Union
Merz und Unionsjugend im Rentenkonflikt - und nun?
Die JU bejubelt Kritiker und schweigt bei Merz: Im Streit ums Rentenpaket kracht es zwischen Parteinachwuchs und Kanzler. Was das für das Vorhaben und die Koalition bedeutet.
© Philipp von Ditfurth/dpa
Redete dem Parteinachwuchs nicht gerade nach dem Mund: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).
Von Von David Nau und Michael Donhauser, dpa
Rust - Bislang war die Junge Union für den Kanzler eine sichere Machtbasis. Im Wahlkampf klebte der Parteinachwuchs unermüdlich Plakate und stand bei Wind und Wetter an der Seite von Friedrich Merz. Doch der Streit um das Rentenpaket der Regierung entzweit beide Seiten: Beim Deutschlandtag der JU wird es bei der Rede des Kanzlers erst immer stiller, in der Aussprache bekommt er dann kaum noch Applaus. Kritische Fragen der Delegierten werden hingegen frenetisch bejubelt. Kann die JU, die mehrere Bundestagsabgeordnete stellt, das Vorhaben kippen?
Der Kanzler stellte sich in seiner Rede am Samstag im südbadischen Rust hinter den Gesetzentwurf seiner schwarz-roten Koalition und damit gegen den Parteinachwuchs. Der fühlte sich vom Kanzler regelrecht abgekanzelt und will an seiner Ablehnung des Gesetzespakets festhalten. Und CSU-Chef Markus Söder, in der Union ein wichtiger Machtfaktor? Er trat einen Tag nach Merz am Sonntag am selben Ort auf - und zeigte gleichermaßen Verständnis für Merz und die Kritik der Jungen.
Worum geht es beim Streit?
Im Zentrum steht die sogenannte Haltelinie bei der Rente, also das Absicherungsniveau der Rente im Verhältnis zu den Löhnen. Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD vereinbart, bis 2031 die Haltelinie für das Rentenniveau bei 48 Prozent zu verlängern. In dem vom Kabinett beschlossenen Rentengesetzentwurf ist außerdem aber vorgesehen, dass auch nach 2031 das Rentenniveau um rund einen Prozentpunkt höher als im geltenden Recht liegen soll. Die Junge Gruppe der Unionsabgeordneten im Bundestag moniert das und argumentiert, dass das nicht im Koalitionsvertrag vereinbart ist.
Was sagt die Junge Union?
Die Junge Union und auch die jungen Abgeordneten im Bundestag haben die Sorge, dass die Folgekosten den finanziellen Spielraum im nächsten Jahrzehnt massiv einschränken und zulasten der Beitragszahler und damit der jungen Generation gehen. JU-Chef Johannes Winkel hatte vor den Delegierten in Rust klargestellt: "Dieses Rentenpaket mit den Folgekosten von 120 Milliarden Euro über den Koalitionsvertrag hinaus, das darf auf keinen Fall so kommen."
Was meint Bundeskanzler Merz?
Merz dagegen will zustimmen. "Ja, ich werde mit gutem Gewissen diesem Rentenpaket zustimmen, wenn wir es im Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorliegen haben", sagte er in seiner Rede. Er forderte den Parteinachwuchs auf, sich an der Debatte konstruktiv zu beteiligen. "Aber nicht, indem ihr sagt, was nicht geht", forderte er. Man müsse gemeinsam diskutieren, was gehe. "Glaubt jemand ernsthaft, dass wir einen Unterbietungswettbewerb gewinnen? Wer bietet das niedrigste Rentenniveau?", rief Merz in den Saal. "Das kann doch nicht euer Ernst sein!" Damit gewinne man keine Wahlen.
Knickt Merz angesichts der Kritik ein?
Im "Bericht aus Berlin" hielt Merz den Kritikern entgegen, dass der zur Rede stehende Rentengesetzentwurf genau dem Koalitionsvertrag entspreche. In ihm gehe es um die Zeit bis 2031. "Ich unterstütze es, dass wir für die Zeit nach 2031 in unserem Rentensystem grundlegend etwas ändern." Dafür werde noch in diesem Jahr die Rentenkommission eingesetzt. "Die wird auch so besetzt werden, dass diejenigen, die das jetzt alles kritisch sehen, mit dabei sind." Die Kommission solle noch vor der Sommerpause 2026 ihre Arbeit abschließen. Unmittelbar danach werde das Gesetzgebungsverfahren beginnen.
Man könne diese Schrittfolgen auch in einem "Begleittext", etwa einem Entschließungsantrag, zum aktuellen Gesetzesentwurf klarstellen, sagte Merz in der ARD. Er versicherte, dass er sich um die Zusammenarbeit mit der Jungen Union und auch mit der Jungen Gruppe im Bundestag bemühe. "Aber ich bin als Bundeskanzler nicht nur einer Gruppe gegenüber verantwortlich, ich bin gegenüber dem ganzen Land in der Verantwortung."
Und Söder?
Der bayerische Ministerpräsident zeigte Verständnis für den Kanzler. Er werde Merz nicht in den Rücken fallen, sagte er beim Deutschlandtag. "Friedrich Merz muss auch eine Koalition zusammenhalten." Söder sprach sich aber für weitere Verhandlungen mit der SPD aus. "Ich finde, ihr habt schon gute Argumente, und man muss sie auch wägen und beachten. Und wir müssen darüber auch mit der SPD reden", sagte Söder an die JU gerichtet. Und mit Blick offensichtlich auf SPD-Chef Lars Klingbeil, der zuvor Änderungen ausgeschlossen hatte: "So ein reines SPD-Basta von der Seite geht auch nicht."
Um wie viel Geld geht es?
Die Junge Union geht davon aus, dass durch den Gesetzentwurf ab 2031 zusätzlich 118 Milliarden Euro an Belastungen auf die sozialen Systeme und letztlich den Steuerzahler zukommen könnten. Merz sieht das anders und argumentiert, dass er davon ausgeht, dass vorher andere Entscheidungen getroffen werden. "Wir werden alles tun, dass es nicht zu dieser Belastung kommt", sagte Merz.
Ist das ein Generationenkonflikt?
Nicht wirklich. Die Konfliktlinien gehen quer durch die Union. Merz' Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) teilt Argumente der JU. Die umlagefinanzierte Rente dürfe nicht zu einer weiteren Belastung der Lohnnebenkosten führen - Reformen seien unumgänglich. Insofern habe die Junge Gruppe der Unionsabgeordneten recht, sagte die 52-Jährige. Später ergänzte sie: "Wir haben im Kabinett den vorliegenden Gesetzentwurf beschlossen. Die Kommission zur Rentenreform wird bald ihre Arbeit aufnehmen. Wenn der Gesetzentwurf die Beratungen des Bundestags erfolgreich passiert hat, wofür ich werbe, müssen die Ergebnisse der Rentenreform-Kommission noch in dieser Legislaturperiode in die Gesetzgebung einfließen."
Unterstützung bekam die JU von Baden-Württembergs CDU-Landeschef Manuel Hagel, der weitere Verhandlungen forderte. Wenn der Entwurf von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) eins zu eins komme, brauche es keine Rentenkommission mehr. Diese soll eigentlich Reformvorschläge machen. "Das einzige, was ihr in der Rentenkommission noch werdet tun können, ist Kaffee trinken, Kuchen essen und euch überlegen, ob ihr 120 Milliarden oder 150 Milliarden zuschießt", sagte der 37-Jährige.
Selbst der Chef der Senioren Union, der 69-jährige Hubert Hüppe, äußerte Verständnis für die Jungen. "Die Sorgen der jungen Generation sind berechtigt, insbesondere mit Blick auf die Finanzierung der Rente und den demografischen Wandel", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Wie gefährlich könnte das für die Koalition werden?
Bleibt die Junge Gruppe der Unionsabgeordneten bei ihrer Ablehnung, fehlt der Koalition eine sichere eigene Mehrheit. Der Gruppe gehören 18 Abgeordnete an, CDU, CSU und SPD haben im Bundestag aber nur eine Mehrheit von 12 Stimmen.
Es könnte allerdings gut sein, dass bei der Abstimmung etwa wegen Krankheitsfällen nicht alle Abgeordneten anwesend sind und damit die erforderliche Stimmenanzahl geringer ausfällt. Denn bei der Abstimmung über einfache Gesetze reicht die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Ohne die 18 Stimmen der Jungen Gruppe hat die Koalition noch 310 Stimmen. Die würden für eine eigene Koalitionsmehrheit reichen, wenn alle diese 310 Abgeordneten anwesend wären und mit Ja stimmen würden - und von der Opposition mindestens 11 fehlten. Dann wären es insgesamt 619 abgegebene Stimmen und die erforderliche Mehrheit wäre genau 310.
Allerdings lässt sich das schwerlich vorausberechnen. Womöglich bestünde auch noch die Gefahr, dass das Vorhaben mit Stimmen der AfD oder Linken durchgehen könnte. Beides wäre ein extremes Risiko für die Koalition und für Merz.
Wie geht es weiter?
Nun dürfte erneut gesprochen werden. Fraktionschef Jens Spahn (CDU) bot dem Parteinachwuchs in Rust an, die Gespräche über das Thema fortzusetzen. Man könne nicht aufhören, miteinander zu schauen, wie man eine akzeptable Lösung finde.
Potenziellen Überlegungen, auch mit der SPD noch einmal ins Gespräch über das Vorhaben zu kommen, wie von CSU-Chef Söder angedeutet, erteilte SPD-Chef Klingbeil am Wochenende allerdings direkt eine Absage. "Ich sage euch in aller Klarheit: An diesem Gesetz wird nichts mehr geändert", sagte der Vizekanzler beim Landesparteitag der SPD Baden-Württemberg in Ulm. "Wir stehen beim Thema Rente. Das werden wir im Bundestag verabschieden."
Was das Rentenpaket noch umfasst
Es ist ein klassischer Kompromiss der drei Koalitionsparteien. Neben der Haltelinie sieht es auch Unionsprojekte wie die Ausweitung der Mütterrente vor, die besonders der CSU am Herzen liegt, und die Aktivrente. CDU-Fraktionschef Spahn ist klar, dass das Vorhaben hinsichtlich der Stabilisierung des Rentenniveaus eines der wichtigsten Anliegen der SPD ist: Das Thema sei für den Koalitionspartner beim Eintritt in das Regierungsbündnis in etwa so wichtig gewesen wie für die Union der Politikwechsel bei der Migration, sagte er.
© Philipp von Ditfurth/dpa
JU-Chef Johannes Winkel (links) ist im Rentenstreit grundlegend anderer Meinung als Kanzler Merz.
