muss für Richter nachvollziehbar sein, wie und warum „Gotham“ den Mann dem Netzwerk zuordnete. Ist das nicht möglich, weil Palantir diese Daten nicht offenlegt, dürften Richter zumindest zum Teil die Anklage zurückweisen oder Angeklagte in einzelnen Punkten freisprechen.

Was hat der Trump-Unterstützer Peter Thiel mit Palantir zu tun?

Der in Frankfurt geborene und in Südafrika und den USA aufgewachsene Peter Thiel gründete Palantir 2003 zusammen mit vier Freunden. Der 57-jährige befürwortet sehr intensiv starke staatliche Sicherheitsapparate, steht der öffentlichen Verwaltung und demokratischer Kontrolle skeptisch gegenüber und hat sich als Unterstützer konservativer bis rechtsextremer Gruppen hervorgetan. Der Milliardär hat starke Zweifel an der Demokratie als Regierungsform: „Ich glaube nicht mehr, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind.“ Operativ greift Thiel nicht in das Tagesgeschäft von Palantir ein. Er gilt aber weiterhin als einflussreicher, ideologischer Gründervater, Netzwerker und Kapitalgeber hinter dem Unternehmen.

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Erstellt:
6. August 2025, 15:08 Uhr

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