Gipfeltreffen im Kanzleramt
Stahl ist ein hochpolitisches Gut
Beim Stahlgipfel des Kanzlers geht es um mehr als Unternehmensprofite und Arbeitsplätze, kommentiert Rainer Pörtner.
© Hauke-Christian Dittrich/dpa
Ein Mitarbeiter reinigt in einem Stahlwerk in Salzgitter die Abstichrinne am Hochofen.
Von Rainer Pörtner
Der deutschen Stahlindustrie geht es unbestreitbar schlecht. Wichtige Kunden wie die Autoindustrie kaufen ihr weniger ab. China flutet die Märkte mit Stahl zu Dumpingpreisen. Hinzu kommen US-Strafzölle und heimische Sonderlasten wie hohe Energiepreise und die Kosten des Umbaus zu einer weniger klimaschädlichen Produktion. In den ersten neun Monaten des Jahres 2025 lag die Rohstahlproduktion in Deutschland rund zehn Prozent unter der Vorjahresleistung.
Die Krise ruft den Staat auf den Plan. Kanzler Merz lädt für Donnerstag zu einem „Stahlgipfel“ ins Kanzleramt. Dieser Gipfel folgt kurz nach einem „Autogipfel“ – und damit einem altbekannten Muster: schon Schröder, Merkel und Scholz griffen zum Mittel des „Gipfelns“, wenn es in einer Industrie schlecht lief. Meist mit sehr überschaubaren Ergebnissen.
Merz ist kein Marktradikaler
Es lässt sich auch durchaus fragen, warum die Regierenden viel Geld und politische Energie auf alte Industrien verwenden, statt sich mit Verve für neue, zukunftsfähige Unternehmen einzusetzen.
Die Bundesregierung will den deutschen Stahlproduzenten den Strompreis billiger machen, sie weiterhin von einigen Kosten des CO2-Emissionshandels befreien und sie wohl an der Seite der EU mit höheren Zöllen auf China-Stahl entlasten. Das Paket dürfte einige Milliarden Euro schwer sein.
Friedrich Merz, das zeigt sich hier, ist keineswegs der radikale Marktliberale, als der er von der politischen Linken so oft karikiert wurde. Er folgt beim Stahl, genau wie seine Vorgänger im Kanzleramt, einem durchaus staatsinterventionistischen Kurs – und das aus guten Gründen: Stahl ist kein beliebiges, sondern ein hochpolitisches Gut.
Widerstandsfähigkeit eines Staates
Bei der Rettung der deutschen Stahlindustrie geht es nicht nur – und das wäre wichtig genug – um die Profite von Unternehmen und viele tausend Arbeitsplätze, sondern auch um Sicherheit und Demokratie. Ein Staat ohne eigene Stahlproduktion kann sich der wirtschaftlichen und militärischen Erpressung durch konkurrierende Mächte nur schwer erwehren. Der Blick nach Großbritannien oder in die USA zeigt zudem, dass in kriselnden Industrieregionen populistische und rechtsextreme Kräfte erstarken. Wer über Stahl spricht, redet auch über die Zukunft von Demokratien.
