Tourismusbranche
Tui setzt weiter auf Reisebüros
Warum ist das Tui aus dem wichtigsten Lobbyverband der Branche ausgetreten? Konzernchef Sebastian Ebel über die Gründe, den Wert persönlicher Beratung – und Probleme beim Bahnfahren.

© Bernd Weißbrod/dpa
Eine Maschine der Fluggesellschaft Tui beim Start auf dem Flughafen Stuttgart
Von Thomas Wüpper
Urlauber kennen Tui vor allem lächelnd: Eine rote Linie mit Punkt ist das Logo des Konzerns. Doch was bewegt Tui hinter den Kulissen? Der Vorstandschef Sebastian Ebel gibt einen Einblick.
Die Branche hoffte auf einen Staatssekretär für Tourismus, stattdessen gibt es unter der neuen Bundesregierung wieder nur einen Koordinator. Wird die Bedeutung des Tourismus unterschätzt?
Ja, aber das hängt nicht an einem Staatssekretär. Das ist eine Phantomdiskussion der Verbände, ein bisschen ein Evergreen. Der Tourismus ist ein Wirtschaftszweig - Punkt. Wie für die Autoindustrie oder Pharmabranche ist die Wirtschaftsministerin zuständig - entweder sie kümmert sich und erkennt die Bedeutung des Sektors an, dann bekommt das Thema Gewicht. Oder nicht, dann hilft auch kein Staatssekretär. Wir sollten als Branche nicht so bescheiden sein.
Was heißt das konkret?
Allein wenn wir ein neues Schiff von der Werft bekommen, sind dort 80 bis 85 Prozent Komponenten aus deutscher und europäischer Fertigung drin, vom mittelständischen Maschinenbauer bis zur Schiffsausrüstung. Die Wertschöpfungstiefe wird unterschätzt. In anderen Ländern hat die Branche eine ganz andere Wertigkeit. In Griechenland kümmert sich der Premierminister persönlich, in Österreich bekommt man am gleichen Tag eine Antwort aus dem Kanzleramt. Da hat sich hier in Deutschland etwas eingeschlichen.
Tui ist aus dem wichtigsten Lobbyverband ausgetreten, dem Deutschen Reiseverband. Warum?
Es gibt Themen, die man laut und deutlich ansprechen muss. Das tun wir. Die Verbandslandschaft ist zersplittert, das hilft niemandem. Wir müssen die Branche, die Pauschalreise und das Reisebüro vor Ort sichern – auch gegen Angriffe von globalen Digital-Unternehmen, die weniger reguliert sind. Dadurch haben sie deutliche Kosten- und Wettbewerbsvorteile, bieten aber auch weniger Sicherheit für die Kunden.
Wie meinen Sie das?
Wer war zu Beginn der Pandemie auf sich gestellt und nicht abgesichert? Wen hat der Außenminister mit der Luftwaffe zurückholen müssen? Das waren nicht die Pauschalreise-Gäste der Veranstalter, das haben wir selbst erledigt. Es waren Urlauber, die bei globalen Digital-Unternehmen gebucht haben. Diese Reisenden sind heute so wenig abgesichert wie 2020. Dagegen hat die Politik die Bedingungen für uns Veranstalter weiter verschärft und verteuert. Man treibt Urlauber damit geradezu in nicht abgesicherte Reisen.
Der Onlinevertrieb wächst, aber nur ein geringer Teil des Veranstalterumsatzes läuft bisher über die Tui-App. Wie wollen Sie das ändern?
Der stationäre Vertrieb ist besonders in Deutschland wichtig. Reisebüros bieten Service, Qualität und Komfort. Das ist modern. Neben den Reisebüros soll auch unsere App zum Freizeitbegleiter werden: Flug, Hotel, Camper, Mietwagen, Erlebnisse – alles über die Reisebüros und die App buchbar. Die App weiß, wo der Kunde ist, und kann Angebote vor Ort machen, etwa einen Gutschein für das Restaurant nebenan. Wir wollen regelmäßig Mehrwert schaffen, vor allem durch Angebote, die der Kunde gleich vor Ort nutzen kann. Dazu kommt der Service in Krisen. Wir wissen, wo die Gäste sind, können sie unterstützen und auch im Notfall schnell betreuen.
Sind Sie da nicht ziemlich spät dran?
Der Markt wird immer wieder neu verteilt. Mit KI und kuratierten Angeboten können wir uns neu positionieren. Die App spart gegenüber dem Web Vertriebskosten, hilft bei der Vermarktung und bringt Mehrverkäufe. Zudem ist sie auch für unsere älteren Kunden attraktiv, etwa durch Sprachsuche. App und Reisebüro ergänzen sich ideal. Auch die Angebote unsere Reisebüropartner können wir in deren Namen zielgerichtet aussenden.
Wenn die Tui immer mehr direkt über die eigene App verkauft, wie steht es dann um die Zukunft der Reisebüros?
Die Beratung im Reisebüro bietet Mehrwert, gerade in der komplexen Welt des Tourismus. Wir arbeiten mit Reisebüros so eng zusammen wie nie zuvor. Wichtig ist guter Service und auch eine Spezialisierung, zum Beispiel auf Kreuzfahrten, Aktivitäten oder spezielle Länder. Die Erfahrung zeigt, im Reisebüro werden oft höherwertige Reisen verkauft.
Wird der stationäre Vertrieb weiter schrumpfen?
Wir sind mit der aktuellen Anzahl zufrieden. Uns ist wichtig, die guten Vermittler zu erhalten und intensiv zu unterstützen. Auch mit unseren mobilen Reiseberatern kommen wir näher an die Kunden heran als online.
Das klassische Modell der Pauschalreise steht unter Druck. Funktioniert es noch?
Der Begriff Pauschalreise klingt wie aus einer anderen Welt, denn die meisten Kunden sagen einfach „Urlaub“. Der rechtliche Rahmen interessiert selten jemanden – das ist eigentlich erschreckend. Die Vorteile der Pauschalreise erkennen viele erst in Notlagen, etwa bei Bränden, Unwetter oder Terror. Generell gilt: Die Kundenzufriedenheit ist bei Tui so hoch wie nie.
Wird es die klassische Pauschalreise in fünf oder zehn Jahren noch geben?
Ja, aber sie wird flexibler. Wir bauen das dynamische Paketieren aus, also die flexible Kombination von Anreise und Unterkunft. Mit KI können wir das besser bündeln, etwa den passenden Flug zur offenen Mietwagenstation und zum erreichbaren Hotel, und das zu tagesaktuellen Preisen. Der Urlauber bekommt die größere Flexibilität und Sicherheit, Service und Betreuung vor Ort.
Sie arbeiten dazu nun mit Billigfliegern wie Ryanair und Easyjet zusammen. Warum?
Wir erweitern unser Angebot, indem wir mit verschiedenen Airlines die Reisen zusammenstellen. Ryanair hat einen sehr effizienten Flugplan und günstige Preise. Wir können davon lernen. Wichtig ist, dass der Kostenunterschied zu unserer eigenen Airline Tui Fly nicht zu groß wird.
Kann die Zusammenarbeit mit Billigfliegern das Tui-Image beschädigen?
Die Kundenzufriedenheit bei Ryanair ist hoch, weil die Erwartungshaltung bei so günstigen Preisen anders ist: „You get what you pay for“, du kriegst, was du bezahlst. Doch wo Tui draufsteht, ist auch Tui drin - das gilt weiterhin.
Tui wollte nachhaltige Bahnreisen ausbauen. Was ist daraus geworden?
Wir wollen die Bahn weiter stärken und ausbauen. Eigene Züge sind aber leider an nationalen Hürden gescheitert – oft standen sie am Brenner, weil dafür technische Gründe von den europäischen Partner vorgebracht wurden. Es fehlen in Europa einheitliche Netze und Regulierung. Partnerschaften wären wünschenswert, sind aber für uns derzeit kaum realisierbar, solange Frequenzen und Strecken nicht verlässlich sind.
Wie erleben Sie die Deutsche Bahn als Partner?
Die Bahn ist per se eine tolle Form zu reisen – aber es gibt sehr große Verbesserungspotenziale, gerade im internationalen Verkehr. Die Verhandlungen sind oft schwierig, und bei Verspätungen haftet der Veranstalter – das macht es kompliziert.
Wie sehen Sie die geplanten Reformen bei der Bahn?
Die Bahn ist ein existenzielles Verkehrsmittel, Reformen sind überfällig und die Umsetzung läuft viel zu schleppend. Als Kunde bin ich oft nicht zufrieden mit den Angeboten. Züge sind verspätet, manche verschlissen, es fehlt bei Problemen an Ersatzfahrzeugen und Ausweichstrecken. Wer Bahnchef ist, braucht Know-how, Durchsetzungskraft und ganz gewiss ein dickes Fell.
Welche Märkte sind für Tui künftig besonders wichtig?
Bei den Destinationen sind wir in mehr als 100 Ländern der Welt vertreten. Wir wollen globaler werden auf der Kundenseite. Europa als Heimatmarkt für Kunden reicht nicht. China ist ein wichtiger Wachstumsmarkt, dort haben wir schon mehr als 20 Hotels im Angebot und bald könnten es rund 100 sein. Auch in Südamerika gibt es große Chancen, Gäste aus Argentinien fliegen zum Beispiel gerne mit uns in die Karibik.
Das soll ausgebaut werden?
Richtig, wir wollen nicht mehr nur Reisen für Europäer anbieten, sondern verstärkt auch für die lokale Bevölkerung. Das gilt mittelfristig auch für Nordamerika. Wir prüfen generell neue Partnerschaften und wollen Angebote vor Ort ausbauen. Unsere Marke Tui ist weltweit bekannt, weil wir Urlauber in die Länder gebracht haben. Wir nutzen diese internationale Strahlkraft nun, um neue Gäste zu gewinnen. Südostasien und Lateinamerika sind dabei sehr vielversprechend.
Wie sieht die Tui in zehn bis fünfzehn Jahren aus?
Wir machen Tui zum globalen Unternehmen, das sehr breit aufgestellt ist – nicht nur in Europa, sondern auch in Asien, Amerika und anderen Regionen. Wir bieten für alle Zielgruppen das passende Angebot an, von der klassischen Pauschalreise über individuelle Pakete bis zu Erlebnissen vor Ort. Erlebnisse werden immer wichtiger für die Kunden. Das passt in den Trend der Zeit: den Moment zu erleben wird für viele Menschen wichtiger als Materielles zu besitzen.
Ambitionierter Betriebswirt
WerdegangSebastian Ebel (62) ist seit Oktober 2022 Vorstandschef der Tui Group und war zuvor Finanzvorstand. Der studierte Betriebswirt kam 1998 zur Tui, wurde Bereichs- und Konzernvorstand. Er verließ 2008 den Veranstalter, ging zur A.T.U.-Gruppe und als Geschäftsführer zu Vodafone Deutschland. 2013 kehrte Ebel zurück, brachte das profitable Hotel- und Kreuzfahrtgeschäft voran und Tui nach der Corona-Krise wieder auf Wachstumskurs.
ZukunftMit dem Fokus auf Digitalisierung, neue Märkte und nachhaltige Mobilität will er den Konzern global aufstellen. Ebel ist verheiratet, Vater von fünf Kindern und im Sport engagiert. Viele Jahre war er Präsident von Eintracht Braunschweig, dem traditionsreichen Fußballclub seiner Heimatstadt.