Prozess um die Prinz-Reuß-Gruppe

Razzia in Reutlingen: SEK-Beamten in Notwehr angeschossen?

Im März 2023 eskalierte eine Razzia des Bundeskriminalamtes in Reutlingen: Ein mutmaßlicher Rechtsterrorist schoss auf SEK-Polizisten, verletzte einen schwer. Er habe in Notwehr gehandelt, sind die Verteidiger des in Stuttgart Angeklagten überzeugt.

Bei einer Durchsuchung im Auftrag der Bundesanwaltschaft ist im baden-württembergischen Reutlingen ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) durch einen Schuss verletzt worden.

© dpa/Julian Rettig

Bei einer Durchsuchung im Auftrag der Bundesanwaltschaft ist im baden-württembergischen Reutlingen ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) durch einen Schuss verletzt worden.

Von Franz Feyder

Verteidigerin Buket Yilderiz-Özdemir freut sich. Sie juxt mit den Juristen an den weißen Schreibtischen in der Reihe vor ihr, schmunzelt, nickt mit dem Kopf. Schräg links vor ihr, zehn Meter entfernt, schildert gerade eine Ärztin, welche Folgen der Schuss haben könnte, der den rechten Ellbogen eines Polizeibeamten zertrümmerte: „Eine plötzlich, eine unvermittelt auf ihn zu federnde Tür könnte zur Gefahr für ihn werden. Sie abzufangen wird ihm Schmerzen bereiten und vielleicht auch neue Schäden hervorrufen.“ Yilderiz-Özdemirs Mitverteidiger Holger Böltz protokolliert penibel die Aussage der Sachverständigen.

Im Rücken der beiden Juristen, hinter einer dicken Glasscheibe: Markus L. aus Reutlingen. Er lieferte sich – dokumentiert in Einsatzvideos – mit Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) am frühen Morgen des 22. März 2023 in seiner Heimatstadt einen Schusswechsel. L.s Wohnung sollten Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) durchsuchen. Sie wollten wissen, inwieweit sich ein Netzwerk um Heinrich XIII. Prinz Reuß militarisierte. Der Generalbundesanwalt wirft der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe vor, Hochverrat begangen zu haben.

Einer, der dazu gehört haben soll: Markus L., damals ein Zeuge, bei dem durchsucht werden sollte: Um „Anhaltspunkte dafür zu finden, das L. zusammen mit weiteren, mutmaßlich den Ermittlungsbehörden noch unbekannte Mitglieder der Vereinigung konkrete Strukturen schuf, um die Planungen für die gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse in Deutschland voranzutreiben“ – schrieb ein Richter des Bundesgerichtshofes. Ausdrücklich auch, dass L. die Möglichkeit habe, die Durchsuchung abzuwenden, indem er die gesuchten Gegenstände und Unterlagen freiwillig herausgab.

Bekannt war, dass L. legal über zahlreiche Waffen und Munition verfügte. Er eine Erlaubnis hatte, mit Sprengstoff zu hantieren. Das SEK wurde deshalb hinzugezogen: Es sollte die Wohnung öffnen, L. sichern und ihn an das BKA übergeben. Dessen Kriminale – so der Plan – sollten dann über die Razzia informieren; Wohnung, Keller, Garage und Auto L.s durchsuchen.

Eine schwierige Ausgangslage: Denn in seiner Wohnung hortete L. außer seinen legalen auch eine Fülle illegal erworbener Waffen und Bauteile. So fand sich ein Maschinengewehr, an dem herumgebastelt worden war – mutmaßlich, um es in eine scharfe Waffe zu verwandeln, sagte ein Sachverständiger aus. Wie realistisch, wie lebensnah ist es, dass Markus L. in so einer Situation freiwillig das herausgibt, was der BGH-Richter angeordnet hat? Zumal das im Durchsuchungsbeschluss so unkonkret formuliert ist, dass es – Abwendung hin, Abwendung her – in jedem Fall zu einer Durchsuchung gekommen wäre. Denn es wurde nicht konkret nach einem Familienerbstück, Ring, blauer Diamant, 28 Karat, lupenrein, runder Schliff, gesucht.

Sondern „nach Unterlagen, die die personelle Zusammensetzung und Struktur dieser Vereinigung belegen könnten. Aber auch nach Waffen und Militärausrüstung, da ja bekannt war, dass sie dabei waren, einen militärischen Arm aufzubauen“ sagte Martin D. vergangene Woche vor dem Oberlandesgericht Stuttgart aus. D., 36 Jahre alt, Kriminalhauptkommissar, verantwortete für das BKA den Einsatz in Reutlingen vor Ort. „Interessant“ nuschelte Jurist Böltz da sofort: An diesem Montag beantragte der Tübinger Jurist, die Aussagen sämtlicher Zeugen und Sachverständigen zu Waffen, Waffenteilen, Munition und Sprengstoff im bisherigen Verfahren nicht als Beweis zu verwerten. Denn die „Durchsuchung habe sich entgegen den Vorgaben Beschlusses des BGH auch darauf gerichtet“, Waffen aufzufinden und zu beschlagnahmen, so habe es der BKA-Mann vor Gericht ausgesagt. Die Verteidigungsstrategie dahinter: L. habe in Notwehr gehandelt, als er auf die SEKler schoss: Die Razzia sei unrechtmäßig gewesen, weil sie so im Dursuchungsbeschluss des BGH nicht vorgesehen gewesen sei.

Die Richter dürften durch ihr Urteil den Antrag entscheiden

Auswirkungen auf das weitere Verfahren in Stuttgart dürfte dieser Antrag kaum haben: Richter sprechen durch ihre Urteile – in dessen Begründung ist dann zu lesen, ob und wie sie einzelne Beweise bewertet und gewichtet haben. Böltz‘ Kollegin Yilderiz-Özdemir will zudem den im BKA für die zahlreichen Durchsuchungen am selben Tag verantwortlichen Polizeiführer als Zeugen nach Stuttgart geholt wissen. Außer in Reutlingen wurde am 22. März 2023 auch an weiteren Orten im In- und Ausland durchsucht. Deshalb, so der promovierte Kriminaldirektor in einer schriftlichen Erklärung für das Gericht, wurde die Alternative verworfen, die der Einsatzleiter des SEK favorisierte: L. auf dem Weg zur oder von der Arbeit zu stellen und dann dem BKA zu übergeben.

Zufall, dass die Verteidigerin Bezüge zum NS-Staat herstellt?

Für die Karlsruher Anwältin Yilderiz-Özdemir wurde „durch das BKA in Absprache mit der Generalbundesanwaltschaft für die Durchsuchungsmaßnahmen bewusst ein öffentlichkeitswirksames Vorgehen in Form des Einsatzes eines SEK […] gewählt, um der Öffentlichkeit den Eindruck einer besonderen Gefährlichkeit des Herrn L. sowie generell der Reichsbürger- beziehungsweise Selbstverwalterszene zu vermitteln. Hierbei wurde eine Eskalation bewusst in Kauf genommen.“

Die Juristin spricht in ihrem Beweisantrag durchgängig von einem „Sondereinsatzkommando“ statt den in demokratischen Rechtsstaaten verwendeten Begriff „Spezialeinsatzkommando“ zu verwenden. Auch etliche ihrer 17 Verteidigerkollegen sprachen im bisherigen Verfahren von „Sondereinsatzkommando“. Dieser Begriff ist eng mit dem Namen des früheren SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann verbunden. Er plante seit 1941 sämtliche Transporte von Jüdinnen und Juden in Ghettos, Polizei-, Konzentrations- und Vernichtungslager wie Auschwitz und Treblinka. Sein „Sondereinsatzkommando Eichmann“, eine Einheit der SS, hatte 1944 den Auftrag, „die ungarischen Juden aus dem öffentlichen Leben auszuschalten und zu konzentrieren, danach zu deportieren und sie mit Ausnahme der voll Arbeitsfähigen zu vernichten“, wie es im August 1965 im Urteil des Landgerichts Frankfurt im sogenannten Auschwitz-Prozess heißt.

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Erstellt:
27. November 2024, 07:16 Uhr
Aktualisiert:
29. November 2024, 16:53 Uhr

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