Meinungen junger Stuttgarter
Umfrage: Das denkt Stuttgart über die neue Wehrdienstreform
Die Wehrdienstreform sorgt in Stuttgart für Diskussionen. Pflichtmusterung und Geschlechterungleichheit stehen im Fokus. Welche Argumente die Bürgerinnen und Bürger bewegen.
© Jovanna Imalski
Umfrage zur neuen Wehrdienst-Reform: Das denken Stuttgarterinnen und Stuttgarter (von links:) Laurin, Meryem, Tim und Lena darüber.
Von Jovanna Imalski
Nach langen Diskussionen hat der Bundestag ein neues Wehrdienstgesetz beschlossen. Ab dem kommenden Jahr sollen alle Männer verpflichtend gemustert werden, beginnend mit dem Jahrgang 2008. Der Wehrdienst bleibt zunächst freiwillig, kann aber bei zu wenig Rekruten durch eine sogenannte „Bedarfswehrpflicht“ ergänzt werden, über die der Bundestag erneut abstimmen müsste. Auch Frauen können sich freiwillig mustern lassen. Mit der Reform will die Bundesregierung die Truppenstärke der Bundeswehr erhöhen und einen Koalitionsstreit zwischen CDU/CSU und SPD beilegen. Wir haben junge Stuttgarterinnen und Stuttgarter gefragt, was sie von der neuen Reform halten.
Frauke (28) und Jana (30) stößt vor allem der Pflichtaspekt zur Musterung auf. Sie sehen darin die Gefahr, dass junge Menschen indirekt unter Druck gesetzt werden können, trotz der offiziellen Freiwilligkeit. Für sie ist die neue Reform „der falsche Ansatz“. Auch die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen stößt den beiden bitter auf. Männer sollen nämlich zur Musterung verpflichtet sein, Frauen hingegen nicht. „Ich finde es fairer, wenn für alle das Gleiche gilt, aber auf freiwilliger Basis“, erklärt Jana (30).
Auch Meryem (19) teilt diese Meinung: „Als Frau bin ich zwar dankbar, nicht gemustert zu werden, aber als Feministin finde ich, dass alle gleichbehandelt werden sollten.“ Grundsätzlich lehnt sie eine Rückkehr zur Wehrpflicht ab. Gleichzeitig zeigt sie Verständnis für sicherheitspolitische Argumente: „Ich verstehe, dass wir ein Militär brauchen, andere Länder verzichten ja leider auch nicht darauf.“ Die Regierung versucht, den Wehrdienst mit finanziellen Anreizen attraktiver zu gestalten, etwa mit einem besseren Gehalt für Wehrdienstleistende sowie Zuschüssen zum Führerschein. Für Meryem ist das jedoch der falsche Weg: „Diese neuen Anreize sind meiner Meinung nach Propaganda. Das erinnert zu sehr an psychische Manipulation.“
Laurin (25) sieht das deutlich anders. Er findet es richtig, den Wehrdienst aufzuwerten. „Ein guter Ansatz wäre vielleicht auch, wenn sich der geleistete Wehrdienst positiv auf den NC auswirken oder die Studienaufnahme erleichtern würde.“ Die verpflichtende Musterung hält er für sinnvoll, solange der Dienst freiwillig bleibt. Ihm geht es weniger um den militärischen Aspekt, sondern darum, als junger Mensch Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Er selbst hat keinen Wehrdienst geleistet, sagt aber: „Damals nach dem Abi hätte es mir wahrscheinlich gutgetan, auch um Menschen außerhalb meiner eigenen Bubble kennenzulernen.“
David (20) hat bereits Erfahrung mit dem Militärdienst, allerdings in der Schweiz. Der gebürtige Schweizer, der inzwischen in Stuttgart lebt, sagt: „Ich wollte die Erfahrung selbst machen, um mir eine eigene Meinung zu bilden.“ Er habe viel aus dieser Erfahrung gelernt, „aber vor allem, dass der Beruf des Soldaten nichts für mich ist.“ Positiv findet er, dass ab 2026 alle jungen Menschen, Männer wie Frauen, einen Fragebogen vom Bund erhalten sollen. „So erreicht man auch die, die unschlüssig sind oder nicht wissen, wie sie sich anmelden können.“ Die verpflichtende Musterung sieht er dennoch kritisch. Da geht es ihm wie den meisten Befragten, sie wünschen sich weiterhin eine vollständig freiwillige Lösung.
Tim (20) hingegen hält die aktuelle Reform für einen gelungenen Kompromiss. Er sieht Potential vor allem bei jungen Männern, die nach der Schule noch orientierungslos sind. „Für sie kann die Bundeswehr eine gute Alternative sein. Man lernt dort Werte, Disziplin und Teamgeist, das kann der Gesellschaft guttun.“
Lena (19), die ihn begleitet, betrachtet das Thema dagegen skeptisch. Dass die Musterung jetzt verpflichtend ist, verändert ihre Sicht auf die aktuelle Bundesregierung. „Ich finde, das ist eine sehr persönliche Entscheidung, die jeder selbst treffen sollte. Selbst die Musterung sollte nichts sein, was der Staat vorschreibt,“ sagt sie. In einem Punkt sind die beiden sich jedoch einig: Dass nur Männer verpflichtet werden, halten sie für ungerecht. Allerdings räumt Lena ein, dass Frauen es in anderen Lebensbereichen deutlich schwerer haben, etwa beim Karriereaufstieg. „Eine zusätzliche Verpflichtung könnte hier neue Probleme schaffen, gerade mit Hinblick auf den demografischen Wandel.“
Zwischen Verständnis und Skepsis, Gleichberechtigungsfragen und Sicherheitsbedenken gehen die Meinungen über die neue Wehrdienstreform in Stuttgart auseinander. Während einige die Pflichtmusterung als sinnvollen Schritt sehen, wünschen sich viele mehr Freiwilligkeit und Gleichbehandlung.
