Spanische Weihnachtslotterie
Spanisches Dorf zerstreitet sich über Lotto-Gewinn
Das 863-Einwohner-Dorf Villamanín hat bei der spanischen Weihnachtslotterie den Hauptgewinn erwischt. Doch dabei ist etwas schief gegangen Der Friede im Dorf ist dahin.
© dpa/Fernando Sánchez
Nach dem Freudentaumel folgt im Dorf Villamanín der große Kater.
Von Martin Dahms
Óscar González konnte sein Glück kaum fassen. „Es ist ein überwältigendes Gefühl. Da bekommt man Lust zu weinen.“ Der Betreiber der Lotto-Annahmestelle Nummer 2 in La Pola de Gordón hatte gerade erfahren, dass er bei der spanischen Weihnachtslotterie am 22. Dezember 35,6 Millionen Euro unter die Leute gebracht hatte. In seiner Annahmestelle waren 89 Lose der Gordo-Gewinnernummer 79432 verkauft worden, die meisten davon an einen Verein – die „Comisión de Fiestas“ – aus dem Nachbardorf Villamanín. Gut eine Woche später hätte González immer noch Grund zum Heulen: Der Lottosegen hat sich als denkbar größtes Unglück für das Zusammenleben der 863 Einwohner Villamaníns herausgestellt. An kleine, nirgendwo registrierte Vereine wie die Comisión de Fiestas will González künftig keine Lose mehr verkaufen.
Ganz Spanien nimmt seit Tagen an dem großen Lotto-Unglück Villamaníns teil. In den Gassen des Dorfes an der Landstraße zwischen León und Oviedo im Nordwesten Spaniens laufen mehr Journalisten als Einheimische herum, weil letztere nicht ersteren in die Hände fallen wollen. Ein paar Leute erzählen doch etwas, und so lässt sich ein Bild der Ereignisse zeichnen, wenn auch ein an vielen Stellen verschwommenes.
Die Freudentränen trockneten in Villamanín schnell
Die Comisión de Fiestas (die „Festkommission”) ist ein Verein, der gelegentliche Veranstaltungen und Feste in Villamanín auf die Beine stellt. Die etwa zehn Vereinsmitglieder tun das „aus Liebe zum Dorf“, sagen sie. Um etwas mehr Geld in der Kaffeekasse zu haben, haben sie dieses Jahr Anteile von Weihnachtslosen mit Zuschlag verkauft. Das ist in ganz Spanien Tradition. Dafür wird ein gewöhnliches 20-Euro-Los gestückelt, in diesem Fall in fünf Anteile zu vier Euro plus ein Euro Zuschlag für die Kaffeekasse, und die Anteile werden von Tür zu Tür oder in Kneipen und Restaurants verkauft. Das fördert die Dorfgemeinschaft.
Wenn am 22. Dezember dann die Lose gezogen werden, fiebern alle gemeinsam, und im seltenen Fall der Fälle gewinnen sie auch gemeinsam. Ein ganzes Dorf im Siegesrausch, das ist wirklich ein überwältigender Anlass für kollektive Freudentränen. Die trockneten in Villamanín aber schnell.
War es ein Versehen – oder nicht?
Die Festkommission hatte 450 Anteile von insgesamt 90 Losen verkauft. Ein paar Tage nach der Ziehung stellte sich aber heraus, dass der Verein nur im Besitz von 80 Losen war. Ein Versehen, versichern die Vereinsmitglieder, was ihnen die meisten auch glauben wollen. Auf einer Dorfversammlung am Freitag einigten sich die Anwesenden auf eine annehmbare Lösung: Die Leute von der Festkommission verzichten auf ihre eigenen Gewinne, und was danach noch als Defizit übrig bleibt, wird über alle 450 verkauften Losstücke verteilt. Statt eines Gewinns von 80 000 Euro blieben dann noch etwa 76 000 Euro pro Anteil. Damit könnte das Unglück zu Ende sein, aber wahrscheinlich fängt es gerade erst an, zu voller Gestalt und Größe heranzuwachsen.
Längst nicht alle Dorfbewohner (und manche Auswärtige, die ihre Losanteile in einem der Restaurants an der Landstraße gekauft hatten) sind mit der gefundenen Lösung einverstanden. Es reichte, wenn einer von ihnen sein Recht vor Gericht einklagen sollte, und die schöne Einigung fiele in sich zusammen.
Skeptiker melden sich zu Wort
„Warum soll ich auf einen Teil meines Gewinns wegen des Irrtums eines anderen verzichten?“, sagte eine der Beglückten zu einem Fernsehreporter. Auf die Frage ließe sich schnell antworten: dem Dorffrieden zuliebe. Eine Mehrheit der Einwohner sieht das offenbar so, und wer das nicht so sieht, wird von den anderen als gieriger Egoist geschmäht. „Heute im Supermarkt gab es fast eine Prügelei“, erzählte am Montag ein Dorfbewohner den Reportern der Madrider Zeitung „El Mundo“.
Einer der Skeptiker aus dem Dorf kam in der Lokalzeitung „Ileón“ zu Wort. „Ich möchte, dass diese Angelegenheit ohne Gerichtsverfahren geklärt wird“, sagte er, „aber ich möchte, dass die Comisión de Fiestas transparent und ehrlich ist.“ Er will wissen, wie es zu diesem Versehen kommen konnte, wenn es denn ein Versehen war. Wer Losanteile der Weihnachtslotterie verkaufen will, muss diese erst einmal drucken lassen.
Es könnte kriminelle Absicht dahinter stecken
Bei der Lotto-Annahmestelle – in diesem Fall bei Óscar González im Nachbarort La Pola de Gordón – werden einige Lose mit der vereinbarten Nummer reserviert, und rechtzeitig vor der Ziehung kommen die Losanteilsverkäufer mit dem eingenommenen Geld und kaufen dafür gerade so viele Lose, wie sie damit bezahlen können. In diesem Moment sei das Unglück geschehen: In einem Rucksack seien die Quittungen und das Geld von 50 Losanteilen unbemerkt zurückgeblieben. Vielleicht war es so. Vielleicht ist es aber auch eine ganz dicke Lüge.
Es ist immerhin denkbar, dass jemand aus der Festkommission oder irgendein Angehöriger nach der Ziehung des Gordo unverkaufte Losanteile fand und sie noch nachträglich unter Freunden verteilte oder verkaufte. Kein Versehen also, sondern kriminelle Absicht. Um die auszuschließen, wären polizeiliche Ermittlungen kaum vermeidbar. Nicht gut für den Dorffrieden. Aber gut für das Rechtsempfinden der Zweifler.
So funktioniert die Lotterie
Nummer Die spanische Weihnachtslotterie ist eine Form der staatlichen Lotterie, die jedes Jahr am 22. Dezember stattfindet. Sie basiert auf Losen mit fünfstelligen Nummern. Der Hauptpreis heißt El Gordo.
Zehntellose Ein ganzes Los (billete) ist auf einen Papierbogen gedruckt, der durch Perforierungen in zehn Zehntellose (décimos) unterteilt ist. Alle décimos eines billete tragen dieselbe Losnummer. Die üblichen Verkaufseinheiten sind die Zehntellose.
