Sprache der Hunnen
Schrecken der Antike: Die Hunnen hatten altsibirische Wurzeln
Von wegen türkische Wurzen: Eine sprachwissenschaftliche Studie belegt eine gemeinsame paläosibirische Sprache der europäischen Hunnen und ihrer asiatischen Vorfahren.

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„Attila, König der Hunnen“, Gemälde von Ulpiano Checa, 1887.
Von Markus Brauer
„Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“
Der deutsche Kaiser Wilhelm II. nahm in seiner berühmt-berüchtigten „Hunnenrede“, die er am 27. Juli 1900 in Bremerhaven hielt, kein Blatt vor den Mund. Anlässlich der Verabschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes im Kaiserreich China griff Wilhelm II. zu drastischen Worten. Der Hohenzoller erinnerte an das nomadische Reitervolk, das vor 1600 Jahren Europa in Angst und Schrecken versetzte.
Welche Sprache hatten die Hunnen?
Wild trieben es die alten Hunnen, wie in der gleichnamigen italienischen Historienkomödie aus dem Jahr 1982, zu sehen ist. Doch in welcher Sprache unterhielten sich die gefürchteten Reiterkrieger aus Asien? Eine neue Studie zeigt, dass die europäischen Hunnen paläosibirische Vorfahren hatten und nicht, wie bislang angenommen, auf türkischsprachige Gruppen zurückgehen.
Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Untersuchung von Svenja Bonmann am Institut für Linguistik der Universität zu Köln und Simon Fries an der Faculty of Classics und der Faculty of Linguistics, Philology and Phonetics der englischen Universität Oxford. Die Untersuchung ist im Fachjournal „Transactions of the Philological Society“ erschienen.
Die Wissenschaftler rekonstruierten aus verschiedenen sprachlichen Quellen, dass der ethnische Kern der Hunnen – darunter Attila und seine europäische Herrscherdynastie – und ihre asiatischen Vorfahren – die sogenannten Xiongnu – eine gemeinsame Sprache teilten.
Diese Sprache gehörte zur Gruppe der jenissejischen Sprachen, einer Untergruppe der paläosibirischen Sprachen. Diese Sprachen wurden in Sibirien vor dem Eindringen uralischer, türkischer und tungusischer Ethnien gesprochen. Noch heute gibt es kleinere Gruppen am Ufer des Flusses Jenissei in Russland, die eine jenissejische Sprache sprechen.
Multiethnisches Reich der Hunnen in Südosteuropa
Die Xiongnu bildeten vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zum zweiten Jahrhundert n. Chr. eine lose Stammeskonföderation in Innerasien. Vor einigen Jahren legten archäologische Arbeiten in der Mongolei eine Stadt frei, die wahrscheinlich die Hauptstadt des Xiongnu-Reiches Long Cheng ist.
Die Hunnen etablierten ihrerseits vom vierten bis fünften Jahrhundert n. Chr. ein relativ kurzlebiges, aber einflussreiches multiethnisches Reich in Südosteuropa. Dass sie aus Innerasien stammten, ist wissenschaftlich anerkannt. Doch ihre ethnischen und sprachlichen Ursprünge waren bislang umstritten, da keine schriftlichen Dokumente in ihrer eigenen Sprache erhalten sind.
Viele Erkenntnisse über die Hunnen und die Xiongnu stützen sich daher auf Schriftdokumente über sie in anderen Sprachen, die Bezeichnung „Xiōng-nú“ stammt etwa aus dem Chinesischen.
Hunnen sprachen Alt-Arinisch
Ab dem siebten Jahrhundert n.Ch. expandierten türkische Völker westwärts. Daher vermutete man, dass auch die Xiongnu und der ethnische Kern der Hunnen, deren Expansion einige Jahrhunderte zurücklag, eine Turksprache sprachen.
Bonmann und Fries haben jedoch unterschiedliche linguistische Anhaltspunkte dafür gefunden, dass diese Gruppen ungefähr zur Zeitenwende in Innerasien eine frühe Form des Arinischen, einer jenissejischen Sprache, gesprochen haben.
„Das war lange, bevor die Turkvölker nach Innerasien wanderten und zeitlich sogar noch vor der Aufspaltung des Urtürkischen in mehrere Tochtersprachen. Diese alt-arinische Sprache beeinflusste sogar ihrerseits die frühen Turksprachen und verfügte über ein gewisses Prestige in Innerasien. Dies impliziert, dass es sich beim Alt-Arinischen wohl um die Muttersprache der Herrscherdynastie der Xiongnu handelte“, erklärt Svenja Bonmann von der Universität zu Köln.
Atilla, der schnelle Hunnenkönig
Bonmann und Fries werteten linguistische Daten aus, die auf Lehnwörtern, Glossen in chinesischen Texten, Eigennamen der hunnischen Herrscherdynastie sowie Orts- und Gewässernamen beruhen. Die Ergebnisse lassen keinen anderen Schluss zu, als dass sowohl die Herrscherdynastie der Xiongnu als auch der ethnische Kern der Hunnen Alt-Arinisch sprachen.
Attila der Hunnenkönig trägt wohl ebenfalls einen alt-arinischen Namen: Bislang hielt man „Attila“ für eine germanische Wortschöpfung („Väterchen“). Doch könne laut der neuen Studie „Attila“ auch als jenissejischer Beiname mit der ungefähren Bedeutung „der Schnelle“, „der Rache“ interpretiert werden.
„Unsere Studie zeigt, dass die Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft neben der Archäologie und der Genetik eine wesentliche Rolle bei der Erforschung der menschlichen Geschichte spielt“, resümiert Simon Fries von der Universität Oxford. „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse weitere Forschungen zur Geschichte der weniger bekannten Sprachen anregen und damit zu unserem Verständnis der sprachlichen Entwicklung der Menschheit beitragen.“