Realschulabsolventen werden gefeiert

Sie lassen Luftballons ziehen, später werden sie es selbst tun: die Zehntklässler, die ihren Abschluss in der Festhalle feierlich begangen haben – mit Rektorin Martina Mayer (rechts).

© Jörg Fiedler

Sie lassen Luftballons ziehen, später werden sie es selbst tun: die Zehntklässler, die ihren Abschluss in der Festhalle feierlich begangen haben – mit Rektorin Martina Mayer (rechts).

Von Christine Schick

MURRHARDT. Der Jahrgang 2021 hängt in Form von goldenen Luftballons an der linken Seitenwand der Festhalle, Absolventen, Eltern und Lehrer in Abendgarderobe finden sich nach und nach vor einer festlich geschmückten Bühne ein. Collagen der Schüler an den hinteren Seitenwänden erzählen von Themen wie Freundschaft, belastenden Situationen, Gedanken und Gefühlen, die mit der Schule und dem Übergang zum Erwachsenwerden zu tun haben. Der Abend ist ihnen gewidmet: den 23 Jugendlichen, die nun mit ihrer Mittleren Reife in der Tasche an der Schwelle eines neuen Lebensabschnitts stehen. Die Redebeiträge spiegeln die Anerkennung der besonderen Leistung unter sehr besonderen Umständen und blicken auf kommende Herausforderungen.

„Es ist ein Tag, um glücklich zu sein“, sagt Martina Mayer, Rektorin der Walterichschule. Sie sei beschwingt durch den Tag gegangen, die Feier zum ersten Realschulabschluss seit dem Start als Gemeinschaftsschule mache Mut nach einer Schulzeit im Ausnahmezustand inklusive vieler Sorgen, Wegfall von geliebten Gewohnheiten, Konflikten und immer neuer Coronaverordnungen. Nach sechs Jahren Begleitung gehe es für die Absolventen nun um die weitreichende Entscheidung, wie es weitergehen soll – mit Schule, Ausbildung oder vielleicht einem sozialen Jahr. „Dieser Übergang hat es in sich“, sagt Martina Mayer. Er sei mit Herausforderungen und Chancen verbunden und mit dem heutigen Zeugnis hielten die Absolventen einen wichtigen Puzzlestein dafür bereit.

„Das Leben und Lernen wird neue Gesichter bekommen“, so die Rektorin, beispielsweise um zu ermessen, was der Klimawandel bedeute, wie Aussagen von Querdenkern zu bewerten seien und Antworten auf Gewalt zu finden sein können. Keine kleine(n) Aufgabe(n). „Aber ihr lebt im Herzen Europas mit einer großen kulturellen Vielfalt“, sagt Mayer, und so seien Respekt und Toleranz im Umgang miteinander aus ihrer Sicht umso wichtigere Güter. Auch der bisherige Weg sei kein Zuckerschlecken gewesen. Viele denken dabei wohl als Erstes an die Feststellung „Corona hat uns ausgebremst“. „Die Pandemie hat die Sicherheit erschüttert, dass alles unentwegt so weiterläuft wie bisher. Aber diese Annahme war schon immer trügerisch.“ Martina Mayer sieht die Herausforderungen auch darin, sich bewusst zu machen, dass dies an manchen Punkten kritisch ist – die Natur weiter so ausbeuten wie bisher, bei gesellschaftlichen Konflikten weiter wegschauen oder sich vor der komplexen Arbeitswelt verschließen. Und sie macht in ihrer nachdenklichen, empathischen Rede Mut: das eigene Leben zu gestalten, all das nun noch bewusster und freier erleben zu können. „Glück ist nicht das perfekte Leben, aber es lohnt sich, dabei zu sein, trotz Niederlagen.“ Für sie hat das Glück viele Gesichter: eine Liebe, eine Freundschaft, wieder gesund oder umsorgt zu werden und der Stolz auf die eigenen Leistungen. Martina Mayer lässt keinen Zweifel daran, dass die Absolventen stolz auf das sein können, was sie nicht trotz, aber mit Corona geleistet haben, und schließt in diese Würdigung auch den Dank an die Lehrer mit ein, die sie dabei begleitet haben. „Ich wünsche euch alles erdenklich Gute, wo immer ihr auch landen werdet.“

Für Bürgermeister Armin Mößner schließt sich am Abend ein Kreis: Das, was 2012 mit ersten konzeptionellen Überlegungen begann und später im Startschuss für die Gemeinschaftsschule mündete, könne heute mit den Absolventen der ersten 10. Klasse der Walterichschule gefeiert werden. Auch er würdigte diese Leistung vor dem Hintergrund eines Schuljahrs mit vielen Hürden wie langer Ausfall des Präsenzunterrichts und Homeschooling. Jetzt müsse jeder als Einzelner seinen Weg finden. Für die einen hieße es, ins erfrischend kalte Wasser einer Berufsausbildung zu springen, für die anderen, weiter auf die Schule zu gehen. „Das Tor steht weit offen“, sagt Mößner, das Leben werde freier, aber es gelte, die nächsten Schritte mit Klugheit anzugehen.

Diesen Aspekt greift auch Isabel Weindorf vom Elternbeirat auf. Für sie kommt es im Leben vor allem darauf an, kluge Entscheidungen zu treffen. Die Notwendigkeit und Taktung wachse mit steigenden Angeboten. Wer kann also unterstützen, gute Entscheidungen zu fällen? Für Isabel Weindorf sind dies die eigene Erfahrung, Wissen und Bildung sowie Lehrer und Eltern. „Feinde in dieser Hinsicht sind Zeitdruck und Angst“, sagt sie, auch ein starkes Auseinanderklaffen von Wunsch und Wirklichkeit stünde einer klugen Entscheidung im Wege. Aber wenn es auch mal nicht klappe, hieße es, das Training nicht einzustellen, die Krone zu richten und weiterzumachen.

Gute Laune machten die selbstbewussten und humorvollen Resümees von Michelle Jacqueline Dahlstrom, Nisa Yesilay und Angelina Gruschka, die für die 10a sprachen. „Ich möchte erst mal uns selbst gratulieren, dass wir das erfolgreich überstanden haben. Wir können stolz auf uns sein“, meint Michelle Jacqueline Dahlstrom. Sie bedankt sich gleichzeitig für die grenzenlose Geduld ihrer Lehrer, die ihre Klasse – manchmal laut, unaufmerksam und mit ganz anderen Dingen beschäftigt – gut auf die Prüfungen vorbereitet hätten.

„Sie haben immer an uns geglaubt und engagiert mit uns diskutiert“, formuliert Nisa Yesilay ihr Lob. Jetzt beginne eine Zeit, Erfahrungen zu sammeln, und sie sei gespannt, wie es in zehn Jahren mit den teils gar nicht so kleinen Zielen aussehe. „Corona hat uns viel genommen, unseren Abschlussball, unsere Abschlussfahrt“, sagt Angelina Gruschka. Vielen von ihnen sei es psychisch nicht gut gegangen in dieser Zeit. Trotzdem. Schließlich werde es immer Musik und neue, spannende Dinge geben, und mal ehrlich – „das Leben ist echt spektakulär“, stellt sie fest und schließt mit einem Abschiedsgruß: „Ich wünsche euch ein wundervolles Leben!“

Klassenlehrer Michael Horny, der bei der Zeugnisübergabe jedem Einzelnen gemeinsam mit Rektorin Martina Mayer nochmals gratuliert, lässt keinen Zweifel daran, dass ihm seine Zehner ans Herz gewachsen sind. Etwa je ein Drittel der Absolventen hat sich fürs Gymnasium, eine Ausbildung oder die Berufsfachschule beziehungsweise das Berufskolleg entschieden.

Rektorin Martina Mayer,
bei der Abschlussfeier der Realschüler „Die Pandemie hat die Sicherheit erschüttert, dass alles unentwegt so weiterläuft wie bisher. Aber diese Annahme war schon immer trügerisch.“
Die Absolventen mit ihrem Mittlere-Reife-Zeugnis und Klassenlehrer Michael Horny (rechts). Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Die Absolventen mit ihrem Mittlere-Reife-Zeugnis und Klassenlehrer Michael Horny (rechts). Fotos: J. Fiedler

Abschluss und Auszeichnung

Den Realschulabschluss haben nun 23 Absolventen in der Tasche, einige mit Belobigung und Preisen. Eine Belobigung erhalten sie bei einem Notendurchschnitt bis 2,3, einen Preis bei einem bis 1,8. Die evangelische Kirche verleiht den Paul-Schrempp-Preis bei der Note eins im Fach Religion.

Die Absolventen sind Mohammed Ahmed, Konstantinos Basios, Timon Döring, Nikolaos Erntes, Filip Garic, Phil Henry Horrmann, Mose-Lee Jerger, Erkan Lacin, Pascal Marc Prigl, Fynn Jona Schuler, Eric Tapodi, Giorgi Tsiklauri, Luisa Blank, Michelle Jacqueline Dahlstrom, Angelina Gruschka (Belobigung und Paul-Schrempp-Preis), Kimberly Iwuoha, Aylin Lacin (Belobigung), Reyyan Murat, Melissza Peter, Ioanna Schuster, Lene Schütt (Preis mit Note 1,7, beste Schülerin und Kirchenbezirkspreis), Lisa-Marie Emily Strobel (Belobigung) und Nisa Nur Yesilay.

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Erstellt:
23. Juli 2021, 06:00 Uhr

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