Steinernes Manifest des Glaubens

Rolf Schweizer arbeitet an einem Buch zur Bedeutung der symbolreich figürlich und ornamental gestalteten Walterichskapelle

Die zwischen 1220 und 1230 erbaute Walterichskapelle gilt als „Kleinod spätromanischer Baukunst“ und ist eine der bedeutendsten architektonischen und kunsthistorischen Sehenswürdigkeiten der Region. „Seit etwa zehn Jahren hatte ich die Idee und überlegte, über diesen besonderen Sakralbau ein kleines Buch zu verfassen“, erzählt Rolf Schweizer.

Das Fenster beziehungsweise dessen Einfassung ist reich verziert. Rolf Schweizer hat sich mit den möglichen Bedeutungen der Symbole und Figuren befasst und will sie in einem Buch erläutern und einordnen. Fotos: E. Klaper/MZ-Archiv

Das Fenster beziehungsweise dessen Einfassung ist reich verziert. Rolf Schweizer hat sich mit den möglichen Bedeutungen der Symbole und Figuren befasst und will sie in einem Buch erläutern und einordnen. Fotos: E. Klaper/MZ-Archiv

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Der Arbeitstitel lautet „Die Walterichskapelle in Murrhardt: Ein Denkmal des Glaubens. Hinweise und Gedanken zum 800-jährigen Bestehen der Gebetsstätte“. Inspirationsquellen dazu waren „die Führungen, bei denen ich Besuchern seit vielen Jahren alles Wissenswerte über die Walterichskapelle erläutere. Ebenso erhalten gebliebene, wichtige Teile der Kapelle, die im Carl-Schweizer-Museum in der klostergeschichtlichen Abteilung zwischen 1980 und 1990 originalgetreu wiederaufgebaut worden sind.“

Indes geht es dem ehemaligen Heimatpfleger nicht darum, eine architektur- oder kunsthistorische Darstellung zu liefern. Stattdessen hat er sich zum Ziel gesetzt, die Bedeutung des Bauwerks und dessen überaus reicher Symbolik der Figuren, Ornamente und Schmuckelemente zu erläutern. In einem Vorwort erzählt er in einer Anekdote von seiner Begegnung mit einem bedeutenden Politiker alter Schule, der gerne in den Ferien nach Murrhardt kam und die Walterichskapelle zeichnete.

„Die gesamte Kapelle ist gleichsam eine steinerne Predigt, ein Manifest des christlichen Glaubens, und dessen Heilsbotschaft“, betont der Heimatgeschichte-Experte. Denn: „Die vielen Figuren und Ornamente außen und innen wollen und sollen etwas erzählen und aussagen.“ Bisher habe sich jedoch die bau- und kunsthistorische Forschung noch nicht genauer mit der Bedeutung der bauplastischen und dekorativen Elemente auseinandergesetzt. „Sie hat sich nicht an dieses Thema herangewagt, da nach 800 Jahren Gedanken über spirituelle Aussagen und Bedeutungen nicht beweisbar sind. Wer sich damit beschäftigte, galt als Fantast“, räumt Rolf Schweizer ein.

Die Walterichskapelle wird als Bauwerk vom Land betreut

Nichtsdestotrotz ist es ihm nun dank seiner umfassenden Kenntnisse der mittelalterlichen Kunst, Glaubens- und Gedankenwelt sowie jahrzehntelanger intensiver praktischer Arbeit und Forschungen gelungen, einen schlüssigen, allgemein verständlichen Wegweiser zur Walterichskapelle vorzulegen. Im Lauf der Zeit habe er eine zunächst verborgene, tiefere Bedeutung und absichtliche Anordnung in den auf den ersten Blick rätselhaft wirkenden Ornamenten, deren Strukturen und Motiven erkannt. Zu Beginn gibt Rolf Schweizer einen Überblick auf die Klostergeschichte und geht kurz auf die staatliche Betreuung des Bauwerks durch das Land und die Renovierungen ein.

Im Hauptteil zeigt er auf, dass „die Walterichskapelle eine dreiteilige Botschaft des Glaubens“ verkündet. „Sie wurde gebaut, um Totenmessen zu feiern für die Seelen der Klostergemeinschaft sowie dessen adelige weltliche Stifter und geistliche Förderer“, erklärt Schweizer. Die wichtigsten Teile des Bauwerks sind das Eingangsportal, der Gebetsraum und die Apsis. „Das Eingangsportal stellt die Pforte zum Himmelreich dar. Dort begrüßt der Heiland im Zentrum des Rundbogenfelds über der Tür die Seelen der Verstorbenen, und die zwölf Apostel dienen als Spalier. Das Portal führt wie eine Jakobsleiter über sieben Stufen in den Himmel“, die es als Zierleisten zwischen den hintereinander gestaffelten Rundbögen und Gewändesäulen umrahmen.

Das Innere der Kapelle war als Gebetsraum gedacht und entsprechend ausgestaltet. „Dazu gibt es eine alte Volksmeinung, dass dort Abt Walterich und seine Mönche die Seelen in Empfang genommen haben.“ Nach dem Vorbild von Jesus und seinen zwölf Jüngern oder Aposteln bestand der Gründungsklosterkonvent aus zwölf Mönchen, die Walterich laut Stiftungsurkunde vom Kloster Reichenau im Bodensee anwarb. „Symbolisch sitzen deren Seelen für ewig auf den zwölf Bänken in den Nischen entlang der Wände der Kapelle.“ Ausführlich geht der Heimatgeschichte-Experte auf die Details der Innenausstattung ein und spürt der Bedeutung der vier großen Figurenkapitelle nach.

„Das wichtigste Objekt ist der Löwe: Diese Symbolfigur weist auf das Bibelwort hin, nachdem Jesus Christus der Löwe aus dem Stamme Juda ist.“ Die Figur des Löwen sitzt in der Apsis, dem heiligsten Teil des Innenraums mit dem Altar, an herausragender Stelle rechts oben. An ihr beginnt und endet ein Schmuckfries, das Schweizer als Spruchband ohne Buchstaben, aber mit global gültigen Motiven aus der Natur betrachtet. Es verläuft entlang der Wände des Innenraumes und bedeutet „Ich bin der Anfang und das Ende“, ein Zitat Jesu aus der Offenbarung des Johannes.

Der dritte Teil der Glaubensbotschaft befindet sich außen an der Apsis am Fenster und der Bekrönung. Über dem Fenster befindet sich ein Löwenhaupt, aus dessen Rachen auf beiden Seiten ein Spruchband ohne Schriftzeichen, aber in weltweit verständlichen Elementen in Form eines reich verzierten, brezelartig verschlungenen Pflanzenornaments herabführt. Die Brezel, aus einfachem Teig gebacken, aber noch nicht wie heute in Lauge getunkt und mit Salz bestreut, war im Mittelalter eine traditionelle Armen- und Fastenspeise. „Dieses Spruchband symbolisiert den Lebensodem des Löwen“, unterstreicht Rolf Schweizer. Nach dem spätantiken und im Mittelalter weitverbreiteten Naturkundebuch des Physiologus wecke er seine vermeintlich tot geborenen Jungen am dritten Tage auf – ein Symbol für die Auferstehung Jesu Christi.

Links und rechts des Löwenhauptes befindet sich ein Fries aus jeweils sechs mit pflanzlichen Ornamenten geschmückten Rundbogenfeldern. Betrachtet man die Pflanzen genau, erkennt man in jedem Ornament Sinnbilder für das Klima und die Entwicklung der Natur in den zwölf Monaten eines Jahres. Der oberste ornamentale Abschluss der Apsis besteht aus einer Bekrönung aus Palmblättern als Zeichen des Sieges des Heilandes über den Tod.

Wann das Buch veröffentlicht wird, steht noch nicht fest. „Es braucht seine Zeit, bis sich so ein Werk entwickelt“, verdeutlicht Rolf Schweizer, der auch noch auf der Suche nach einem geeigneten Verlag ist.

Das Kleinod: Die Walterichskapelle an der Stadtkirche mit ihren rötlichen Steinen.

© Andrea Wahl

Das Kleinod: Die Walterichskapelle an der Stadtkirche mit ihren rötlichen Steinen.

Zum Artikel

Erstellt:
4. April 2020, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Murrhardt und Umgebung

Die „Stadtpolizei“ erhält Verstärkung

Geschlossen stimmt der Murrhardter Gemeinderat zu, den Stellenschlüssel für den städtischen Vollzugsdienst (SVD) von zwei auf drei Vollzeitkräfte zu erhöhen. Dafür fällt eine von zwei Minijobkräften weg. Das Aufgabenspektrum wird ständig größer.

Murrhardt und Umgebung

Interimslösung für Platzproblem an der Hörschbachschule

Mehrheitlich votieren die Murrhardter Gemeinderatsmitglieder für Mietcontainermodule mit zusätzlichen Räumen für die Hörschbachschule. Deren Aufstellung im Pausenhof sollen durch neue Pausenflächen im Grünbereich ausgeglichen werden.

Murrhardt und Umgebung

Seine Bilder sind wie gemalte Feuerwerke

40 Gemälde, die bisher noch nicht dem breiten Publikum gezeigt worden sind, umfasst die gestern eröffnete Sonderausstellung „Heiner Lucas – Malerei“ zum 80. Geburtstag des Kunstmalers in der städtischen Kunstsammlung Murrhardt.