Das Leben der „Sandwich-Kinder“

Sind mittlere Kinder wirklich die Benachteiligten?

Das pflichtbewusste Erstgeborene, das charmante Nesthäkchen – und dazwischen das mittlere Kind. Aber wie leben die „Sandwich-Kinder“? Werden sie wirklich übersehen?

Im Sandwich zwischen einer großen und einer kleinen Schwester – wie findet das mittlere Kind seinen Platz?

© Adobe Stock/Eagreez

Im Sandwich zwischen einer großen und einer kleinen Schwester – wie findet das mittlere Kind seinen Platz?

Von Tanja Capuana

Das Erstgeborene ist pflichtbewusst, aber kontrollierend, das Nesthäkchen charmant und verwöhnt. Und die mittleren Kinder benötigen besonders viel Anerkennung, da sie häufig nebenherlaufen. Beim Thema Geburtenfolgen gibt es zahlreiche Klischees, was die Charaktereigenschaften der Kinder angeht.

Vor allem über die sogenannten Sandwich-Kinder ranken sich viele Vorurteile: etwa, dass sie es tendenziell schwerer im Leben haben. Denn während Eltern die großen Geschwister oft ernster nehmen als die mittleren Kinder, verhätscheln sie gleichzeitig die Kleinsten. Die Kinder in der Mitte genießen daher weniger Privilegien als die Großen, aber gleichzeitig können sie sich nicht so viel Narrenfreiheit wie die Jüngsten erlauben.

Keine böse Absicht der Eltern

Die Mannheimer Diplom-Psychologin Sonja Tolevski findet diesen Diskurs spannend. „Man sagt ja einerseits, dass die mittleren Kinder super vernachlässigt sind und andererseits sagt man aber auch, dass sie sehr früh nicht mehr so abhängig sind vom Zuspruch von Eltern, weil es einfach nicht geht.“ Das liegt nicht zuletzt an der Familienentwicklung, erklärt sie.

Die Erziehungsberechtigten beschäftigen sich überwiegend mit den Älteren, weil sie als erste neue Wege einschlagen, etwa mit der Einschulung. Die Jüngeren dagegen gelten als niedlich und bekommen die meiste Zeit und Aufmerksamkeit, weil sie diese auch benötigen. Dass die Bedürfnisse der mittleren Kinder in diesem Konstrukt häufig untergehen, sei keine böse Absicht, sondern habe vor allem damit zu tun, dass Eltern lediglich eine begrenzte Menge an Zeit zur Verfügung steht, so die Therapeutin.

Sie legen sich besonders ins Zeug

Gehen sie innerhalb der Familie unter, reagieren die Sandwich-Kinder auf verschiedene Arten und Weise: In jungen Jahren können sie nicht nachvollziehen, dass ihre Eltern ihnen weniger Zeit schenken, sagt die Psychologin. Dies kann positive aber auch negative Folgen für diverse Bereiche ihres Erwachsenenlebens haben: Viele mittlere Kinder nehmen die geringere Aufmerksamkeit persönlich und wollen sich besonders ins Zeug legen, um dagegenzuwirken. Andere neigen dazu, bei Streit als Mediator zwischen den Parteien vermitteln zu wollen. Manche werden unabhängiger, andere auffällig, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, so Tolevski.

In der Liebe könnte sich das später niederschlagen, wenn Menschen darunter leiden, in der Kindheit zu wenig Aufmerksamkeit bekommen zu haben, und dies mit der Partnerschaft kompensieren wollen: „Die Entwicklung kann sich in einer Bedürftigkeit auswirken, wenn sie einen Partner suchen, der eben besonders fürsorglich ist.“ Doch dadurch begeben sie sich erst recht in eine Abhängigkeit, betont Tolevski.

Im Berufsleben profitieren

Doch ein Sandwich-Kind zu sein, kann auch Vorteile mit sich bringen. In Liebesbeziehungen könne die hohe Unabhängigkeit nämlich auch dafür sorgen, dass sie sich davon freigeschaufelt haben, auf Anerkennung oder Zuspruch zu warten. „Dadurch können sie nicht vom Partner erpresst werden und machen das sogenannte Katz-und-Maus-Spiel um Zuneigung nicht mit“, sagt die Expertin.

Auch im Berufsleben profitieren viele mittlere Kinder von Eigenschaften, die sie sich durch ein Defizit an Aufmerksamkeit angeeignet haben: „Manchmal sind sie viel kreativer als die Geschwister und suchen sich neue Felder, weil sie einfach wissen, sie müssen etwas anderes leisten als die Großen oder die Kleinen. Sie machen oft ihr eigenes Ding.“ Sie werden zudem oft aufmerksamer beziehungsweise empathischer, um schneller zu erfassen, was um sie herum passiert.

„Eine kleine Herausforderung“

Laura White ist ein Sandwich-Kind: Sie hat eine zwei Jahre ältere Schwester und einen Bruder, der sieben Jahre jünger ist als sie. „Ich denke, an den häufigen Vorstellungen ist etwas Wahres dran“, sagt die 42-Jährige. „Viele mittlere Kinder haben wahrscheinlich das Gefühl, übersehen zu werden.“ Bei ihr sei das jedoch nicht der Fall gewesen, sagt die Ehefrau und Mutter von zwei Kindern.

„Ich glaube dennoch, die meisten mittleren Kinder werden unabhängiger und lernen, ausdrucksstärker zu sein.“ Zudem komme es natürlich oft auf die jeweiligen Familien an: „Manche Eltern geben sich wirklich Mühe, allen Kindern die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken – das ist nicht immer der Fall.“

Sie sagt: „Ich denke, in gewisser Weise war es eine kleine Herausforderung, weil ich immer das Gefühl hatte, dass ich meinen eigenen Platz zwischen meinem älteren und jüngeren Bruder finden musste. Aber gleichzeitig hat es mir geholfen, viel unabhängiger und anpassungsfähiger zu werden.“ Ihre Persönlichkeit habe die Geburtenfolge daher definitiv geprägt.

Neutraler, besonders den Geschwistern gegenüber

Außerdem habe White gelernt, mit verschiedenen Charaktertypen auszukommen – auch innerhalb der Familie. „Ich bin neutraler und ergreife keine Partei, vor allem, wenn es etwa um meine Geschwister geht“, erzählt sie. Sie versuche aber dennoch, zwischen den Parteien zu vermitteln.

Das Verhältnis zu ihren Eltern und ihrem Bruder sei gut. „Meine Eltern haben mich immer unterstützt und man kann gut mit ihnen reden. Ich schätze die Werte, die sie mir vermittelt haben.“ Sie sei zudem sehr familienorientiert. Die Beziehung zu ihrer großen Schwester sei jedoch schon immer schwierig gewesen. „Sie wollte immer im Mittelpunkt stehen“, erzählt sie.

Kein Kampf um Aufmerksamkeit

Als die heute 42-Jährige eine Ausbildung zur Friseurin machte, wollte ihre Schwester es ihr gleichtun und bewarb sich im gleichen Salon. Die Betreiber wollten wissen, ob es für sie okay wäre, mit ihrer Schwester zusammenzuarbeiten. Da sie erklärte, dass sie nicht gut mit ihr auskäme, stellten sie die inzwischen 44-Jährige nicht ein. Auch ihren Junggesellinnenabschied habe die große Schwester ihr verdorben, erzählt sie.

Die Friseurmeisterin ist dennoch glücklich, ein Sandwich-Kind zu sein, und hätte nie mit ihren Geschwistern tauschen wollen, verrät sie. „Ich bin unabhängig, verstehe mich mit jedem und habe nicht das Gefühl, um Aufmerksamkeit kämpfen zu müssen“, sagt sie. „Es ist irgendwie auch schön, das mittlere Kind zu sein.“

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Erstellt:
22. November 2025, 07:40 Uhr

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