Arbeitszeit und Feiertage
Sind die Deutschen faul?
Der Kanzler fordert mehr Leistungsbereitschaft, zudem wird diskutiert, ob es zu viele Feiertage gibt. Was ist dran am Bild des faulen deutschen Arbeitnehmers?

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In Deutschland sind mehr Menschen arbeitstätig als je zuvor.
Von Michael Bosch
Wird in Deutschland zu wenig gearbeitet? Sind die Arbeitnehmer hierzulande gar faul? Diesen Eindruck konnte man zuletzt durchaus bekommen, wenn man den Ausführungen von Wirtschaftspolitikern der Union und Bundeskanzler Friedrich Merz folgte.
„Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“, hatte Merz in seiner ersten Regierungserklärung gesagt. Auch sein Kanzleramtsminister Torsten Frei blies später ins selbe Horn. „Wir müssen wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, erklärte Merz.
Diskussion über Feiertage in Deutschland
Auch einen Feiertag zu streichen, um so die Wirtschaftsleistung zu steigern, ist im Gespräch. Der schwäbische Unternehmer Wolfgang Grupp hält davon übrigens nichts. Er plädiert für mehr Anreize, die Mehr-Arbeit attraktiver machen. Sind die Deutschen faul geworden? Und muss hierzulande wieder mehr gearbeitet werden?
Wie so oft, kommt es auf den Blickwinkel an. Einerseits zeigen neue Zahlen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), dass in anderen Ländern deutlich mehr gearbeitet wird – zumindest was die reine Stundenanzahl anbelangt.
Vergleich mit anderen Ländern
Demnach kamen die Deutschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren durchschnittlich auf 1036 Stunden im Jahr, ein Grieche auf 1172 Stunden, ein Pole auf 1304 Stunden.
Spitzenreiter ist Neuseeland, ein Einwohner im erwerbsfähigen Alter arbeitet dort im Schnitt 1393 Stunden. Im Vergleich aller OECD-Länder belegt Deutschland den drittletzten Platz. Nur in Frankreich (rund 1027 Stunden) und Belgien (rund 1021 Stunden) wurden durchschnittlich noch weniger Arbeitsstunden geleistet.
Wie viel arbeiten die Deutschen – und ist das zu wenig?
Die Zahlen, die aus dem Jahr 2023 stammen, zeigen auch: In den zehn Jahren zuvor ist die durchschnittliche Arbeitszeit in den meisten Industrienationen deutlich angestiegen – in Deutschland nur leicht. Allerdings: Das IW hatte bei früheren Erhebungen auch schon eingeräumt, dass die verschiedenen Länder nur bedingt vergleichbar seien.
Andererseits arbeiten in Deutschland insgesamt so viel Frauen und Männer wie nie zuvor. 2024 waren vier Millionen Arbeitnehmer mehr beschäftigt als vor zehn Jahren. Die Zahl der „abhängigen Beschäftigen“ belief sich im vergangene Jahr auf 42,31 Millionen Personen. Das geht aus Zahlen des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.
Im vergangenen Jahr haben die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer rund 55 Milliarden Stunden bei der Arbeit verbracht. In den Nullerjahren waren es konstant unter 50 Milliarden.
Was ist mit der Produktivität?
Überdies sagt die reine Zahl der Arbeitsstunden noch nichts über die Produktivität – also das, was Menschen bei Arbeit tatsächlich schaffen – aus. Laut Statistiken der Arbeitsorganisation ILO rangiert Deutschland dabei deutlich vor Ländern wie Spanien, Griechenland oder Polen.
Die Zahl der Überstunden ist in Deutschland zuletzt laut dem Gewerkschaftsbund (DGB) zurückgegangen, bewege sich aber nach wie vor „weiter auf einem hohen Niveau“. Das betreffe auch die unbezahlten Überstunden.
Auffällig ist zudem ein weiterer Punkt: Die Vollzeitbeschäftigten arbeiten insgesamt weniger, auch gibt es weniger Selbstständige. Hingegen arbeiten in Deutschland immer mehr Menschen in Teilzeit – und das häufig auch mit einer besonders geringen Wochenarbeitszeit von 25 Stunden oder weniger. Elf Prozent der berufstätigen Männer arbeiten derzeit „reduziert“, bei den Frauen sind es 49 Prozent.
Das hat vermutlich selten mit fehlendem Fleiß zu tun, sondern weil es nicht anders geht. Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege von Angehörigen – die Gründe können vielfältig sein.
Steuertarif: Mehrarbeit in vielen Fällen unattraktiv
An diesem Punkt anzusetzen, das hält auch das IW für sinnvoll. „Der steile Steuertarif bei mittleren Einkommen macht Mehrarbeit in vielen Fällen unattraktiv“, heißt es dort. Was die Feiertage angeht, spricht sich das IW ebenfalls dafür aus, diese abzuschaffen. Mit der Abschaffung eines Feiertages könne die Wirtschaftsleistung „sehr kurzfristig und effektiv“ erhöht werden, sagte IW-Chef Michael Hüther den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Das sehen allerdings nicht alle so: Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sprach sich beispielsweise dagegen aus. Der Arbeitskräftemangel werde nicht durch weniger Feiertage gelöst, sondern durch mehr Zuwanderung und den Abbau von Hürden für die Erwerbstätigkeit von Frauen und Geflüchteten, argumentierte Fratzscher.