Suche nach dem richtigen Stärkungsansatz
Dem Einzelhandel und den Innenstädten geht es bekanntlich nicht besonders gut. Ein Förderprogramm des Landes ermöglicht Analysen und Verbesserungsvorschläge vor Ort. Auch Murrhardt hat die Chance erhalten, bei dem Projekt dabei zu sein, und nun seinen Bericht vorliegen.

© Stefan Bossow
Als Stärke Murrhardts sieht die aktuelle Untersuchung die Altstadtkulisse mit den attraktiven Fachwerkhäusern. Bei der digitalen Präsenz der Innenstadtakteure wiederum gibt es noch einigen Nachholbedarf. Foto: Stefan Bossow
Von Christine Schick
Murrhardt. Unter dem Dach des Dialogprojekts „Handel 2030“ hat das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg ein Förderprogramm aufgelegt, bei dem Innenstadtberater Kommunen in den zwölf Regionen des Landes Unterstützung bieten. Unter den ersten Städten in der Region Stuttgart, die damit die Möglichkeit einer Analyse der Situation vor Ort sowie ein Paket an Strategievorschlägen erhalten, ist Murrhardt. Der Bericht besagter Innenstadtberater liegt nun vor und war Thema in der jüngsten Sitzung des Murrhardter Gemeinderats. In dem rund 90-seitigen Report werden die Erhebungen, zu denen auch Befragungen von Passanten und Gespräche mit Innenstadtakteuren gehören, erläutert, und darauf aufbauend Maßnahmen vorgestellt, von denen sich die Experten eine Verbesserung der Lage versprechen.
Das umfangreiche Papier wurde nicht im Detail vorgestellt, Wirtschaftsförderer Uwe Matti warf aber ein paar Schlaglichter auf die Ergebnisse. „Völlig neue Erkenntnisse im Vergleich zum letzten Gutachten haben sich nicht ergeben“, sagte er. Ein Beispiel für ihn ist die Anregung der Berater, sich um eine gemeinsame einheitliche Kernöffnungszeit der Innenstadtbetriebe wie Läden, Gaststätten und Dienstleister zu bemühen. Das käme Kundinnen und Kunden entgegen, die bei mehreren Anlaufstellen vorbeischauen möchten und beim Innenstadtbesuch so nicht allzu sehr planen müssten. Wichtig erscheint ihm auch, mit Blick auf Tagestouristen – beispielsweise auch Gäste, die einen Arztbesuch machen –, aktuelle Angebote nach außen sichtbar zu machen.
Sich um die digitale Sichtbarkeit zu kümmern ist bei Personalmangel schwer
Das bedeutet heutzutage vor allem, über eine Homepage, soziale Netzwerke oder auch Suchmaschinen wie Google präsent zu sein und diese mit Information zu bestücken. „An dieser digitalen Sichtbarkeit der Innenstadtbetriebe sind wir als Thema dran, trotzdem geht es dabei sehr schleppend voran.“ Händler müssten in dieser Hinsicht einige Bedingungen erfüllen, beispielsweise die Plattformen mit Fotos bestücken, angesichts des Personalmangels, mit denen nicht wenige kämpfen, keine ganz leichte Aufgabe. Der lokale Online-Marktplatz Murrhardt möchte in dieser Hinsicht Hilfe bieten und kann als Anlaufstelle gesehen werden, trotzdem sei diese Arbeit kein Selbstläufer und mit weiterer Überzeugungsarbeit verbunden. Uwe Matti sprach auch den Punkt gemeinsamer Aktionen in der Innenstadt an, welchen die Verwaltung und Wirtschaftsförderung ebenfalls schon als wichtige Unterstützung auf dem Schirm habe. Die Evaluierung sei für ihn trotzdem immer wieder notwendig und wertvoll, zeige sie doch, ob man (noch) in der richtigen Richtung unterwegs sei.
Gerd Linke (MDAL/Die Grünen) gab eine ausführlichere Einschätzung, zu der gehörte, dass sich die Lage in der Innenstadt stetig wandele. Die Leerstände sind für ihn spürbar, wenn auch Ursachen – wie ein plötzlicher Todesfall – im Einzelfall nicht allein wirtschaftlicher Natur sind. Die Gastronomie als Faktor für die Innenstadt sei nicht zu unterschätzen: Die Gaststätte Stern, die über die griechische Community Leben ins Städtle bringe, genauso wie das Eiscafé und Bistro Belluno sieht er als wichtige Anlaufpunkte und umgekehrt das ehemalige Restaurant Hirsch, das als Frequenzbringer fehle. Neben Empfehlungen wie gemeinsame Öffnungszeiten, die eine Art Dauerbrennerstatus erreicht haben und trotzdem mühsam in der Umsetzung erscheinen, sprach Linke auch das Thema Ladenmiete an. Aus seiner Sicht ist es kein einfaches, da die Eigentümer einerseits von der Pacht lebten, andererseits bei einem Festhalten an einem bestimmten Preisniveau möglicherweise riskierten, dass Geschäfte aufgeben müssten. Für ihn stellte sich die Frage, ob Analyse und Vorschläge generell noch mal intensiv diskutiert werden sollten, beispielsweise in Form einer Klausurtagung.
Bürgermeister Armin Mößner sprach sich dafür aus, die Ergebnisse zunächst im Mitgliederkreis des Stadtmarketingvereins zu besprechen, da sich dort wichtige Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner in Bezug auf die Maßnahmen finden. Er erinnerte daran, dass in der Innenstadtoffensive 2.0 vieles geplant, aber in den vergangenen zwei Jahren wegen Corona nicht umsetzbar war. Im Herbst habe man mit dem Streetfoodfestival an Aktionen als ein unterstützendes Element erstmals wieder anknüpfen können. Allerdings sei davon wenig in den Läden angekommen. Er hält den Ansatz trotzdem für richtig, über zusätzliche Veranstaltungen den Erlebnischarakter rund ums Einkaufen zu steigern. Zwar gebe es Anfragen und Interessenten, was leer stehende Läden anbelangt (Frage Gerd Linke), aber unter ihnen seien auch solche wie Spielautomaten- oder Spielstättenbetreiber, bei denen die Stadt klar mache, dass dies nicht gewollt werde.
Die Männer sind in der
Innenstadt sehr viel weniger präsent
Für Elisabeth Zenker (SPD) finden sich im Bericht spannende Ansätze wie beispielsweise den Marktplatz zur autofreien Zone zu machen oder zumindest zur Hälfte für Fahrzeuge zu sperren sowie den Vorschlag eines Bewerbungsverfahrens für leer stehende Geschäfte, bei dem die Stadtverwaltung nicht herkömmliche Interessenten unterstützen könnte. Augenfällig war für sie das Ergebnis, dass sehr viel mehr Frauen (66,7 Prozent) als Männer (33,3 Prozent) im Zentrum unterwegs sind, was sie in die Runde fragen ließ: „Was zieht die Männer in die Innenstadt?“
Mößner beantwortete dies mit drei Schlagworten – einkaufen, zur Arbeit oder etwas trinken gehen. Zum Punkt autofreie Zone merkte er an, dass dies für die Geschäfte am Marktplatz problematisch bleibe, weil ihnen damit ein gewisser Prozentsatz an Kunden, die mit dem Auto kommen, wegbreche und dies möglicherweise existenzbedrohlich werden könne. Selbst wenn eine Sperrung positive Effekte habe, sei dies ein schmaler Grat. Insofern wolle er an der damaligen Entscheidung, den Status nicht zu verändern, die auch mehrheitlich gefasst wurde, nichts verändern. Diese Problematik unterstrich Andreas Winkle (CDU/FWV), die sich auch in Großstädten zeige, wenn bestimmte Areale nicht mehr befahrbar seien, die dann verwaisten. Er räumte ein, nicht unbedingt mit wehenden Fahnen, sondern eher gezwungenermaßen einkaufen zu gehen. Für Edgar Schäf (SPD) spielt in Bezug auf die geringere Präsenz von Männern die Berufstätigkeit unter der Woche eine Rolle. Insofern könne man bei einem samstäglichen Markttag in dieser Hinsicht mehr männlichen Beifang machen.
Analyse Neben der Auswertung von Studien, von Daten und Interviews mit Stadtverwaltung, Händlern und Kunden erfolgte auch eine Stärken-Schwächen-Analyse: Punkten kann Murrhardt mit seiner Altstadt, den Fachwerkhäusern, einer von allen Seiten zugänglichen Innenstadt, wenigen Filialisten, medialer Unterstützung der Stadt und einer Beteiligung der Händler bei Events. Schwächen werden beim Einzelhandelsangebot, der Abwanderung in nahe gelegene Zentren, beim Branchenmix, bei zu wenig und fehlender deutscher Gastronomie sowie zu geringer Außenbewirtung gesehen. Auch fehlen Alleinstellungsmerkmale und das Nutzen des Touristenpotenzials.
Verbesserungsideen Die Innenstadtberater haben auch ein ganzes Bündel an Maßnahmen vorgeschlagen: angefangen vom Hinweis auf Förderprogramme über einen teilweise autofreien Marktplatz, einen Ausbau des digitalen Auftritts der Stadt, einen Ausbau des Markttages und alternative Konzepte, um dem Leerstand zu begegnen, beispielsweise mit geförderten Pop-up-Stores für junge, dynamische Konzepte wie Fairtrademode oder Unverpacktläden.
Handlungsbedarf wird bei der Außendarstellung der Innenstadtbetriebe (Schaufenster), den gemeinsamen Öffnungszeiten und der digitalen Sichtbarkeit der Betriebe gesehen (unter anderem sind kostenfreie Webinare und Intensivberatung möglich). Gemeinsam sollten die Akteure überlegen, wie Touristen gezielt angesprochen und gelenkt werden können. Angeregt wird auch ein Tool, über das sich beim Stadtmarketing kontinuierlich Ideen sammeln lassen, sowie ein Zukunftskreis Innenstadt, der innovative Szenarien weiterentwickelt. Der Bericht findet sich im Ratsinformationssystem (Sitzung 1. Dezember) unter https://service.murrhardt.de/bi/ info.asp.