Stimmtraining mit der Tasse als Gegenüber

Die Volkshochschule Murrhardt hat während der Schließung neue Lernformen ausprobiert. Auch wenn Online-Kurse eine andere Art des Miteinanders sind, so liegen auch Chancen in ihnen. Das Team möchte dies neben der allmählichen Öffnung weiter nutzen.

Die Cloud des Volkshochschulverbands bietet eine sichere Plattform, um Seminare in größeren Gruppen geben zu können.

Die Cloud des Volkshochschulverbands bietet eine sichere Plattform, um Seminare in größeren Gruppen geben zu können.

Christine Schick

MURRHARDT. Kurz vor 9 Uhr trudeln die fünf Teilnehmer nach und nach in den virtuellen Unterrichtsraum des Online-Kurses Stimmbildung ein, der zu den neueren Angeboten der Volkshochschule Murrhardt gehört. Wer noch ein bisschen für sich bleiben will, schaltet die Kamera aus und ist nur mit seinen Initialen auf einem briefmarkengroßen Plätzchen zu sehen. Ein Mikro vor Dozentin Sarah Neumann lässt erahnen, dass es vor allem um eine akustische Präsenz geht. Die Diplom-Gesangspädagogin und Sängerin vermittelt in den insgesamt drei Treffen zentrale Aspekte zum Thema Stimmbildung. Sie vergewissert sich, dass alle alle hören können. Dann geht es salopp gesagt an die Aufwärmübungen. „Mit der Stimme in Kontakt kommen“ nennt Sarah Neumann das und für die Teilnehmer heißt es, Verschiedenes auszuprobieren, „ihr den Weg zu bereiten“: aufrechter Stand, Muskelpartien nahe des Schlüsselbeins und der Rippen nach hinten streichen, ausgiebiges Gähnen, die Atmung spüren und den Solarplexus suchen.

„Xsss, Xsss, Tkkk, Tkk, Xxss.“ Jeder kann seinem Brust- und Bauchraum nachspüren, was bei solch einer konsonantenlastigen Aussprache passiert. Dann experimentieren die Teilnehmer mit der Lautstärke. Damit das „Hey!“ auch beim anderen ankommt, bittet Sarah Neumann ihre Teilnehmer, sich vorzustellen, es einem Gegenüber wie einen Ball zuzuwerfen. „In unserem Fall ist das vielleicht die Kaffeetasse oder die Schreibtischlampe“, sagt sie mit einem Lächeln. Beim Lippenflattern ruft sie das Bild eines Kindes auf den Plan, das seinem kleinen Spielzeugauto akustisches Leben einhaucht. Die Mitstreiter üben bei ausgeschaltetem Ton fleißig mit, manche ohne, neben der oder weit von der Kamera weg. Mittlerweile beim Summen angekommen, macht Neumann darauf aufmerksam, wie der Ton unter den Augen nach außen dringt. Stimmt, denkt man überrascht. Die Lippen werden im Küssen trainiert, dann kann das schnell hintereinander gesprochene „Pipapp, Pupp, Pipp“ folgen. „Das ist wie Sprechtraining mit einem Korken zwischen den Zähnen. Wenn er dann draußen ist, spricht es sich von ganz allein“, sagt sie – ähnlich wie nach dem Abschnallen der Gewichte, mit denen man durch den Wald gejoggt ist.

Zum Abschluss des Seminars hat jeder noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen und bekommt so einen kompakten Einblick in ein paar grundsätzliche Einstellungen der Gesangspädagogin. „Wie gestalte ich einen Text durch die Betonung und Stimme spannend für die anderen?“, erkundigt sich ein Teilnehmer. Sarah Neumann weiß, dass man lange an dem Vortrag eines Textes vor Publikum arbeiten kann, gleichzeitig sei es wichtig, auf seine Zuschauer und die Umstände vor Ort eingehen zu können. „Wirklich interessant wird er, wenn man mit der Stimme auch auf diese Dinge reagieren kann“, sagt sie. „Der zweite Punkt ist der innere Beschluss, dass das, was ich sage, auch wichtig und wertvoll ist.“

Die Pflege der Stimme ist ihr natürlich trotz alledem wichtig. Im Mittelpunkt steht, die richtige Spannung für den jeweiligen Moment abrufen zu können. Bei jemand Schüchternes heißt das, eher Gas zu geben, umgekehrt bei einem sportlich agilen Typ unter Umständen, etwas Power rauszunehmen. Auch Kleinigkeiten wie das richtige Getränk – Wasser statt Kaffee mit Milch – können hilfreich sein. Aber für die Gesangspädagogin ist zentral, bei sich und entspannt zu sein, dann kann sich auch die Gestaltung entfalten. „Das alles ist ein Kreislauf, mit ihm verändert sich auch die Wirkung“, sagt sie.

Auf die Außenwelt musste Sarah Neumann in den vergangenen Wochen auch selbst massiv reagieren. Wie bei vielen anderen freiberuflich Tätigen war aufgrund der Beschränkungen in der Coronakrise vieles nicht mehr möglich – bei ihr vor allem die Chorarbeit. Nach einer kurzen Schockstarre folgte die Umorientierung auf Online-Unterricht für ihre Gesangsschüler. „Zusammen singen geht nicht“, sagt sie, doch sei die neue Art des Unterrichtens insgesamt sehr anspruchsvoll und dabei denkt sie auch an ihre Teilnehmer. Denn diese seien nun einzeln im Fokus, müssten sich bewusster wahrnehmen und mutiger sein. Auch wenn jeder eine Balance finden müsse zwischen der Auseinandersetzung mit der Technik und bei sich zu sein, empfindet Sarah Neumann das Lernen im Online-Seminar nicht als reduzierter in Bezug auf die Zwischenmenschlichkeit. Für sich selbst sagt sie: „Man kommt sogar schneller auf den Punkt und ist gefordert, noch genauer zu beschreiben, gut zuzuhören und sich selbst ein Stück weit zu beobachten.“ Die Rückmeldungen der Teilnehmer geben ihr recht. Die Gruppe ist sehr angetan, einige wünschen sich eine Fortsetzung.

Mittlerweile bietet die Volkshochschule Murrhardt eine ganze Reihe von Online-Seminaren an. Leiterin Birgit Wolf berichtet, dass dies nicht von heute auf morgen möglich war. „Wir konnten nicht einfach loslegen, weil wir das ja für ganze Gruppen und nicht für Einzelunterricht organisieren mussten“, sagt sie. Die Sicherheit einer gemeinsamen Plattform des Verbands, eine weitere Software für Videokonferenzen sowie Schulungen seien da wichtige Etappen gewesen. Zudem hieß es für die abgebrochenen Präsenzkurse, sich bei den Teilnehmern und Dozenten zu erkundigen, ob diese sich das gemeinsame Lernen übers Netz vorstellen konnten. Ein Teil wurde also umgestaltet, wie Sport- und Sprachkurse, aber es gab auch Seminare, bei denen das nicht möglich war. „Töpfern können Sie da einfach nicht anbieten“, sagt Birgit Wolf. Auch ein Dozent für EDV-Programme konnte sich nicht vorstellen, dass er so gut wie sonst auf Fragen und die jeweiligen Teilnehmer eingehen kann.

Die Mathevorbereitung aufs Abitur wiederum fand bei den jungen Teilnehmern gute Resonanz. Zwar stellten Einzelne auch fest, dass manches zeitaufwendiger (Benutzung einer gemeinsamen Tafel) und die Verbindung je nach Standort und Aktualität des Geräts auch unstabil sein kann. Das inhaltliche Feedback eines Abiturienten ist aber umso besser: guter Aufbau, gutes Eingehen auf Fragen, absolut empfehlenswert.

Für Lernende von Deutsch- und Integrationskursen gab es ebenfalls Angebote, um den Wissensstand möglichst zu halten. Die Dozenten haben Übungspakete zusammengestellt und Aufgaben korrigiert, wie Kirstin Krack berichtet. Mittlerweile können die Integrationskurse unter Hygiene- und Abstandsregeln aber wieder stattfinden.

Michaela Rannaud, die die Sprachkurse betreut, war es wichtig, einerseits Online-Angebote zu machen, andererseits denjenigen, die das aus unterschiedlichen Gründen nicht wahrgenommen haben, Anregungen zu geben – beispielsweise das Filmangebot beim Fernsehsender Arte in verschiedenen Sprachen oder ein Lernprogramm auf BBC zu nutzen oder spanisches Radio zu hören. Eine weitere Variante ist, einfach mal ein Rezept entsprechend des Landes auszuprobieren oder die Lektüre auf Englisch oder Französisch eines Buches anzugehen, dessen Inhalt man schon kennt und deshalb leichter einsteigen kann. „Manche haben sich auch untereinander übers Telefon ausgetauscht“, erzählt sie und dass das bis zum Vokabelabfragen ging. Solche Verbindungen sind nicht selbstverständlich und gewachsen, gibt es bei der VHS auch Kurse, deren Teilnehmer bereits seit vielen Jahren zusammen lernen. Michaela Rannaud ist es wichtig, dass sie nicht abreißen, und weiß, dass die Gemeinschaft dort sehr geschätzt wird.

Für die Volkshochschule ist noch schwer abschätzbar, was die Zeit der Schließung finanziell bedeutet. Klar ist, dass einiges an Einnahmen wegfällt und die Semesterplanung praktisch für die Katz sowie Mehrarbeit notwendig war, um die Online-Angebote auf die Beine zu stellen. Birgit Wolf und ihr Team möchten neben der allmählichen Öffnung möglichst weitere Angebote schaffen, beispielsweise im Sommer, wenn dies die Rahmenbedingungen und Lockerungen wieder zulassen, um das eine oder andere nachzuholen sowie das gemeinsame Lernen wieder zu ermöglichen.

Stimmtraining mit der Tasse als Gegenüber

„Von Bedeutung ist der innere Beschluss, dass das, was ich sage, auch wichtig und wertvoll ist.“

Sarah Neumann,

Diplom-Gesangspädagogin

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Erstellt:
26. Mai 2020, 06:00 Uhr

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