Bundespräsident zum Gedanken an Kriegsende

Steinmeier: An Lehren aus NS-Diktatur festhalten

Viele Erkenntnisse aus Weltkrieg und NS-Diktatur werden 80 Jahre später wieder infrage gestellt. Ein falscher Weg, wie Bundespräsident Steinmeier in einer Gedenkstunde zum Kriegsende betont.

Steinmeier im Bundestag

© Kay Nietfeld/dpa/Kay Nietfeld

Steinmeier im Bundestag

Von red/dpa

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dazu aufgerufen, an den Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg und der NS-Diktatur ungeachtet aller Anfechtungen konsequent festzuhalten. „Wir wissen, wohin Abschottung führt, wohin aggressiver Nationalismus, Verachtung von demokratischen Institutionen führt. So haben wir in Deutschland schon einmal die Demokratie verloren“, sagte er in einer Gedenkstunde des Bundestags zum Kriegsende vor 80 Jahren. 

„Vertrauen wir doch auf unsere Erfahrung! Stehen wir ein für unsere Werte. Erstarren wir jetzt nicht in Ängstlichkeit! Beweisen wir Selbstbehauptung.“

Steinmeier betonte, der 8. Mai sei als Tag der Befreiung inzwischen Kern der gesamtdeutschen Identität. Heute müsse man nicht mehr fragen, ob uns der 8. Mai befreit habe. „Aber wir fragen: Wie können wir frei bleiben?“ 

Kritik an US-Präsident Trump

Der Bundespräsident wies darauf hin, dass die Staatengemeinschaft als Konsequenz aus Vernichtungskrieg und Völkermord eine internationale Ordnung auf Basis des Völkerrechts geschaffen habe. Diese werde heute auch durch die USA infrage gestellt. Die Faszination des Autoritären und populistische Verlockungen gewännen auch in Europa Raum, Zweifel an der Demokratie würden laut. Und in Deutschland erstarkten extremistische Kräfte.

Steinmeier kritisierte scharf die Politik von US-Präsident Donald Trump, ohne ihn allerdings beim Namen zu nennen. Dass sich nun ausgerechnet auch die Vereinigten Staaten von der internationalen Ordnung abwendeten, die sie selbst maßgeblich geprägt hätten, sei „eine Erschütterung neuen Ausmaßes“. 

Der Bundespräsident stellte dies in einen direkten Zusammenhang zum Überfall Russlands auf die Ukraine. Er sprach von einem „doppelten Epochenbruch“ und betonte: „Der Angriffskrieg Russlands und der Wertebruch Amerikas, das ist das, was das Ende dieses langen 20. Jahrhunderts markiert.“

Sorge wegen extremistischer Kräfte

Besorgt zeigte sich Steinmeier über das Anwachsen extremistischer Kräfte im eigenen Land. Dabei nannte er die AfD nicht direkt. Diese Kräfte verhöhnten die Institutionen der Demokratie und ihre Repräsentanten, vergifteten Debatten, spielten mit den Sorgen von Menschen, betrieben das Geschäft mit der Angst und hetzten Menschen gegeneinander auf. „Wer Gutes für dieses Land will, der schütze das Miteinander, den Zusammenhalt und den friedlichen Ausgleich von Interessen. Das erwarte ich von allen Demokratinnen und Demokraten in diesem Land“, sagte Steinmeier unter langem Beifall.

Ebenfalls gegen die AfD zielte Steinmeiers eindringliche Warnung davor, einen „sogenannten Schlussstrich unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung“ ziehen zu wollen. Ihn wundere die Hartnäckigkeit, mit der manche - „leider auch in diesem Haus“ - dies forderten. „Flüchten wir nicht aus unserer Geschichte. Werfen wir ihre Lehren gerade dann nicht über Bord, wenn sie uns etwas abverlangen. Das wäre feige und falsch zugleich.“

Auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner griff zur Eröffnung der Gedenkstunde diesen Aspekt auf. „Das ungeheuerliche Ausmaß der deutschen Verbrechen ist bis heute nicht allen bewusst“, sagte sie. „Oder schlimmer noch: Viele wollen sich damit gar nicht mehr beschäftigen. Dieser Tendenz entgegenzuwirken – auch dazu dient das Gedenken am 8. Mai.“ 

Der von Hitler-Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg forderte nach unterschiedlichen Schätzungen weltweit zwischen 50 und über 60 Millionen Todesopfer, die Mehrheit davon Zivilisten. Besonders schwer traf es die Sowjetunion mit rund 27 Millionen Toten. Deutschland verlor etwa 6,3 Millionen Menschen, darunter viele Soldaten.

Kriegsende mit bedingungsloser Kapitulation

Der Krieg endete in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, die am 8. Mai 1945 in Kraft trat. Zuvor hatten britische und amerikanische Truppen vom Westen her und sowjetische Soldaten aus dem Osten in verlustreichen Kämpfen weite Teile Deutschlands besetzt. In den Reihen der Roten Armee kämpften auch viele Ukrainer.

Die Kapitulationsurkunde wurde zweimal unterzeichnet – einmal im französischen Reims und dann nochmals im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Da war es in Moskau schon nach Mitternacht, weshalb Russland den 9. Mai als Tag der Kapitulation ansieht.

Zu der Veranstaltung im Plenarsaal des Bundestags waren auch die in Deutschland vertretenen Diplomaten eingeladen, nicht aber die Botschafter von Russland und Belarus. Sie sind wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine unerwünscht, obwohl die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg mit Abstand die meisten Opfer zählte. 

Auf der Zuschauertribüne im Reichstagsgebäude saßen unter anderem die Botschaft Israels und der Ukraine, Ron Prosor und Oleksii Makeiev, sowie der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Auch der Schauspieler Ulrich Matthes und der Pianist Igor Levit verfolgten die Gedenkstunde. 

Steinmeier dankte Amerikanern, Briten, Franzosen und allen anderen, die den Kampf gegen den nationalsozialistischen Terror geführt hätten. „Wir wissen auch, welchen Beitrag die Rote Armee dabei geleistet hat, Russen, Ukrainer, Weißrussen und alle, die in ihr gekämpft haben.“ Die Rote Armee habe Auschwitz befreit. Mindestens 13 Millionen dieser Soldaten und noch einmal so viele Zivilisten hätten ihr Leben verloren. 

Kritik an „Putins Feldzug“

„All das vergessen wir auch nicht. Aber gerade deshalb treten wir den heutigen Geschichtslügen des Kreml entschieden entgegen. Auch wenn das morgen bei den Siegesfeiern in Moskau wieder behauptet werden sollte: Der Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus.“ 

Putins Feldzug gegen ein freies, demokratisches Land, habe nichts gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg. „Diese Geschichtslüge ist nichts als eine Verbrämung imperialen Wahns, schweren Unrechts und schwerster Verbrechen.“

Begonnen hatte das Gedenken mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Daran nahmen - wie später an der Gedenkstunde - neben Steinmeier und Klöckner auch die Spitzen der anderen drei Verfassungsorgane teil: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth. Sie legten anschließend an der zentralen Gedenkstätte, der Neuen Wache in Berlin, Kränze nieder. 

Der Sieg über das nationalsozialistische Deutschland wird auch in den Hauptstädten der Siegermächte gefeiert. Die größte Militärparade findet am morgigen Freitag in Moskau statt.

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Erstellt:
8. Mai 2025, 14:50 Uhr

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