Über 82 Millionen Menschen auf der Flucht

Seit 30 Jahren begehen die Stadt Murrhardt und die Landsmannschaften der Heimatvertriebenen den Tag der Heimat mit einer Gedenkfeier am Vertriebenen-Ehrenmal im Murrhardter Stadtgarten. Bürgermeister Armin Mößner blickt auf die Situation damals und heute.

Bürgermeister Mößner am Gedenkstein der Vertriebenenverbände, der vor 30 Jahren seinen Platz am Feuersee fand. Foto: E. Klaper

Bürgermeister Mößner am Gedenkstein der Vertriebenenverbände, der vor 30 Jahren seinen Platz am Feuersee fand. Foto: E. Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Flucht und Vertreibung gab es nicht nur in vergangenen Epochen, sondern sie sind bis heute traurige Realität. Über 82 Millionen Menschen befinden sich zurzeit auf der Flucht, und die Zahl steigt weiter, auch wegen der Situation in Afghanistan. Wie das Schicksal und Leid von 14 Millionen Deutschen, die als Folge des Zweiten Weltkrieges aus ihrer Heimat vertrieben wurden oder fliehen mussten, ist dies Anlass zur Gedenkfeier am Tag der Heimat. „Vertreibungen und Deportation ächten – Völkerverständigung fördern“ lautet dazu heuer das Leitwort des Bundes der Vertriebenen.

„Gedenktage sind wichtig, und die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist gerade in unserer heutigen Zeit zentral“, um eine bessere Zukunft zu gestalten, betonte Bürgermeister Armin Mößner in seiner Ansprache am Vertriebenen-Ehrenmal beim Murrhardter Feuersee. Darum fand er es schade, dass nur sehr wenige Personen an solchen Gedenktagen teilnehmen. Er erinnerte daran, dass sich die Vertriebenenverbände einen eigenen Gedenkstein wünschten. Im Oktober 1990 gab der Gemeinderat für diesen grünes Licht.

Die Finanzierung erfolgte durch eine Spendenaktion der örtlichen Landsmannschaften der Schlesier und Sudetendeutschen sowie einen Zuschuss der Stadt. Vor 30 Jahren, am 8. September 1991, weihten der damalige Bürgermeister Ulrich Burr und Dietmar Seidel, damals Vorsitzender der Ortsgruppe Murrhardt der Landsmannschaft Schlesien, den Gedenkstein ein. Steinmetzmeister Kurt Benz gestaltete ihn aus Schwarzwälder Granit mit der Inschrift „Die Heimat bleibt unvergessen“ und Wappen der Heimatregionen der Vertriebenen.

Von Flucht, Vertreibung und Deportation, Ausgrenzung und Verfolgung waren vor allem im 20. Jahrhundert Millionen von Menschen betroffen. Während der NS-Diktatur zwischen 1933 und 1945 mussten Personen jüdischen Glaubens, mit jüdischen Wurzeln oder politisch Andersdenkende aus Deutschland fliehen, darunter auch die Familie des Murrhardter Ehrenbürgers Reinhold Nägele. Doch jene, denen dies nicht gelang, wurden in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet, und in der Sowjetunion schickte ein Erlass Stalins ab Ende August 1941 Hunderttausende Deutsche in Verbannung und Zwangsarbeit. Von den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs bis 1950 erfolgte der „Bevölkerungstransfer“ von Millionen Deutschen aus Ostpreußen, Schlesien, dem Sudetenland und vielen anderen Regionen. Die rechtliche Basis dafür schufen die Potsdamer Beschlüsse der Alliierten vom August 1945. Eigentlich sollte das Ganze in „ordnungsgemäßer und humaner Weise“ erfolgen, stattdessen kam es dabei zu unzähligen Verbrechen, und die Betroffenen litten unter traumatischen Erlebnissen, erinnerte Armin Mößner.

1945 war es eine Mammutaufgabe, die Flüchtlinge in Murrhardt unterzubringen

Eine schier unlösbare Aufgabe schien die Eingliederung dieser Flüchtlinge und Vertriebenen zu sein: „In Murrhardt hatte die Stadtverwaltung um den damaligen Bürgermeister Georg Krißler alle Hände voll zu tun, um den Familien ein Dach über dem Kopf zu geben, wofür Einheimische zwangsweise Wohnraum zur Verfügung stellen mussten“, erzählte der Rathauschef. Besonders schwierig war die Situation in Fornsbach und Kirchenkirnberg, wo die Einwohner nach den verheerenden Luftangriffen am 18. April 1945 meist selbst in provisorischen Unterkünften lebten. Aber: „Gemeinsam packten alle beim Wiederaufbau mit an, und mit viel Mut, Energie und enormem Leistungswillen bauten sich die Flüchtlinge und Vertriebenen neue Existenzen auf und trugen dank ihres Einsatzes zum Wirtschaftswunder bei“, so Mößner.

Seit 1950 wird der Tag der Heimat bundesweit begangen: Wichtigste Punkte in der Charta der Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 sind der Verzicht auf Rache und Vergeltung, der Wille zur Schaffung eines geeinten Europas und zum Wiederaufbau. Die Freundschaft mit unseren Nachbarländern, gerade in Osteuropa, sei darum ein wichtiges Anliegen.

Und Baden-Württembergs Verfassung enthält das „unveräußerliche Menschenrecht auf Heimat“. „Das Trauma des Verlusts der Heimat erleiden auch heute Millionen von Menschen. Wir dürfen die Augen nicht vor den vielen Flüchtenden verschließen, das wäre vor Gott und den Menschen verantwortungslos, es gilt die Ursachen anzupacken. Vertreibungen sind Unrecht, darum ist es die Aufgabe der Völkergemeinschaft, dieser Erkenntnis weltweit zum Durchbruch zu verhelfen und weiter am Ziel einer friedlicheren, menschlicheren und besseren Welt zu arbeiten“, verdeutlichte Mößner.

Er gedachte auch Helmut Klink, langjähriger Mitorganisator der Gedenkfeier und Vorsitzender der Ortsgruppe der Landsmannschaft Schlesien, der am 23. Juli gestorben ist. Von 1970 bis 1997 war er Hausmeister am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium, wo er sich mit großem Engagement um Gebäude und Außenanlage sowie die Belange der Schüler und Lehrer kümmerte. Die Kranzniederlegung am Ehrenmal übernahmen Christfried Krause, Landesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien, der deren Murrhardter Ortsgruppe zurzeit kommissarisch leitet, und Dorothee Gutmann. Sie vertrat ihren Mann Helmut Guggenmos, stellvertretender Vorsitzender der Ortsgruppe. Der von Helmut Pfähler geleitete Posaunenchor der Evangelisch-methodistischen Kirchengemeinde umrahmte die Gedenkfeier mit feierlich-getragenen Melodien.

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Erstellt:
14. September 2021, 06:00 Uhr

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